Harter Gegendwind für Rohani
In der Nacht zu Sonntag kannte der Jubel dann keine Grenzen mehr. Zehntausende Iraner feierten mit Hupkonzerten und Autokorsos den fulminanten Sieg der Reformer Hassan Rohani über seinen konservativen Widersacher, Ebrahim Raissi, bei der Präsidentenwahl. In Teheran, aber auch in anderen Städten wie Mashad, Esfahan und Shiraz, verwandelten junge Leute die Straßen in OpenAir-Partys, spielten Techno und schwenkten Fotos des Klerikers.
Die Bevölkerung stand vor der Wahl zwischen Rückkehr in die Isolation oder Rückkehr in die globale Arena – und sie hat sich mit der Wahl des 68-Jährigen für politische Mäßigung nach außen und weitere gesellschaftliche Öffnung nach innen entschieden. Und das, obwohl die wirtschaftliche Dividende des Atomabkommens von 2015 bisher bei dem Großteil der Bürger nicht angekommen ist.
Noch nie seit den Turbulenzen 2009 ging es in einem Wahlkampf so hoch her wie diesmal. Noch nie wurden auf dem strikt kontrollierten politischen Spielfeld der Islamischen Republik so viele rote Linien überschritten – und zwar von beiden Lagern. Noch nie in der 38-jährigen Geschichte der PostKhomeini-Nation hat ein Präsident die Missstände, den klerikalen Machtmissbrauch und die Justizwillkür im eigenen Land so offen angeprangert wie in den letzten Wochen Rohani. Dieser Mut zum Tabubruch mobilisierte so viele Wähler, dass der Amtsinhaber erneut im ersten Wahlgang die abso- lute Mehrheit errang. Doch auch seine Kontrahenten schenkten ihm nichts. Sie verunglimpften Rohani als einen Lakaien des Westens und einen Mann der falschen wirtschaftlichen Versprechen.
Gleichzeitig vermieden die Konservativen die Zerstrittenheit von 2013 und scharten sich um den Hardliner Ebrahim Raissi (56), einen politisch unerfahrenen Karrierejuristen, der als junger Mann Hunderte politische Gefangene im Minutentakt an den Galgen brachte. Am Ende jedoch reichte es nicht für ihr Machtkartell, das unter dem Denkmantel eines from- men Islam einen Parallelstaat bildet aus politischem Klerus, Regimejustiz, Staatsmedien, Stiftungen und Revolutionären Garden.
Gleichzeitig unterstreicht das Votum, wie tief gespalten das Land ist, nicht nur politisch, auch religiös-ideologisch und sozial. Den Hardlinern laufen vor allem die ärmeren Schichten zu, die Menschen auf dem Lande oder an den Stadträndern, die sich in ihrer Not jedem Populisten anschließen, der ihnen etwas Erleichterung im Alltag verspricht. Und so optierten immerhin fast 40 Prozent der Wähler für die Rückkehr zu alten Mus- tern, das heißt zu mehr staatlichen Almosen, „Tod für Amerika“-Getöse und dem hohlen Pathos der sogenannten Widerstandsökonomie, für die der Iran längst nicht mehr den Atem und die Kraft hat.
Neuer Machtkampf steht bevor
So spektakulär der Sieg Rohanis auch ist, er wird nicht reichen, um im vierten Jahrzehnt der Islamischen Republik eine fundamentale gesellschaftliche Öffnung durchzusetzen und das konservative Establishment aus einem Teil seiner gut befestigten Bastionen zu boxen. Die polarisierte Koexistenz wird unter den neuen Vorzeichen weitergehen – Rohani bleibt das moderate Gesicht gegenüber der Welt, während die Hardliner im Inneren mit Justiztyrannei, Medienzensur und Schattenhaushalten permanent dazwischenfunken. Ungeachtet ihrer ideologischen Differenzen jedoch stehen beide Lager in den nächsten Jahren vor demselben Dilemma. Egal, ob bei Reformern, Pragmatikern oder Ultraorthodoxen, praktisch überall führen immer noch die Khomeini-Veteranen von 1979 Regie. Eine jüngere Führungsschicht aus den Reihen der später Geborenen aber ist nicht in Sicht.
Längst stößt die Gründergeneration der Islamischen Republik an ihre biologischen Grenzen. In den kommenden Jahren muss sie das Staatsruder an die 40- bis 50-Jährigen abgeben. Mit dem respektablen Abschneiden Raissis ist der Kampf um die Nachfolge des 78-jährigen Obersten Revolutionsführers, Ali Khamenei, eröffnet. So steht, kaum ist der eine inneriranische Machtkampf ausgefochten, bereits der nächste ins Haus.