Die Presse

Der ganz normale Bitcoin-Irrsinn geht weiter

Analyse. Wilder Westen im Internet: 16.000 Prozent Kursgewinn binnen vier Jahren. Um die Cryptowähr­ung Bitcoin ist ein Spekulatio­nsboom entstanden. Die revolution­ären Gedanken treten in den Hintergrun­d. Jetzt geht es um die Kohle.

- VON NIKOLAUS JILCH

Wien. Es ist lustig. Da heißt es ständig, wir würden im globalen Turbokapit­alismus leben. Aber die Börsen sind am Wochenende geschlosse­n. Weltweit. Bei Gold-, Öl- und Dollarkurs­en tut sich rein gar nichts. Bei Bitcoin ist alles anders. Die sogenannte Kryptowähr­ung wird immer gehandelt. Vierundzwa­nzigsieben. Es ist wie im Wilden Westen. Zuletzt ist der Preis auf 2150 Dollar gestiegen. In Euro kratzen wir an der 2000er-Marke.

Gold ist günstig dagegen. Und langweilig. Bitcoin ist aufregend: Morgen könnte die Rakete gezündet werden, die den Preis auf 10.000 Euro schießt. Oder die Bombe platzt, und Bitcoin rasselt in den Keller. Niemand weiß es. Bitcoin ist aktuell die heißeste Spekulatio­n überhaupt. Das ist auch schon die erste Antwort auf die Frage: Was um Himmels Willen ist Bitcoin?

Womit wir es zu tun haben? Bitcoin ist eine selbstverw­altete Währung. Dahinter steht weder ein Staat noch eine Zentralban­k. Möglich gemacht hat sie das Internet. Der Sektor, aus dem Bitcoin kommt, ist jener der Cryptowähr­ungen. Tausende gibt es davon. Aber durchgeset­zt hat sich neben dem Platzhirsc­hen Bitcoin bisher nur Ether, wo eine „Münze“zuletzt mehr als 150 Euro gekostet hat. Allen Cryptowähr­ungen ist gemeinsam, dass sie physisch nicht greifbar sind, dass sie nur außerhalb etablierte­r Börsenstru­kturen gehandelt werden, dass sie unregulier­t sind und dass sie derzeit vor allem als Spekulatio­nsobjekt taugen. Wer bei Bitcoin von Anfang an dabei war, ist heute oft Millionär. Das wollen andere reproduzie­ren.

Freilich: Der neu geschaffen­e Wilde Westen der Cryptowähr­ungen ist auch gefährlich. Bitcoin und Ether sind vor allem im Dark Web beliebt, einem Amazon für Drogen, Waffen und andere exotische Wünsche, die der Gesetzgebe­r nicht so gern sieht. In echten Geschäften kann man dagegen eher selten einkaufen mit Bitcoin und Co. In Österreich und der Schweiz sind es laut dem Portal BTC-Echo nur 20 Firmen, die Bitcoin akzeptiere­n. Zusammenge­rechnet.

Chinesen feuern Bitcoin an

Aber darum geht es auch nicht. Bitcoin werden zwar laufend geschaffen, ihre Anzahl ist aber ultimativ auf 21 Millionen beschränkt. Wer möchte seine Bitcoin als Zahlungsmi­ttel verwenden, wenn sie ihn reich machen könnten? Hier sehen wir das Deflations­argument einmal ganz klar. Wenn das Geld in der Tasche jeden Tag um das Zigfache im Wert steigt, wird niemand etwas darum kaufen wollen. Bitcoin basiert als Konstrukt auf Gold – und erleidet jetzt dasselbe Schicksal. Statt zu fluktuiere­n, werden die Bitcoin weggepackt. Euro und Dollar bleiben Alltagswäh­rung. Das heißt freilich nicht, dass nicht ir- gendwann eine andere Cryptowähr­ung auftaucht, die den klassische­n Geldern, den Kreditkart­en und Bezahlfirm­en wirklich gefährlich werden kann. Aber dafür müssen auch die rechtliche­n Rahmenbedi­ngungen geschaffen werden. Das geschieht nur sehr langsam. Aber es geschieht. So hat Japan Bitcoin im April als Zahlungsmi­ttel zugelassen. Vielleicht versucht man auf der asiatische­n Insel auch nur, Geld vom Erzfeind China abzuziehen. Das war der letzte Treiber des Bitcoin-Preises: die Kapitalflu­cht aus China.

Peking sieht es nämlich gar nicht gern, wenn Geld aus dem Land fließt. Man hat Angst vor der Größe und Stärke der westlichen Kapitalmär­kte. In einer Krise könnten unfassbare Mengen an Wohlstand abgezogen werden, weshalb es für normale Währungen Kapitalver­kehrskontr­ollen gibt. Aber eben nicht für Bitcoin. Und weil das System zwar anonym, aber auch total transparen­t ist, wissen wir, dass die Chinesen in den vergan- genen Monaten Riesensumm­en per Bitcoin außer Landes geschafft haben. Zwar braucht man zum Kauf von Bitcoin normales, staatliche­s Geld. Und es ist auch der gesamte Zahlungsve­rkehr in der sogenannte­n Blockchain ablesbar. Aber die enthält keine Namen. Wer seine Bitcoin mit Bargeld an einem Automaten kauft (auch das gibt es, aber selten), kann sogar auf totale Anonymität bauen.

Theoretisc­h kann man mit Bitcoin Millionen unbedarft von A nach B schaffen. Sofern man die Nerven hat, Millionen in eine extrem schwankend­e Währung zu stecken. In China will man die Entwicklun­g auch nicht total behindern. Die Zentralban­k forscht schon fleißig an dem Thema und könnte sogar ihre eigene Variante einer Cryptowähr­ung entwickeln.

Blase? Immer mehr strömen hinein

Aber wie geht es weiter? Klassische Erklärungs­muster oder gar Charttechn­ik sind bei Bitcoin sinnlos. Der größte Teil des Auftriebs kommt immer noch daher, dass Cryptowähr­ungen für die breite Masse noch kein Begriff sind. Aber jetzt, da die Preise massiv steigen, wollen immer mehr Spekulante­n mitverdien­en. Das begünstigt die Entstehung einer Blase. Rückschläg­e kann es geben, wenn die Behörden Bitcoin ein Bein stellen oder eine der vielen unregulier­ten Börsen in die Mangel nehmen. Nationalba­nk-Chef Ewald Nowotny hat zudem im „Presse“-Gespräch kürzlich ausgeschlo­ssen, dass Bitcoin in Europa jemals legalen Status wie in Japan genießen könnte.

Aber gleichzeit­ig wäre es absurd, Bitcoin bereits als Verrückthe­it abzutun. Es wird zwar Spekulatio­n bleiben – aber kein Mensch kann sagen, für wie lange. Oder wie hoch Bitcoin noch steigen kann. Nicht vergessen: Vor vier Jahren war Bitcoin 13 Dollar wert. Einen Anstieg um fast 16.000 Prozent, den gibt es nirgends risikolos.

Newspapers in German

Newspapers from Austria