Das deutsche Griechendilemma
Währungsunion. Deutschland will den IWF wieder bei Finanzierung und Überwachung der GriechenlandHilfe an Bord haben. Doch Berlin verweigert jenen Schuldennachlass, den der Fonds für unverzichtbar hält.
Brüssel. Sieben Jahre nach dem Beginn der europäischen Bemühungen, den griechischen Staat dauerhaft vor dem finanziellen Ruin zu bewahren, hat sich an der weltanschaulichen Frontlage nichts geändert. Rund 260 Milliarden Euro an niedrig verzinsten Hilfskrediten von den anderen Eurostaaten und dem Internationalen Währungsfonds haben Griechenland seit Mai 2010 zwar zahlungsfähig gehalten. Doch sofern es nicht zu einer wundersamen Vermehrung der griechischen Arbeitskräfte oder einem unerhörten Anstieg der hellenischen Produktivität kommt, wird sich Athen auf Jahrzehnte hinaus nicht von seiner enormen Schuldenlast lösen können.
Doch zumindest eines hat sich im nun dritten Griechenland-Paket geändert: Der Währungsfonds zahlt bei diesem 86 Mrd. Euro umfassenden und bis Mitte 2018 laufenden Programm nicht mit. Dem Fonds sind die Hände gebunden. Seine Untersuchung der griechischen Staatsfinanzen kam im Februar zu dem Schluss, dass die Schuldenquote von derzeit mehr als 180 Prozent der Wirtschaftsleistung „trotz großzügiger staatlicher Hilfen, die bereits von seinen europäischen Partnern geleistet wurden“, nicht tragbar sei. Ab 2022, wenn die billigen europäischen Hilfskredite nach und nach durch Anleihen auf dem freien Markt ersetzt werden, werde Griechenlands Staatsschuldenquote bis zum Jahr 2060 auf 275 Prozent steigen. 62 Prozent der griechischen Wirtschaftsleistung gingen dann für den Schuldendienst drauf. Das wäre wirtschaftlich und politisch unhaltbar, die eigenen Regeln verbieten es dem Fonds, auf diese Weise Geld in ein schwarzes Loch zu werfen. Nur bei einem Schuldennachlass, der logischerweise auf Kosten der Steuerzahler in den anderen Eurostaaten ginge, wäre der IWF weiterhin an Bord.
Politischer Aufwind im „Club Med“
Das stellt die deutsche Regierung, mit knapp 27 Prozent Anteil am Rettungsprogramm größter Gläubiger Athens, vor ein Dilemma. Sie möchte den Fonds weiterhin an Bord haben. Seine Expertise in der Überwachung und Umsetzung von harten Sanierungsprogrammen ist unerreicht. In Abwesenheit des Fonds wittern Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzminister, Wolfgang Schäuble, zudem die Gefahr, dass die südeuropäischen Eurostaaten, angeführt von Frankreich, von einer strengen Umsetzung des griechischen Reformprogramms absehen und allzu rasch auf etwaige Erpressungsversuche aus Athen eingehen – man erinnere sich nur an das Psychodrama, das das linkspopulistische hellenische Gespann von Ministerpräsident Alexis Tsipras und Finanzminister Yanis Varoufakis Anfang 2015 auf Kosten der Währungsunion und ihrer eigenen Bürger inszenierten.
Doch um den IWF wieder an Bord zu holen, müssten die Deutschen jenem Schuldennachlass zustimmen, den Schäuble am Montag nach seiner Ankunft beim Treffen der Euro-Gruppe in Brüssel gleichermaßen dreifach verleugnete: Griechenland brauche keinen Schuldennachlass, niemand verlange ihn offiziell, und überhaupt binde ihm als deutschem Finanzminister das Grundgesetz die Hände. „Über weitergehende Maßnahmen kann der deutsche Finanzminister nicht verhandeln, er muss Nein sagen, es sei denn, er hat zuvor ein Mandat vom Bundestag bekommen. Das gibt es nicht, und es will auch niemand“, sagte Schäuble. In dasselbe Horn stieß Österreichs Finanzminister, Hans Jörg Schelling, auch ihm stehen wie Schäuble im Herbst Wahlen bevor: „Es gibt eine klare Position der meisten europäischen Länder, dass die Schuldenerleichterung so nicht stattfinden kann. Ich kann nur allen empfehlen, auch dem IMF, die Blockadehaltung aufzugeben, die hier offensichtlich aus politischen, nicht sachlichen Gründen erfolgt.“
Doch bis zu den Bundestagswahlen im September und den Nationalratswahlen am 15. Oktober bleibt keine Zeit. Athen muss im Juli eine Kreditrate von sieben Milliarden Euro zurückzahlen. Und im „Club Med“der Mittelmeerstaaten kommt nach der Wahl von Frankreichs Präsident, Emmanuel Macron, Gegenwind auf. Macron erklärte in einem Telefonat mit Tsipras, sich für eine Schuldenerleichterung starkmachen zu wollen. Und auch in der Kommission bekommt jene Fraktion Aufwind, die dieses Ziel verfolgt: „Ich hoffe, dass Griechenlands Partner ebenfalls ihre Verantwortung wahrnehmen“, sagte Währungskommissar Pierre Moscovici. Was er damit gemeint hat, werden die meisten Eurostaaten so lang ablehnen, wie Berlin es tut – oder Athen die Hilfsprogramme abbricht, sich für insolvent erklärt und mit dem Austritt aus der Währungsunion, dem Grexit, droht.
Weitere Infos: www.diepresse.com/griechenland
Über weitergehende Maßnahmen kann der deutsche Finanzminister nicht verhandeln, er muss Nein sagen. Finanzminister Wolfgang Schäuble zur Frage des Schuldennachlasses