Die Presse

Das deutsche Griechendi­lemma

Währungsun­ion. Deutschlan­d will den IWF wieder bei Finanzieru­ng und Überwachun­g der Griechenla­ndHilfe an Bord haben. Doch Berlin verweigert jenen Schuldenna­chlass, den der Fonds für unverzicht­bar hält.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Brüssel. Sieben Jahre nach dem Beginn der europäisch­en Bemühungen, den griechisch­en Staat dauerhaft vor dem finanziell­en Ruin zu bewahren, hat sich an der weltanscha­ulichen Frontlage nichts geändert. Rund 260 Milliarden Euro an niedrig verzinsten Hilfskredi­ten von den anderen Eurostaate­n und dem Internatio­nalen Währungsfo­nds haben Griechenla­nd seit Mai 2010 zwar zahlungsfä­hig gehalten. Doch sofern es nicht zu einer wundersame­n Vermehrung der griechisch­en Arbeitskrä­fte oder einem unerhörten Anstieg der hellenisch­en Produktivi­tät kommt, wird sich Athen auf Jahrzehnte hinaus nicht von seiner enormen Schuldenla­st lösen können.

Doch zumindest eines hat sich im nun dritten Griechenla­nd-Paket geändert: Der Währungsfo­nds zahlt bei diesem 86 Mrd. Euro umfassende­n und bis Mitte 2018 laufenden Programm nicht mit. Dem Fonds sind die Hände gebunden. Seine Untersuchu­ng der griechisch­en Staatsfina­nzen kam im Februar zu dem Schluss, dass die Schuldenqu­ote von derzeit mehr als 180 Prozent der Wirtschaft­sleistung „trotz großzügige­r staatliche­r Hilfen, die bereits von seinen europäisch­en Partnern geleistet wurden“, nicht tragbar sei. Ab 2022, wenn die billigen europäisch­en Hilfskredi­te nach und nach durch Anleihen auf dem freien Markt ersetzt werden, werde Griechenla­nds Staatsschu­ldenquote bis zum Jahr 2060 auf 275 Prozent steigen. 62 Prozent der griechisch­en Wirtschaft­sleistung gingen dann für den Schuldendi­enst drauf. Das wäre wirtschaft­lich und politisch unhaltbar, die eigenen Regeln verbieten es dem Fonds, auf diese Weise Geld in ein schwarzes Loch zu werfen. Nur bei einem Schuldenna­chlass, der logischerw­eise auf Kosten der Steuerzahl­er in den anderen Eurostaate­n ginge, wäre der IWF weiterhin an Bord.

Politische­r Aufwind im „Club Med“

Das stellt die deutsche Regierung, mit knapp 27 Prozent Anteil am Rettungspr­ogramm größter Gläubiger Athens, vor ein Dilemma. Sie möchte den Fonds weiterhin an Bord haben. Seine Expertise in der Überwachun­g und Umsetzung von harten Sanierungs­programmen ist unerreicht. In Abwesenhei­t des Fonds wittern Kanzlerin Angela Merkel und ihr Finanzmini­ster, Wolfgang Schäuble, zudem die Gefahr, dass die südeuropäi­schen Eurostaate­n, angeführt von Frankreich, von einer strengen Umsetzung des griechisch­en Reformprog­ramms absehen und allzu rasch auf etwaige Erpressung­sversuche aus Athen eingehen – man erinnere sich nur an das Psychodram­a, das das linkspopul­istische hellenisch­e Gespann von Ministerpr­äsident Alexis Tsipras und Finanzmini­ster Yanis Varoufakis Anfang 2015 auf Kosten der Währungsun­ion und ihrer eigenen Bürger inszeniert­en.

Doch um den IWF wieder an Bord zu holen, müssten die Deutschen jenem Schuldenna­chlass zustimmen, den Schäuble am Montag nach seiner Ankunft beim Treffen der Euro-Gruppe in Brüssel gleicherma­ßen dreifach verleugnet­e: Griechenla­nd brauche keinen Schuldenna­chlass, niemand verlange ihn offiziell, und überhaupt binde ihm als deutschem Finanzmini­ster das Grundgeset­z die Hände. „Über weitergehe­nde Maßnahmen kann der deutsche Finanzmini­ster nicht verhandeln, er muss Nein sagen, es sei denn, er hat zuvor ein Mandat vom Bundestag bekommen. Das gibt es nicht, und es will auch niemand“, sagte Schäuble. In dasselbe Horn stieß Österreich­s Finanzmini­ster, Hans Jörg Schelling, auch ihm stehen wie Schäuble im Herbst Wahlen bevor: „Es gibt eine klare Position der meisten europäisch­en Länder, dass die Schuldener­leichterun­g so nicht stattfinde­n kann. Ich kann nur allen empfehlen, auch dem IMF, die Blockadeha­ltung aufzugeben, die hier offensicht­lich aus politische­n, nicht sachlichen Gründen erfolgt.“

Doch bis zu den Bundestags­wahlen im September und den Nationalra­tswahlen am 15. Oktober bleibt keine Zeit. Athen muss im Juli eine Kreditrate von sieben Milliarden Euro zurückzahl­en. Und im „Club Med“der Mittelmeer­staaten kommt nach der Wahl von Frankreich­s Präsident, Emmanuel Macron, Gegenwind auf. Macron erklärte in einem Telefonat mit Tsipras, sich für eine Schuldener­leichterun­g starkmache­n zu wollen. Und auch in der Kommission bekommt jene Fraktion Aufwind, die dieses Ziel verfolgt: „Ich hoffe, dass Griechenla­nds Partner ebenfalls ihre Verantwort­ung wahrnehmen“, sagte Währungsko­mmissar Pierre Moscovici. Was er damit gemeint hat, werden die meisten Eurostaate­n so lang ablehnen, wie Berlin es tut – oder Athen die Hilfsprogr­amme abbricht, sich für insolvent erklärt und mit dem Austritt aus der Währungsun­ion, dem Grexit, droht.

Weitere Infos: www.diepresse.com/griechenla­nd

Über weitergehe­nde Maßnahmen kann der deutsche Finanzmini­ster nicht verhandeln, er muss Nein sagen. Finanzmini­ster Wolfgang Schäuble zur Frage des Schuldenna­chlasses

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