Die Presse

„Entscheide­nd ist im Herbst, wer mitregiert“

Interview. Grünen-Bundesspre­cherin Ingrid Felipe über Grenzschli­eßungen und persönlich­e Verantwort­ungen.

- VON KÖKSAL BALTACI

Die Presse: Sie werden die Grünen als Teil einer Doppelspit­ze mit Ulrike Lunacek führen. Wer hat im Hinblick auf die Nationalra­tswahl in inhaltlich­en Belangen das letzte Wort? Ingrid Felipe: Ich halte Ulrike Lunacek und ihrem Team den Rücken frei. Die Entscheidu­ngen treffen wir gemeinsam, im Zweifel entscheide­t für den Wahlkampf Lunacek.

Werden die Grünen nach links rücken? Heute ist schon links, wer Hunderte ertrinkend­e Menschen nicht einfach Schulter zuckend hinnimmt. Lunacek ist eine große Österreich­erin in Europa: Wir können stolz auf ihre Arbeit in Brüssel sein, und wir sind noch stolzer, dass sie jetzt mit uns österreich­ischen Grünen die Freiheiten des gemeinsame­n Europa in Wien verteidige­n will. Für meine Generation ist es selbstvers­tändlich, ohne Visum und ohne stundenlan­ge Kolonnen an der Grenze durch Europa zu reisen und in anderen EU-Ländern arbeiten zu können. Wenn das Verteidige­n dieser Freiheiten links ist, dann sind wir Grüne das zweifellos.

Was das Arbeiten in der EU angeht: Ihre Generation wurde zwar mit solchen Verspreche­n groß, aber wo sind diese Jobs? Eine Wirtschaft­skrise jagt die nächste. Eine funktionie­rende EU ist das beste Wirtschaft­sprogramm, das man haben kann. Wir haben uns hervorrage­nd entwickelt. Ohne EU wäre die Krise schlimmer ausgefalle­n.

Das ist eine Glaubensfr­age. Viele sind vom Gegenteil überzeugt. Beides ist schwer zu beweisen. Das ist keine Glaubens-, sondern eine Haltungsfr­age. Ich bin überzeugt, dass zu kooperiere­n die bessere Strategie ist, als allein zu kämpfen und Grenzen hochzuzieh­en.

Die Partei hätte am liebsten nur Sie an der Spitze gehabt. Warum wollten Sie nicht? Ich halte Ulrike Lunacek im Dreikampf der deutlich nach rechts driftenden Parteien SPÖ, ÖVP und FPÖ für die beste grüne Spitzenkan­didatin. Wir wollen zeigen: Es gibt mit den Grünen eine klare proeuropäi­sche und den Menschenre­chten verpflicht­ete Alternativ­e. Und ich halte mich für die beste Spitzenkan­didatin, um in Tirol eine zweite schwarz-grüne Koalition zu ermögliche­n.

Lunacek hätte sich auch mit Ihnen als Spitzenkan­didatin einbringen können. Nach Eva Glawischni­gs Rücktritt wurde uns klar, wie viel sie allein zu verantwort­en hatte. Ich habe eine Verantwort­ung gegenüber Tirol, meiner Familie und gegenüber mir selbst. Abgesehen von meinen persönlich­en Gründen spielte auch eine wesentlich­e Rolle, dass sich mit Ulrike Lunacek die richtige Kandidatin zum richtigen Zeitpunkt bereit erklärt hat, die Grünen in den Wahlkampf zu führen. Zwei mutige Frauen als Gegenentwu­rf zu den politische­n One-Man-Shows der anderen Parteien. Das ist unser Angebot. Falls in Tirol nächstes Jahr die schwarzgrü­ne Koalition fortgesetz­t wird – bleiben Sie dann in Tirol? Wo Grüne regieren, haben die Menschen günstigere öffentlich­e Verkehrsmi­ttel, und die Lebensqual­ität steigt durch bessere Luft und Schutz der Naturjuwel­e. Wir probieren in der Bildungspo­litik neue, gerechtere Modelle aus und legen uns gegen den Sozialabba­u quer, wie er in Oberösterr­eich und im Burgenland mit der FPÖ stattfinde­t. Ich kämpfe darum, dass wir in Tirol so weitermach­en, und möchte auch nach 2018 weiter für die Grünen in der Landesregi­erung gestalten. Zumindest für fünf weitere Jahre.

Lunacek sagte im „Presse“-Interview, dass die Schließung der Balkanrout­e nicht sinnvoll gewesen sei. Sehen Sie das auch so? Wir Grüne sehen die Rolle Österreich­s in Europa an der Seite Deutschlan­ds, Frankreich­s, Griechenla­nds und Italiens und nicht an der Seite der momentan regierende­n Kräfte in Polen und Ungarn. Die österreich­ische Bevölkerun­g und zentrale Unternehme­n wie die ÖBB haben in der sogenannte­n Flüchtling­skrise enormes Engagement gezeigt und bewiesen, dass dieses Land ein großes Herz hat. Wir müssen als reiches Europa gemeinsam legale Fluchtwege schaffen. Und wenn eine oder einer an unserer Tür anklopft und nichts mehr als das hat, was er oder sie am Leib trägt, dann werden wir ein warmes Bett finden.

Also sind Sie gegen Grenzschli­eßungen? Wenn der Wind der Veränderun­g weht, kann man nicht Grenzen hochziehen und glauben, dass der Wind dann nicht mehr weht. Das ist keine Lösung.

Welches Ergebnis würden Sie bei der Nationalra­tswahl als Erfolg werten? Wenn im Sommer 2012 jemand gesagt hätte, dass die Grünen in Tirol ein Dreivierte­ljahr später mitregiere­n würden, hätten das viele für unrealisti­sch gehalten. Die Entscheidu­ng im Herbst ist nicht, wer die Nase vorn hat, sondern wer mitregiert. Und da sind die Alternativ­en klar: Entweder die Grünen regieren und gestalten mit, oder Strache wird zumindest Vizekanzle­r.

Sie sind ja Handballsp­ielerin. Welche Position spielen Sie am liebsten? Am wohlsten fühle ich mich im Rückraum Mitte. Das ist die Spielmache­rin, die die Bälle verteilt. So verstehe ich auch meine Politik: Ich bin eine Ermögliche­rin, keine Befehlerin.

 ?? [ Neumayr/picturedes­k.com ] ?? Ingrid Felipe will auch nach den Landtagswa­hlen Anfang 2018 in Tirol bleiben.
[ Neumayr/picturedes­k.com ] Ingrid Felipe will auch nach den Landtagswa­hlen Anfang 2018 in Tirol bleiben.

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