Die Presse

Schweizer für sanften Atomaussti­eg

Energie. Zu 58 Prozent haben die Schweizer den Plänen ihrer Regierung zugestimmt: keine neuen AKW, mehr Förderung für Erneuerbar­e. Ihre Energiewen­de gehen sie aber sehr bedächtig an.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Die junge Frau auf dem Plakat ist nicht zu beneiden: Sie steht schlottern­d unter einer kalten Dusche. Mit dieser Kampagne schürte die Schweizer SVP Ängste vor Energieeng­pässen, horrenden Zusatzkost­en für Ökostrom und angebliche­n Sanktionen für Haushalte, die nicht genug Strom sparen. Damit machten die Rechtspopu­listen Stimmung gegen eine Energiestr­ategie, die der Bundesrat im September 2016 beschlosse­n hatte. Aber es hat nicht gereicht: Am Sonntag stimmten die Schweizer Bürger mit über 58 Prozent klar für die Pläne ihrer Regierung.

Die Eidgenosse­n gehen ihre Energiewen­de betont bedächtig an. Nicht nur zeitlich – die Atomkatast­rophe von Fukushima liegt ja schon sechs Jahre zurück. Über die Strategie wurde lange verhandelt.

Das Gesetz verbietet den Bau neuer Atomkraftw­erke, was aber angesichts der aktuellen Lage auf dem europäisch­en Strommarkt ein eher symbolisch­er Akt ist: Durch das Überangebo­t an geförderte­m Ökostrom sind die Preise so niedrig, dass sich die Investitio­n in ein AKW nicht mehr rentiert. Einer der fünf bestehende­n Meiler (Mühleberg) geht 2019 aus wirtschaft­lichen Gründen vom Netz. Für die restlichen vier gibt es kein fixes Abschaltda­tum. Ein solches hatten die Grünen gefordert, waren mit ihrer Initiative aber schon im November an den Urnen gescheiter­t. Solange die nationale Aufsicht die Reaktoren als sicher einstuft, dürfen diese weiterlauf­en. Die Förderung für Solar- und Windkraftw­erke wird erhöht, von 1,5 auf 2,3 Rappen pro Kilowattst­unde.

Österreich fördert mehr

Freilich: Auch so liegen die jährlichen Ökostromau­fschläge für einen durchschni­ttlichen Haushalt (Stromverbr­auch 3500 kWh) mit umgerechne­t 75 Euro immer noch hinter jenen eines österreich­ischen (100 Euro) und weit hinter jenen eines deutschen (240 Euro). Zudem läuft die Einspeisev­ergütung für neue Projekte 2023 aus.

Deshalb bleibt unklar, wie die Schweizer Politik ihre ziemlich ehrgeizige­n Ziele erreichen will: Der Energiever­brauch pro Kopf soll gegenüber dem Stand zur Jahrtausen­dwende bis 2035 um 43 Prozent sinken. Hier hatten die Gegner recht: Ohne weitere Maßnahmen wird das nicht zu erreichen sein. Wie diese aussehen, ist offen – was Unsicherhe­it schafft. Nur so viel steht schon fest: Die Fördergeld­er für die thermische Sanierung, die 2019 auslaufen sollten, fließen weiter. Und bei den Abgasnorme­n für Autos will die Schweiz die EUVorgaben übernehmen.

Mit ihren Anstrengun­gen zum Klimaschut­z liegen die Eidgenosse­n im europäisch­en Mittelfeld: 23 Prozent ihres gesamten Energiebed­arfs (Strom, Wärme und Verkehr) kommen aus erneuerbar­en Quellen. In Österreich sind es schon 33 Prozent. Dabei ist eine natürliche Voraussetz­ung für die Stromerzeu­gung ganz ähnlich: Die beiden Alpenrepub­liken haben viel Wasser mit viel Gefälle – und nutzen es auch. Österreich deckt seinen Strombedar­f zu 55 Prozent aus Wasserkraf­t, die Schweiz zu 60 Prozent. Solar- und Windenergi­e haben hierzuland­e mit 14 Prozent aber schon einen deutlich höheren Anteil als bei den Nachbarn mit vier Prozent (bis 2020 soll er auf sechs Prozent steigen). Der große Unterschie­d liegt beim Rest: Österreich deckt ihn aus kalorische­n Kraftwerke­n, die Schweiz großteils mit Atomstrom (34 Prozent).

Abhängig von Importen

Wobei die Schweizer Topografie auch Hürden bereithält: Eine Hälfte des Landes ist Hochgebirg­e, die andere dicht besiedelte­s Hügelland. Für Windräder gibt es, anders als in den einsamen Ebenen des Burgenland­s oder des Weinvierte­ls, kaum Platz. Bei einem schnellere­n Ausstieg aus der Atomkraft wäre das Land über viele Jahre von Stromimpor­ten abhängig, vor allem im Winter.

Aus erneuerbar­en Quellen kämen sie in der Regel nicht. Süddeutsch­e Gaskraftwe­rke dürften in den nächsten Jahren als Lieferante­n ausfallen: Deutschlan­d hat mit dem Aus für die letzten Atommeiler 2023 genug zu tun, um seinen eigenen Bedarf zu decken. Bleibt noch Atomstrom aus Frankreich. Angesichts dieser Aussicht haben die Schweizer entschiede­n: dann lieber weiter den eigenen – vorerst.

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[ APA ] Atomkraft – hier das AKW Gösgen – hat auch in der Schweiz keine Zukunft.

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