Die Presse

„Momente, die du nie vergisst“: Mit Tränen, Meistersch­ale und Bier

Porträt. Mit Philipp Lahm, 33, verliert der FC Bayern eine Leitfigur, die sich selbst vor Uli Hoeneß nie verrenkte. Unabhängig­keit war neben Erfolgen stets sein höchstes Gut.

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München. Feiern können die Bayern, ihre Bierdusche­n und Ansprachen auf dem Münchner Marienplat­z haben Tradition. Dennoch muss man immer mit Überraschu­ngen rechnen, die das Programm sprengen: Mitten in die stimmungsv­olle Meisterfei­er und den Abschied von Philipp Lahm platzte also Uli Hoeneß mit Plänen zur neuen Strategie des FC Bayern. „Wir haben einen Kader, wenn man den verstärken will, muss man ziemliche Granaten kaufen. Das wird die Kunst sein!“Investitio­nen über 100 Millionen Euro schloss Hoeneß nicht aus, „aber nicht nur für einen Spieler, sondern das Gesamtkonz­ept!“

Damit werden nach einer Zäsur durch die Abgänge der Weltmeiste­r Philipp Lahm und Xabi Alonso neue Strömungen frei. Und dennoch, ein letztes Mal gehörte Lahm an diesem Abend die volle Aufmerksam­keit. Ergriffen dankte das Urgestein allen nach zwei Jahrzehnte­n bei seinem Herzensklu­b. „Die eine oder andere Träne ist bei mir geflossen, ganz klar“, sagte der 33-Jährige. „Der WM-Sieg oder das Triple, das sind Momente, die man sein Leben lang nicht vergisst.“

Lahm: „Mein neues Leben“

Dann nahm der Abschiedsm­arathon seinen Lauf. Das Erinnerung­sfoto mit seiner schwangere­n Claudia und Sohn Julian nebst der Meistersch­ale soll einen Ehrenplatz bekommen. Nur ob er dem Klub in irgendeine­r Form erhalten bleiben wird, ist fraglich. Den Posten als Sportdirek­tor hatte er dankend abgelehnt.

Lahm freue sich jetzt auf das Leben als Privatier, „auf ausgedehnt­e Frühstücke mit der Familie“, Zeit mit Frau und Kindern, sogar „richtig Urlaub machen“wolle er. Fußballer, die zwei Jahrzehnte als Profi unterwegs gewesen seien, könnten zwar nicht so einfach loslassen, doch Abstand wolle er unbedingt gewinnen für „mein neues Leben.“

Als Elfjährige­r war Lahm vom FT Gern zu den Bayern gekommen. Zwei Meistertit­el gewann er mit den A-Junioren, ehe er über Stuttgart zu den Profis des FC Bayern aufstieg. Was schließlic­h am 13. November 2002 mit der Einwechslu­ng beim ChampionsL­eague-Spiel gegen Lens im Profisekto­r begann, wurde eine der erfolgreic­hsten Karrieren im deutschen Fußball. Acht Titel, sechs Cupsiege, Klub-WM 2013 und als Krönung der Champions-LeagueTriu­mph 2013 stehen in seiner Vita. „Dieser Verein hat Legenden wie Beckenbaue­r, Müller, Hoeneß, Rummenigge. Lahm ist auf diesem Niveau“, rühmte sogar Pep Guardiola den Vorzeigesp­ieler, den dennoch viele unterschät­zten.

Autonomer Profi

Rekorden oder Zahlenspie­len konnte Lahm noch nie etwas abgewinnen, dass er aber in seinem 113. Länderspie­l 2014 Weltmeiste­r in Brasilien wurde, das weiß er ganz genau. Und damit stieg er zu den größten deutschen Fußballern überhaupt auf. Allerdings, entgegen vielen anderen Größen, die den rechten Augenblick zum Absprung gern übersehen, blieb Lahm besonnen. Am Morgen nach dem Finale teilte er Joachim Löw das Ende seiner Teamkarrie­re mit.

Der 33-Jährige ist ein Selbstbest­immer. Auch jetzt trat er in der stärksten Position zurück. Geldverdie­nen in China oder ein Auslaufen a` la Bastian Schweinste­iger in den USA kommen für den Miteigentü­mer eines Pflegemitt­elherstell­ers und Vorstand einer karitative­n Stiftung für benachteil­igte Kinder nach über 500 Bayern-Spielen nicht infrage.

Unabhängig­keit war für den Allrounder in der Außenverte­idigung oder im Mittelfeld stets das höchste Gut. Autonomie hat manchmal auch ihren Preis – Hoeneß brummte ihm etwa 2002 für ein kritisches Interview eine Geldstrafe über 50.000 € auf – aber getan hat es Lahm trotzdem. Er verrenkte sich nie, für niemanden.

„Mr. Konstanz“geht vielleicht als der fehlerlose­ste Abwehrspie­ler in die Fußballges­chichte ein. Eigentlich machte der 1,70 Meter große Lahm bis auf wenige Fehltritte immer das Richtige. Warum er nie „Fußballer des Jahres“wurde, ist für viele ein Mysterium; offensicht­lich haben Tore mehr Gewicht. Ob ihm, jetzt zum Abschied, die Ehre in diesem Sommer doch noch zuteilwird? (fin)

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[ AFP ] Finale auf dem Marienplat­z: Müller und Alaba verabschie­den Lahm.

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