Wie Erdo˘gans Zirkel immer kleiner wird
Türkei. Der Präsident ist offiziell wieder Mitglied seiner AKP. Auf dem Weg zur Präsidialrepublik haben sich einige Parteifreunde von Erdo˘gan distanziert. Nach außen gibt man aber weiterhin die geeinte Front.
Wien/Ankara. Nach außen hin ist die Partei straff, einstimmig, durchorganisiert. Das hat die in der Türkei regierende AKP am Sonntag erneut bewiesen, als sie den Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan,˘ nach dem Verfassungsreferendum offiziell wieder zum Parteichef wählte. Wieder eine diszipliniert durchgeführte Veranstaltung, Bilder zeigen die stramm stehenden Teilnehmer, Erdogan˘ erhielt 96 Prozent Zustimmung. Während regierungskritische Kommentatoren angesichts der Bilder nordkoreanische oder machiavellistische Verhältnisse auf die Türkei zukommen sehen, fragen sich andere: Ist die Partei wirklich so geeint, wie sie sich gibt?
Das Referendum zur Verfassungsänderung ist zwar mit 51,4 Prozent zugunsten von Erdogan˘ ausgegangen, aber Berichte über manipulierte Stimmen trübten die Freude, richtig triumphiert hat der Präsident jedenfalls nicht. Teile der AKP-Stammwählerschaft haben sich während des Wahlkampfes skeptisch gezeigt, aber die Partei hat nicht wirklich auf die Kritik in den eigenen Reihen reagiert. Indessen wird die Führungsebene rund um Erdogan˘ immer exklusiver. Selbst als er noch nicht Parteivorsitzender war, hat der Präsident die AKP mit eiserner Hand geführt, sodass Kritik gleich geahndet wurde. Der ehemalige Premier und Außenminister Ahmet Davutoglu˘ musste gehen, auch der ehemalige Präsident Abdullah Gül sowie der ehemalige Bildungsminister Hüseyin C¸elik. Ex-Außenminister Ali Babacan wird zu Erdogan˘ nicht mehr vorgelassen, und der frühere Parlamentspräsident und Vizepremier Bülent Arınc¸ soll intern schon den Aufstand geprobt haben.
Die von der Partei geschassten Granden und Gründungsmitglieder sind seit ihrer Demontage erstaunlich leise; keine Kritik, keine kampflustigen Parolen Richtung Erdogan.˘ Das heizt die Gerüchte an, dass einige im Hintergrund an einer alternativen Partei werkeln oder sich der islamistisch-nationalistischen Saadet-Partei anschließen könnten. Zuletzt hatte die unter der Wahrnehmungsschwelle existierende Saadet-Par- tei um Abdullah Gül geworben. Auffällig ist jedenfalls, dass Gül und Davutoglu˘ bei offiziellen Veranstaltungen während des Referendum-Wahlkampfes mit Abwesenheit glänzten. Beobachter meinen aber auch, dass Gül nicht den Elan und Davutoglu˘ nicht das notwendige Netzwerk für eine neue Partei hätten. Mit einer steigenden Anzahl unzufriedener AKP-Mitglieder und Erdogans˘ Installierung von loyalen Parteifreunden und Verwandten in Schlüsselpositionen könnte sich das aber ändern.
Berichte über einen möglichen Zerfall der AKP kommen immer wieder auf. Vor allem nach den gewaltsam zerschlagenen Gezi-Park-Protesten haben sich hochrangige Mitglieder von der Partei distanziert. Nun kommt hinzu, dass die Führung der ultranationalistischen MHP auch für die Präsidialrepublik die Werbetrommel gerührt hat, was große Teile der Parteibasis für einen Fehler hielten. Der unzufriedene Teil der MHP soll bereits den Anschluss an den unzufriedenen Teil der AKP gesucht haben. (duö)