Luftfahrt im Aufwind – mit Absturzgefahr
Aktien. Die Papiere der größten Spieler in der Branche haben in den vergangenen Monaten kräftig an Wert gewonnen. Airlines und Flugzeugproduzenten profitieren von der guten Wirtschaftslage, sind aber auch politischen Risken ausgesetzt.
Wien. Was eine Übernahmefantasie alles bewirken kann, wenn bei einem Unternehmen nur mehr die Hoffnung zählt: Seit zehn Jahren befindet sich die Aktie der Air Berlin im Sinkflug – fast ebenso lange fliegt die zweitgrößte deutsche Fluggesellschaft Verluste ein. Von den zwölf Euro Emissionspreis im Jahr 2006 ist nicht viel übrig, „Junk“-Status nennen das die Börsianer. Bis vor Kurzem notierte das Papier bei rund 50 Cent, womit die ganze Air Berlin nur etwa 68 Millionen Euro wert war.
Binnen weniger Tage war freilich alles anders. Nicht die Ertragslage, wohlgemerkt. Als Spekulationen einsetzen, die Lufthansa, die dem Konkurrenten schon 38 Flugzeuge abgenommen hat (fünf gingen an die Tochter AUA), könnte auch den Rest schnappen, gab es einen regelrechten Kursrausch – die Aktie schoss vor wenigen Tagen auf 1,3 Euro hinauf. Womit sich der Marktwert mehr als verdoppelte. Nach wie vor ist die Air Berlin freilich nur ein Butterbrot wert, wie sich nach Bekanntgabe der Quartalszahlen am Freitag gezeigt hat. Da war die Kursfantasie schon wieder abgeflaut.
Bei Air Berlin hat auf jeden Fall die Stunde der Zocker geschlagen, sind Experten einig. Nur wer ganz starke Nerven hat und auch Verluste verschmerzen kann, sollte sich da heranwagen. Denn die Gefahr eines Totalverlustes ist groß. Sollte die Lufthansa, die als Retter der Air Berlin gilt, die kartellrechtlichen Hürden nicht stemmen, dürfte es für die Air Berlin als Alternative nur die Insolvenz geben – so wie für die Alitalia. Denn auch die vom Großaktionär Etihad neuerlich gewährten Darlehen sind bald einmal verbrannt.
Air Berlin ist allerdings das Extrembeispiel. Sieht man sich die Papiere der großen drei europäischen Netzwerk-Carrier Lufthansa, Air France/KLM und der British-Airways-Mutter IAG sowie der größten BilligAirlines Ryanair und EasyJet an, so zeichnen sich – mit unterschiedlicher Ausprägung – zwei markante Trends ab: Zum einen geht es nach vielen Monaten an Kursverlusten – wobei die britischen Gesellschaften zusätzlich kräftig vom Brexit-Votum gebeutelt wurden – wieder aufwärts. Bis vor Kurzem hielten viele Analysten die Papiere für unterbewertet. Langsam nähern sich die Kurse aber den Kurszielen an. Nur so nebenbei: Auch die Papiere der US-Airlines United und American sowie der Produzenten Boeing und Airbus verteuerten sich stark.
IATA erwartet 30 Milliarden Gewinn
Das ist der deutlich besseren Wirtschaftslage geschuldet: Die Menschen haben mehr Geld, die Jobs sind sicherer und damit steigt die Reiselust. Auch Geschäftsreisen ziehen wieder an. Dazu kommt der – nur mit wenigen Ausschlägen – anhaltend niedrige Ölpreis, ein maßgeblicher Faktor in der Luftfahrt. Der Weltluftfahrtverband IATA erwartet für die Airlines weltweit heuer einen Gewinn von knapp 30 Milliarden Dollar. Das ist zwar etwas weniger als das Rekordergebnis vom Vorjahr von 35,6 Milliarden Dollar, aber immer noch bemerkenswert angesichts schwieriger Rahmenbedingungen. Seit 2010 verzeichnet die Branche steigende Gewinne – das ist, so die IATA, angesichts eines Ölpreises von über 100 Dollar während dreier Jahre ein schöner Erfolg.
Zum anderen ist die Branche einem – zum Teil hausgemachten – Konkurrenzkampf und damit anhaltendem Preisdruck ausgesetzt sowie unberechenbaren externen Faktoren: Das sind geopolitische Verwerfun- gen, Krieg und Terror, die den Menschen ganze Urlaubsländer wie Ägypten, Tunesien und die Türkei verleidet haben.
Die Branche bleibt somit in Bewegung – und damit die Aktien ihrer Mitspieler. Das spiegeln auch die Einschätzungen der Analysten wider, wie sich allein am Beispiel Lufthansa zeigt: Das Analysehaus Kepler Cheuvreux hat Lufthansa nach einem guten Start der Branche in das laufende Jahr von „Reduce“auf „Hold“hochgestuft. Das Kursziel wurde von 15 auf 16,70 Euro erhöht. Nach den jüngsten Aussagen der Konzernspitzen von Air France-KLM, IAG und Lufthansa ist Kepler-Luftfahrt-Expertin Ruxandra Haradau-Doser für die Branche mit Blick auf die Erlöse optimistischer gestimmt.
Die US-Investmentbank Morgan Stanley hat indes die Einstufung auf „Underweight“mit einem Kursziel von 12,40 Euro belassen. Es zeige sich ein steigender Preisdruck mit Blick auf die Sommersaison, schreibt Ana- lystin Penelope Butcher. Deutlich optimistischer ist die Schweizer Großbank UBS, die die Lufthansa gleich um zwei Stufen von „Sell“auf „Buy“hochgestuft und das Kursziel deutlich von 11,70 auf 20,00 Euro angehoben hat. Die Aussicht auf eine steigende Nachfrage und der wieder sinkende Ölpreis hätten zu einer Kehrtwende der Bewertung geführt, erklärt Analyst Jarrod Castle.
„Der Billig-Trend und damit der Preisdruck hält an, aber der planlose Wettbewerb hat sich entkrampft“, sagt Guido Hoymann, Head of Equity Research Transport bei Metzler Capital Markets, zur „Presse“. Er verweist einerseits auf die Konsolidierung. Andererseits liege es daran, dass es bei Turkish Airlines und den Golf-Carriern – bisher die große Gefahr – auch nicht mehr so rund laufe. Das helfe Lufthansa, Air France/KLM und IAG vor allem auf der Langstrecke. „Der Markt ist spannend, aber auch volatil, die Papiere etwas für Anleger, die bereit sind, Risiko zu nehmen“, so Hoymann.
Wohin die Reise gehen könnte, zeigt freilich allein ein Vergleich der Analystenempfehlungen: Mit 20 „Buys“liegt die IAG knapp vor der Ryanair (18). Indes gibt es für die Lufthansa nur acht und für Air France/ KLM nur sieben Kaufempfehlungen.