Die Presse

Erdo˘gan greift nach noch mehr Macht

Türkei. Der Präsident ließ sich gestern zum Chef der Regierungs­partei AKP wählen – und durchbrach damit eine jahrzehnte­lange Tradition, die die Trennung der beiden Posten vorsieht. Bei seiner Rede griff er seine Gegner scharf an.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. Mit scharfen Drohungen an seine Gegner katapultie­rte sich der türkische Präsident am Sonntag wieder an die Spitze der Regierungs­partei AKP. Bei einem Sonderpart­eitag in Ankara ließ sich Recep Tayyip Erdogan˘ wieder zum Parteichef wählen und donnerte: „Wenn dieser Kampf nicht entschiede­n geführt wird, droht dem Land große Gefahr.“Der Staatschef trat als einziger Kandidat für den Parteivors­itz an.

Unter den neuen Regeln, die bei dem umstritten­en Referendum im April beschlosse­n wurden, darf der türkische Präsident anders als zuvor auch Mitglied einer politische­n Partei sein. Die jahrzehnte­lange Tradition, wonach der türkische Präsident als überpartei­liche Instanz über der Tagespolit­ik stand, wurde damit gestern aufgegeben: Erdogan˘ ist der erste Staatschef seit mehr als einem halben Jahrhunder­t, der auch Parteivors­itzender ist.

Keine Forderung nach Todesstraf­e

In seiner Parteitags­rede unterstric­h Erdogan,˘ er sei auch für Bürger da, die ihn nicht gewählt hätten. Niemand solle sich ausgegrenz­t fühlen. „Mit harter Faust“werde er jedoch gegen „Verrat“vorgehen, sagte der Präsident mit Blick auf die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen, den er für den Putschvers­uch des vergangene­n Jahres verantwort­lich macht. Zur Entlassung und Festnahme von rund 150.000 mutmaßlich­en Gülen-Anhängern seit dem Putschvers­uch sagte der Präsident, beim Kampf gegen Gülen solle mehr „Sensibilit­ät“an den Tag gelegt werden. Dennoch werde weiter mit Entschiede­nheit gegen die Bewegung vorgegange­n. Dasselbe gelte für den Kampf gegen die verbotene Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK), bei dem es darum gehe, die Kurdenrebe­llen vollständi­g zu „vernichten“. Der nach dem Putschvers­uch verhängte Ausnahmezu­stand bleibe bis auf Weiteres in Kraft.

Der EU warf er indes vor, die Europa-Bewerbung seines Landes absichtlic­h in eine Sackgasse geführt zu haben. An diesem Mittwoch will der türkische Präsident in Brüssel mit den EU-Spitzen über die Zukunft der türkischen EU-Kandidatur sprechen. Die Europäisch­e Union solle Wort halten, die Visapflich­t aufheben und neue Verhandlun­gskapitel in den Beitrittsg­esprächen eröffnen, verlangte gestern der Staatschef. Sonst werde die Türkei eben ihren Weg allein fortsetzen. Auf die erneute Forderung nach Einführung der Todesstraf­e verzichtet­e er jedoch. Ein solcher Schritt wäre das Aus für die türkische EU-Beitrittsk­andidatur. Auch neue Drohungen im Zusammenha­ng mit dem Flüchtling­sabkommen blieben aus.

Mit Erdogans˘ Wiederwahl zum Parteivors­itzenden wird die AKP mit Blick auf die Wahl in zwei Jahren ganz auf die Linie des Präsidente­n gebracht. Im neuen AKP-Vorstand fehlen Politiker, die von Erdogan˘ für das starke Abschneide­n der Regierungs­gegner beim Referendum verantwort­lich gemacht wurden. Dafür rücken Anhänger wie der Medienunte­rnehmer Ethem Sancak in die Führung auf. Mit besonderer Aufmerksam­keit wurde die Beförderun­g von Innen-

nach seinem Sieg beim umstritten­en Verfassung­sreferendu­m in der Türkei wird Staatspräs­ident Recep Tayyip Erdogan˘ wieder Vorsitzend­er der Regierungs­partei AKP. Bei einem Sonderpart­eitag am Sonntag in Ankara trat Erdogan˘ als einziger Kandidat an. Der Chefposten verschafft dem Staatspräs­identen nun noch mehr politische­n Einfluss. minister Süleyman Soylu in die AKP-Führung registrier­t; nach Einschätzu­ng einiger Beobachter wird der 47-Jährige als möglicher Nachfolger Erdogans˘ aufgebaut.

„Architekt der türkischen Erleuchtun­g“

Der Parteitag zelebriert­e einen Personenku­lt um Erdogan.˘ Ministerpr­äsident Binali Yildirim dichtete einen berühmten Spruch von Staatsgrün­der Mustafa Kemal Atatürk – „Wie glücklich ist, wer sagt: Ich bin Türke“– auf Erdogan˘ um: „Wie glücklich sind wir, die wir sagen, dass wir die Weggefährt­en des Architekte­n der türkischen Erleuchtun­g, Recep Tayyip Erdogan,˘ sind.“

Kurz vor dem Parteitag hatten die Behörden zahlreiche Mitarbeite­r der Zeitung „Sözcü“festgenomm­en; die drittgrößt­e Zeitung des Landes gehört neben „Cumhuriyet“zu den wenigen Erdogan-˘kritischen Blättern. Zahlreiche Journalist­en von „Cumhuriyet“sitzen in Haft.

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