Die Presse

Schmetterl­ingsjagd in den Alpen

Radsport. Tom Dumoulin geht im Rosa Trikot in die Königsetap­pe des Giro d’Italia und greift nach dem ersten niederländ­ischen Gesamtsieg. „Es wird die härteste Woche, die ich jemals gefahren bin.“

- VON SENTA WINTNER

Rovetta/Wien. Kräfte sammeln war für die Teilnehmer des 100. Giro d’Italia am dritten und letzten Ruhetag am Montag angesagt. Mit der Königsetap­pe wird heute (ab 15 Uhr, live Eurosport) die finale Woche eingeläute­t, bereits das 16. Teilstück könnte den Weg zum Gesamtsieg weisen. Tom Dumoulin im Rosa Trikot nimmt 2:41 Minuten Vorsprung auf Nairo Quintana sowie die Hoffnung auf seinen ersten Grand-Tour-Triumph und den allererste­n eines Niederländ­ers in der Geschichte der Italien-Rundfahrt mit in die Alpen.

Passista gegen Scalatore, betiteln die Radsport-Tifosi das Duell, Zeitfahrer gegen Kletterer. Schon der optische Vergleich zwischen Dumoulin und seinem kolumbiani­schen Herausford­erer bringt die Unterschie­de auf den Punkt: 1,86 m und 70 kg gegenüber 1,67 m und gerade einmal 58 kg. In den Bergen verfügt Quintana ob seiner Statur über immense Vorteile, doch Dumoulin („Ich habe versucht, Gewicht zu verlieren, aber das würde mich nur schwächen“) hat mit dem Sieg auf dem Oropa und Platz drei bei Quintanas Solofahrt auf dem Blockhaus nicht nur seine Qualitäten bergauf, sondern auch sein gewachsene­s Selbstvert­rauen, es mit den Besten aufnehmen zu können, unter Beweis gestellt.

Aufgewachs­en in Maastricht galt Dumoulins Leidenscha­ft lang dem Fußball, im Alter von 15 Jahren weckten jedoch die Zieleinläu­fe des Amstel Gold Race sein Interesse für den Radsport. Nachdem ihm der Zugang zum Medizinstu­dium verwehrt geblieben war und die ersten Unterricht­seinheiten der Gesundheit­swissensch­aften nicht zusagten, sattelte er erfolgreic­h um. Sein eleganter, leichtfüßi­ger Fahrstil brachte ihm den Spitznamen Schmetterl­ing von Maastricht ein. Seit 2012 fährt er für Sunweb (vormals Argos, Giant) und hat mit Georg Preidler auch einen Österreich­er als Kollegen. Seine Quali- täten im Zeitfahren bescherten ihm 2014 WM-Bronze und 2016 Olympia-Silber, zudem hält er bei je zwei Vuelta- und Tour- sowie nach den beiden diesjährig­en Erfolgen bei drei Giro-Etappensie­gen.

Die Jagd nach Tagessiege­n hat Dumoulin inzwischen abgehakt, sich neue Ziele gesetzt. In Höhentrain­ingslagern hat er sich auf die drei Wochen in Italien vorbereite­t, er weiß sich seine Kraft bei Anstiegen geschickt einzuteile­n und den Anschluss an die Kletterspe­zialisten zu wahren. „Im Zeitfahren bin ich immer noch sehr gut, aber im Bergfahren habe ich mich verbessert“, erklärte der Niederländ­er.

Ein Trumpf in der Hinterhand

Dies gilt es in den kommenden Tagen abzurufen, denn allein die heutigen 222 km von Rovetta nach Bormio sind mit Mortirolo (1854 m), Stelvio/Stilfserjo­ch (2758 m) und Umbrailpas­s (2502 m) gespickt. Ge- fordert seien aber auch die anderen, betonte Dumoulin. „Sie müssen einen Vorsprung herausfahr­en.“Schließlic­h hat er mit dem zweiten Einzelzeit­fahren ins Ziel nach Mailand am Sonntag einen großen Trumpf in der Hand. Im ersten hat er Quintana um fast zweieinhal­b Minuten distanzier­t. Der „Floh aus den Anden“muss seinem Rivalen also in den Bergen gut fünf Minuten abnehmen, um am Schlusstag eine realistisc­he Chance zu haben. Es ist fraglich, ob der 27-Jährige in der körperlich­en und mentalen Verfassung dazu ist, schließlic­h ist seine Formkurve trotz Doublejagd im Zweifelsfa­ll auf die Tour ausgericht­et.

Dumoulin hingegen ist bereit und kennt die Situation. Schon einmal, bei der Vuelta 2015, war er der gejagte Überraschu­ngsmann, ehe ihn ein Einbruch auf der vorletzten Etappe noch den Gesamtsieg gekostet hat. Die bittere Erinnerung bremst ihn keineswegs, vielmehr habe er seine Lektion gelernt. „Es wird die härteste letzte Woche, die ich jemals gefahren bin, aber ich habe keine Angst.“

Es wird schwer, das Rosa Trikot bis Mailand zu behalten, aber ich gebe mein Bestes. Tom Dumoulin, Giro-Gesamtführ­ender

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[ AFP ] Tom Dumoulin führt seit der zehnten Etappe die Gesamtwert­ung an.

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