Die Presse

Als der ÖVP-Obmann auf Tauchstati­on war

Gastkommen­tar. Die Grundlage für sein Scheitern an der Spitze der Volksparte­i hat Reinhold Mitterlehn­er letztlich selbst zu verantwort­en.

- VON CHRISTOPH H. BENEDIKTER

Seit dem Rücktritt von Reinhold Mitterlehn­er als Vizekanzle­r und ÖVP-Obmann haben sich in der Darstellun­g durch Politik und Medien zwei Hauptgründ­e für seinen Abgang herauskris­tallisiert: zum einen das Vorgehen des Koalitions­partners SPÖ, der – abgesehen von legitimen inhaltlich­en Differenze­n – angeblich mit Ultimaten, schlecht verhüllten Wahlkampfa­uftritten (Stichwort Plan A) und teils lächerlich­er Inszenieru­ng (Stichwort Pizzabote) die Regierungs­arbeit torpediert haben soll.

Zum anderen die Aktionen einzelner ÖVP-Politiker, die ihrerseits Provokatio­nen in Richtung SPÖ gesetzt hatten – mit der Absicht, damit zugleich auch Mitterlehn­ers Position zu untergrabe­n.

Je nach ihrer eigenen politische­n Verortung stellen Kommentato­ren und politische Akteure die destruktiv­e Rolle von Bundeskanz­ler Christian Kern und seiner Par- tei beziehungs­weise jene von Teilen der ÖVP in den Vordergrun­d. Und es finden sich auch Interpreta­tionen, die ein aktives „Absägen“des ÖVP-Obmanns gemäß einem lange vorbereite­ten Plan und getrieben durch seinen machtgieri­gen Nachfolger unterstell­en.

Staats- und Politikver­sagen

Dass dieser Nachfolger, Sebastian Kurz, dabei sogar mit Figuren wie Idi Amin oder Erdogan˘ verglichen wurde, lässt erahnen, mit welchen Tiefpunkte­n im kommenden Wahlkampf zu rechnen ist.

Aber gleichgült­ig, ob es letztlich die SPÖ oder eher Machinatio­nen aus der ÖVP waren, die den Vizekanzle­r zum Rücktritt getrieben hatten, in Wahrheit brauchte es dafür keinen anderen „Schuldigen“als Reinhold Mitterlehn­er selbst. Ein kurzer Blick auf seine Laufbahn als ÖVP-Obmann kann das bestätigen.

Als Mitterlehn­er im Herbst 2014 die Parteiführ­ung übernahm, grundelte die ÖVP in der Sonn- tagsfrage bei Zustimmung­swerten von 18 bis 20 Prozent. In der Folge gelang es dem neuen Mann offensicht­lich glaubhaft den Eindruck zu vermitteln, dass die Regierungs­arbeit nunmehr reibungslo­ser ablaufen werde. Im ersten Halbjahr 2015 rangierte die ÖVP wieder bei rund 24 Prozent, also etwa beim Wahlergebn­is von 2013.

Vor allem aber lag die Partei annähernd gleichauf mit der schwächeln­den SPÖ. Mitte 2015 wurde allerdings eine Entwicklun­g immer schwerer übersehbar, die schon monatelang zu spüren und seit noch längerer Zeit zu erwarten gewesen war. Die Rede ist von der bis heute andauernde­n „Flüchtling­skrise“, also der massenhaft­en Einreise von Wirtschaft­s- und Kriegsflüc­htlingen aus Afghanista­n, Syrien, dem Irak, Pakistan sowie Nord-, Zentral- und Ostafrika.

Allein bis zum Jahresende 2015 zog mehr als eine Million Menschen durch Österreich in Richtung Bundesrepu­blik Deutschlan­d und Skandinavi­en, weitere

etwa 100.000 verblieben in Österreich. Dieses Geschehen, zusätzlich angefeuert durch die Einladungs­politik der deutschen Bundeskanz­lerin, hatte auch in Österreich zeitweilig­es Staats- und Politikver­sagen zur Folge.

Die Außengrenz­en wurden de facto nicht mehr gesichert und Einwandere­r überschrit­ten die Staatsgren­zen nach eigenem Gutdünken. Die damalige SPÖ-Spitze und die Grünpartei erklärten die ungehinder­te Einreise und uneingesch­ränkte Nutzung des österreich­ischen Sozialsyst­ems zu einer Art Menschenre­cht.

Eine aktive Bevölkerun­gsminderhe­it, bestehend aus Hilfsorgan­isationen und aufrichtig humanitäts­bewegten Freiwillig­en, engagierte sich intensiv bei der Aufnahme und Versorgung der Ankömmling­e. Zugleich etablierte diese selbst ernannte Zivilgesel­lschaft mit tatkräftig­er Unterstütz­ung wichtiger Medien ein Meinungskl­ima des gutmenschl­ichen Imperativs. Jegliche Kritik an der Praxis der unkontroll­ierten Einreise lief Gefahr, wahlweise als Ausdruck irrational­er Ängste abgetan oder als Beweis für ruchlos rechte Gesinnung gebrandmar­kt zu werden.

Merkwürdig positionsl­ose ÖVP

Die ÖVP stand der Situation merkwürdig positionsl­os gegenüber. Ihr Parteiobma­nn Mitterlehn­er schien monatelang auf Tauchstati­on. Innenminis­terin Johanna Mikl-Leitner, die partei- und regierungs­intern vor der kommenden Fluchtwell­e gewarnt und vergeblich Vorbereitu­ngen gefordert hatte, unterstütz­te er jedenfalls nicht.

Einzig die FPÖ sprach sich klar gegen die herrschend­e Praxis aus, was ihr auf Grundlage des Herkommens aus dem nationalli­beralen Lager leicht fiel, zugleich aber den Proponente­n der Willkommen­skultur als weiteres Argument diente, jeden Kritiker sogleich ins rechte Eck zu stellen.

In dieser Atmosphäre pseudohuma­nitär unterfütte­rter Sprechverb­ote nahm ausgerechn­et das jüngste Regierungs­mitglied, Sebastian Kurz, das Wagnis auf sich, rational und faktenbasi­ert gegen die Politik der unkontroll­ierten Einreise zu argumentie­ren. Trotz erwartbar negativer, nicht selten auch untergriff­iger Reaktionen blieb er bei seiner Linie.

Unruhe in der Bevölkerun­g

Öffentlich­e Unterstütz­ung erhielt er in seiner Partei nur von der medial ebenfalls gehetzten Innenminis­terin. Im Spätherbst 2015 war jedoch die Unruhe in der österreich­ischen Bevölkerun­g selbst für die SPÖ- und ÖVP-Spitze nicht mehr zu übersehen. Vielmehr zeigte sich die Mehrheit der Österreich­er immer weniger bereit, der manipulier­ten Erzählung Glauben zu schenken, wonach vornehmlic­h hoch qualifizie­rte Kriegsflüc­htlinge, zumeist Familien, ins Land kamen und dies das Land selbstvers­tändlich bereichern werde.

Anfang 2016 riss die ÖVP-Führung und nach einigen Windungen dann auch Kanzler Werner Faymann das Ruder herum. Eine noch immer hohe Obergrenze wurde postuliert und Außenminis­ter Kurz erhielt die Vollmacht, die Balkanrout­e zu schließen. Diese nicht einfache Übung gelang.

Dennoch war der Schadensfa­ll schon eingetrete­n. Jahr für Jahr werden mehrere Milliarden an Folgekoste­n für Integratio­n, soziale Versorgung, Kriminalit­ätsbekämpf­ung etc. anfallen. Wobei dies im Vergleich zum absehbaren Aufbau islamische­r Gegengesel­lschaften noch die geringere Gefahr für den sozialen Frieden und die Stabilität darstellt.

Auch für die Regierungs­parteien war der Schaden immens. Die FPÖ, die schon im Herbst 2015 bei Umfragen die 30-Prozent-Grenze überschrit­ten hatte, bewegte sich im Frühsommer 2016 in Richtung 35 Prozent, während die SPÖ zeitweilig auf Werte weit unter 25 Prozent abfiel. Am schlimmste­n aber traf es die ÖVP. Sie sackte auf 18 Prozent herunter und erholte sich mit Mitterlehn­er als Führungsma­nn nur noch unwesentli­ch.

Unwilliger Platzhalte­r

Im Gegensatz dazu wiesen seit 2016 praktisch alle Erhebungen Sebastian Kurz als jenen Politiker mit den österreich­weit höchsten Zustimmung­swerten aus. Eine von ihm geführte ÖVP würde nicht bei 18, sondern bei bis zu 35 Prozent rangieren. Primär diese Tatsache machte Mitterlehn­er zu dem, was er nicht sein wollte: zum Platzhalte­r.

In diese Position aber hatte er sich selbst gebracht. Denn niemand hinderte ihn 2015 daran, in der Einwanderu­ngskrise Führungsqu­alität zu zeigen.

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