Als die Mafia den Krieg erklärte
Italien. Vor 25 Jahren wurde der Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone nahe Palermo ermordet. Den Kampf gegen das organisierte Verbrechen hat Italien seither verloren.
Palermo/Wien. Vielleicht war es sein geliebtes sizilianisches Meer, das Giovanni Falcone vor seinem brutalen Tod als Letztes sah. Der Anti-Mafia-Richter fuhr gerade an der Küste entlang Richtung Palermo, als die Erde an jenem frühsommerlichen Samstagnachmittag unter ihm explodierte: Mit einem enormen Knall wurde das Auto Falcones und jenes seiner Leibwächter zerfetzt. Der Richter, seine Frau und drei Leibwächter waren auf der Stelle tot. Die Explosion war dermaßen heftig, dass sie die Autobahn in einen Trümmerhaufen verwandelte.
Mit einer ferngezündeten 500-Kilo-Bombe hatte am 23. Mai 1992 die sizilianische Mafia dem italienischen Staat den Krieg erklärt. Das Attentat war eine Warnung: Falcone und sein Richterkollege Paolo Borsellino waren mit ihren akribischen, furchtlosen Ermittlungen zu weit gegangen. Die beiden waren dabei, das enge Geflecht zwischen organisierter Kriminalität, Politik und Wirtschaft aufzudecken. Falcone verdankte viele seiner Informationen Tommaso Buscetta, einem verhafteten Top-Mafioso. Buscetta war es auch, der 1984 gegenüber Falcone angedeutet hatte, dass eine „große Persönlichkeit der Politik“mit der Mafia einen Pakt geschlossen hatte. Nach Falcones Tod sagte der Kronzeuge offen, dass es sich um den mehrmaligen christdemokratischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti gehandelt hatte.
Pakt zwischen Bossen und Staat?
Falcone und Borsellino waren Sizilianer – und hatten als Sizilianer Tabus gebrochen, indem sie die jahrhundertelange Komplizenschaft der Institutionen mit der Unterwelt anprangerten. Sie bewiesen aller Welt, dass „sich die Mafia nicht dank eines staatlichen Vakuums entwickelt, sondern dass sie im Staat verwurzelt ist“– so wie es Falcones Lieblingsschriftsteller, Leonardo Sciascia, geschrieben hatte. Für ihr Engagement bezahlten die zwei Richter mit dem Leben: Wenige Wochen nach Falcone, am 19. Juli 1992, ermordete die Mafia auch Borsellino, mitten in Palermo. Politiker, die beim Staatsbegräbnis anwesend waren, wurden von Trauergästen bespuckt und beschimpft.
Die Morde fanden nicht zufällig zu einer Zeit statt, in der das politische Italien Kopf stand. Anti-Korruptions-Ermittlungen hatten zur Zerstörung des Parteiensystems geführt, die übermächtigen Christdemokraten standen vor ihrer Auflösung. Besonders zu dieser Partei hatte die Mafia stets gute Kontakte gepflegt. Es wurden Rufe nach einer sauberen Politik laut. Die Mafia hatte mit den Bomben die neuen Machthaber gewarnt, nicht zu weit zu gehen. Der Staat schlug trotzdem hart zurück: Zehntausende Soldaten wurden nach Sizilien geschickt, Mafiosi wurden verhaftet – darunter der Boss der Bosse, Salvatore Riina, der persönlich die Attentate angeordnet hatte. Der Papst bezeichnete die Mafia offen als „Kultur des Todes“. Cosa Nostra reagierte mit Bomben im Zentrum von Florenz, Mailand und Rom – mehrere Menschen starben. Sogar Kirchen gerieten ins Visier.
Die Lage beruhigte sich wieder, doch 25 Jahre nach den Morden sind mehr Fragen offen als beantwortet. Gerüchte über geheime Verhandlungen zwischen Bossen und Staat zu Beginn der 1990er-Jahre halten sich hartnäckig. Offenbar mussten die beiden Richter auch deshalb sterben – sie hatten zu viel erfahren. Einer, der diesen Verdacht geäußert hat, ist Senatspräsident Pietro Grasso: Er war ein enger Freund und Kollege Falcones und Borsellinos. „Ich hoffe, dass wir irgendwann die Wahrheit erfahren“, sagte er unlängst in einem Interview.
Die Zeit der Bomben ist zwar vorbei, aber den Krieg hat Italien nicht gewonnen – im Gegenteil. „Die Mafia ist wieder unsichtbar, so wie sie es vor 40 Jahren war. Sie hat wieder aufgehört, offiziell zu existieren“, schreibt der berühmte Autor und Journalist Roberto Saviano in der „Repubblica“. Tatsächlich hat das organisierte Verbrechen es geschafft, fixer Bestandteil des Systems zu werden. Berichte über (oft auffallend milde) Verurteilungen wegen Schutzgelderpressung machen kaum mehr Schlagzeilen in Sizilien, ebenso wie Ermittlungen wegen mafiöser Kommunalpolitik oder die alltäglichen Clan-Abrechnungen auf den Straßen Neapels.
Doch die Mafia agiert schon längst nicht mehr nur in ihren traditionellen Territorien im Süden: Mailand gilt inzwischen als geheime Hauptstadt der N’drangheta, des kalabresischen Pendants der Cosa Nostra. Dank ihres Businesses im reicheren Norditalien sind N’drangheta, Cosa Nostra und Camorra (Neapel) inzwischen zu den mächtigsten Wirtschaftsorganisationen des Landes aufgestiegen. Milliarden verdienen sie nicht nur mit illegalen Geschäften – Menschen-, Waffen-, Drogenhandel. Sie haben auch in sämtlichen Branchen – von der Bauwirtschaft bis hin zum Lebensmittelbereich – ihre Finger im Spiel. Vor allem aber ist die Mafia überall dort, wo es öffentliche Gelder gibt. Jüngstes Beispiel: Die N’drangheta soll Dutzende Millionen Euro für ein Flüchtlingslager in Kalabrien in die eigene Tasche haben verschwinden lassen. Die Tentakel der Krake erstrecken sich auch weit über Italiens Grenzen hinaus: Ermittler bestätigen die Präsenz der italienischen Mafia von Spanien bis nach Deutschland. Der Mafioso des 21. Jahrhunderts ist ein international tätiger Businessman, oft spricht er viele Sprachen.
Schon Falcone beklagte bitter: Damit die Mafia als Problem wahrgenommen wird, „sind zwei bis drei prominente Tote im Jahr notwendig“.