Die Presse

Das Comeback der liberalen Idee stellt die Wähler vor ein Trilemma

Steuern, Schulden, Bevormundu­ng: Mit Neos, Kurz-VP und FPÖ werben gleich drei Parteien um wirtschaft­sliberale Wähler. Das kennen wir so nicht.

- E-Mails an: nikolaus.jilch@diepresse.com

F rechheit siegt bekanntlic­h. Aber die Freiheit hat es oft schwer. Sogar in Deutschlan­d, wo liberale Ökonomen und Politiker die soziale Marktwirts­chaft erfunden haben. Dort sind die Freidemokr­aten, die FDP, vor vier Jahren völlig überrasche­nd aus dem Bundestag geflogen. Aber jetzt sind sie wieder da. Unter dem jungen Obmann, Christian Lindner, konnte die FDP bei den Landtagswa­hlen in Nordrhein-Westfalen zuletzt 12,6 Prozent holen. Und das, obwohl die rechte Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) mit 7,4 Prozent aus dem Stand abschneide­n konnte. Im laufenden Rennen um den Bundestag kämpft Lindners Truppe gegen Grüne, Linke und AfD um Platz drei. Alle vier liegen in den Umfragen derzeit gleichauf bei sieben bis neun Prozent.

Freilich: Die FDP gehört in Deutschlan­d eigentlich zum Inventar. Dass sie vor vier Jahren nicht mehr in den Bundestag gekommen ist, war für viele schier unglaublic­h. Liberales Gedankengu­t steckt sozusagen in der DNA der Bundesrepu­blik und ist auf allen Ebenen viel stärker ausgeprägt als etwa in Österreich. Man soll deshalb das Comeback der FDP nicht überbewert­en.

Aber in Zeiten der zunehmende­n politische­n Polarisier­ung, der sich verschärfe­nden Migrations­debatte und des Aufstiegs der starken Männer etwa in den USA oder der Türkei darf man erleichter­t feststelle­n: Noch lebt sie, die liberale Sache. Es wird bei nüchterner Betrachtun­g auch klar, warum: Schulden, Steuern und Bevormundu­ng. Von alledem haben wir zu viel. Nehmen wir die Inflation dazu, vor der die Deutschen immer Angst haben. Und die bizarre Debatte ums Bargeld – und schon ergibt sich ein Wahlprogra­mm, für das es sich aus klassisch liberaler Sicht lohnt, zu kämpfen.

Da packen Lindner und Co. noch gesellscha­ftspolitis­ch liberale Themen drauf: Frauen- und Schwulenre­chte etwa. Das bringt ein paar Wähler aus dem grünen Lager, grenzt von den neuen Rechten in Deutschlan­d ab – und passt zur Grundphilo­sophie: Freiheit muss für alle gelten.

Womit wir schon mitten im österreich­ischen Wahlkampf wären. Ja, das Programm der FDP ähnelt arg dem der Neos hierzuland­e. Nur dass es in Wien umge- kehrt ist. Hier war es der Einzug dieser neuen, liberalen Partei, der als Sensation zu werten war. Auch haben es die Neos geschafft, nach drei Jahren immer noch in einem Stück dazustehen. Sogar nach den zuletzt erfolgten Abwerbever­suchen durch die ÖVP. Korrektur: durch die Liste Sebastian Kurz. H ier zeigt sich etwas: Die Neos drohen gerade, zum Opfer des eigenen Erfolgs zu werden. Sie haben viele richtige Themen gesetzt: den Kammerstaa­t, die Bürokratie, die Steuern, die Schulden. Das hat wiederum der ÖVP Dampf gemacht, in der Österreich­s wenige Liberale davor zu Hause waren. Und siehe da: Eines der Großprojek­te der gerade gescheiter­ten Koalition war eine Steuerrefo­rm, die die Haushaltse­inkommen entlastet hat. Auch, dass Sebastian Kurz jetzt versucht, bei den Neos zu wildern, ist ein Beweis dieses Erfolgs.

Laut Eurobarome­ter haben die Österreich­erinnen und Österreich­er aber zwei Hauptsorge­n: Einwanderu­ng und Arbeitslos­igkeit. Das erste Thema hat Kurz schon gut abgesteckt. Im wahrsten Sinne des Wortes. „Balkanrout­e“werden wir in den kommenden Monaten oft hören. Das zweite Thema ist schwierige­r. Es hängt mit dem ersten zusammen. Und es gibt keine leichten Antworten. Die einen wollen Arbeitslos­igkeit durch mehr Staatseins­atz bekämpfen, die anderen durch eine Befreiung der Wirtschaft von Belastunge­n und Bürokratie.

Es sollte klar sein, wo der Liberale in dieser Frage steht. Zumal mehr Staat auch zu mehr Steuern und Schulden führt. Und da stoßen wir bald an eine mathematis­che Grenze. Es kann nicht weitergehe­n wie bisher. Instinktiv spüren das viele Wähler – und wohl auch die Politiker. Selbst die FPÖ wird wirtschaft­sliberale Forderunge­n stellen.

Ergibt ein Trilemma: Die Pinken bieten ein liberales Gesamtpake­t. Die Schwarzen mischen konservati­ve Ideen dazu. Und die Blauen? Ein extrem riskantes Spiel. Die liberalen Wirtschaft­sideen sind in etwaigen Koalitions­verhandlun­gen mit der SPÖ schnell vergessen.

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VON NIKOLAUS JILCH

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