Die Durststrecke dauert in Europa noch ein Jahr
Zinsen. Der deutsche Volkswirt Martin Hüfner glaubt, dass sich auch in Europa eine Zinswende abzeichnet. Die Voraussetzungen dafür sind gut. Die EZB dürfte Anfang 2018 handeln. Allerdings gibt es noch Risken − US-Präsident Trump scheint das größte zu sein
Wien. Die Zeit ist reif und alle Indikatoren sprechen für ein Ende der Nullzins-Politik: Die Wirtschaft brummt sowohl in den USA wie auch in Europa und den Schwellenländern so laut wie schon lange nicht, die Arbeitslosigkeit geht zurück, die Gefahr der Deflation ist gebannt und die Inflation kratzt – mit Schwankungen – an der von der Europäischen Zentralbank angepeilten Zwei-Prozent-Grenze.
Warum ziert sich die EZB dann so, an der Zinsschraube zu drehen, fragt Martin Hüfner, langjähriger Chefvolkswirt der HypoVereinsbank, der nun auch die OnlineTochter der BNP Paribas, die Hello Bank, berät. Seine Antwort fällt differenziert aus: Die USA, wo es Ende 2016 schon einen Zinsschritt gegeben hat und viel auf einen weiteren im Juni hindeutet, seien Europa gut ein Jahr voraus. Außerdem liege die sogenannte Kerninflation (ohne Energie und Lebensmittel) in Europa noch unter zwei Prozent. Vor allem aber ortet die EZB noch zu viele ökonomische Abwärtsrisken. Außerdem seien die Experten um Mario Draghi überzeugt, dass der Konjunkturaufschwung allein ihrer lockeren Geldpolitik geschuldet ist.
Selbsttragender Aufschwung
„Ich sehe das anders, ich glaube, das ist jetzt ein selbsttragender Aufschwung“, sagte Hüfner bei einem Vortrag auf Einladung der Hello Bank in Wien. Er sieht deshalb auch einen Silberstreif am Horizont: Die mageren Zinszeiten, die nicht nur Anlegern, sondern auch Banken und Versicherungen das Leben schwer machen, dürften vorbei sein. Nicht gleich freilich – die Durststrecke dürfte noch einige Zeit andauern, ist Hüfner überzeugt.
Für ihn sieht der voraussichtliche Fahrplan der EZB so aus: Nach der Verringerung der Wertpapierankäufe im März von 80 auf 60 Mrd. Euro dürfte es im Juni erste Hinweise auf die Rückführung der Ankäufe geben. Im September sollte die EZB ihren Zeitplan ankündigen und im Jänner 2018 mit der schrittweisen Rückführung der Käufe bis zum dritten Quartal beginnen. Die Zinsen könnten dann Ende 2018/Anfang 2019 steigen. „Es wird aber viel langsamer gehen als in früheren Zyklen“, sagte Hüfner und verwies darauf, dass die Federal Funds Rate von 1993 bis 1996 von drei auf sechs Prozent stieg. Das Positive: Eine Zinserhöhung müsse nicht automatisch zu Kursrückgängen führen – das habe die Entwicklung in den USA nach dem jüngsten Zinsschritt gezeigt. Da habe freilich die anfängliche Euphorie um Donald Trumps Wirtschaftspläne Schub gebracht.
Die USA und ihr neuer Präsident – das bedeutet auch für den Volkswirt das größte Risiko. Dessen Unberechenbarkeit, die sich zuletzt in zahlreichen Affären niedergeschlagen hat, und das sprunghafte Vorgehen in Wirtschaftsdingen könnten die derzeit recht stabile US-Wirtschaft treffen. Bei diesem Thema scheint Hüfners demonstrativer Optimismus stark gedämpft. Die Zweifel, dass Trump seine vollmundig angekündigten Steuersenkungs- und Investitionspläne auch umsetzt, wachsen generell. Ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment), über das inzwischen offen spekuliert wird, würde auch die Aktienmärkte massiv treffen.
„Ein Abschlag von zehn Prozent ist drin“, verweist Hüfner auf eine mögliche Korrektur. Das würde für den deutschen Dax eine Marke von 11.000 Punkten bedeuten – den Wert erreichte der Index Mitte Dezember 2016. Das sei kein Beinbruch, sondern der Zeitpunkt, um wieder einzusteigen. Heißt es doch so schön: „Sell in May and go away, but remember to come back in September.“(Verkaufe im Mai, aber vergiss nicht, im September wieder zu kaufen.) (eid)