Der ganz normale Bitcoin-Irrsinn geht weiter
Analyse. Wilder Westen im Internet: 16.000 Prozent Kursgewinn binnen vier Jahren. Um die Cryptowährung Bitcoin ist ein Spekulationsboom entstanden. Die revolutionären Gedanken treten in den Hintergrund. Jetzt geht es um die Kohle.
Wien. Es ist lustig. Da heißt es ständig, wir würden im globalen Turbokapitalismus leben. Aber die Börsen sind am Wochenende geschlossen. Weltweit. Bei Gold-, Öl- und Dollarkursen tut sich rein gar nichts. Bei Bitcoin ist alles anders. Die sogenannte Kryptowährung wird immer gehandelt. Vierundzwanzigsieben. Es ist wie im Wilden Westen. Zuletzt ist der Preis auf 2150 Dollar gestiegen. In Euro kratzen wir an der 2000er-Marke.
Gold ist günstig dagegen. Und langweilig. Bitcoin ist aufregend: Morgen könnte die Rakete gezündet werden, die den Preis auf 10.000 Euro schießt. Oder die Bombe platzt, und Bitcoin rasselt in den Keller. Niemand weiß es. Bitcoin ist aktuell die heißeste Spekulation überhaupt. Das ist auch schon die erste Antwort auf die Frage: Was um Himmels Willen ist Bitcoin?
Womit wir es zu tun haben? Bitcoin ist eine selbstverwaltete Währung. Dahinter steht weder ein Staat noch eine Zentralbank. Möglich gemacht hat sie das Internet. Der Sektor, aus dem Bitcoin kommt, ist jener der Cryptowährungen. Tausende gibt es davon. Aber durchgesetzt hat sich neben dem Platzhirschen Bitcoin bisher nur Ether, wo eine „Münze“zuletzt mehr als 150 Euro gekostet hat. Allen Cryptowährungen ist gemeinsam, dass sie physisch nicht greifbar sind, dass sie nur außerhalb etablierter Börsenstrukturen gehandelt werden, dass sie unreguliert sind und dass sie derzeit vor allem als Spekulationsobjekt taugen. Wer bei Bitcoin von Anfang an dabei war, ist heute oft Millionär. Das wollen andere reproduzieren.
Freilich: Der neu geschaffene Wilde Westen der Cryptowährungen ist auch gefährlich. Bitcoin und Ether sind vor allem im Dark Web beliebt, einem Amazon für Drogen, Waffen und andere exotische Wünsche, die der Gesetzgeber nicht so gern sieht. In echten Geschäften kann man dagegen eher selten einkaufen mit Bitcoin und Co. In Österreich und der Schweiz sind es laut dem Portal BTC-Echo nur 20 Firmen, die Bitcoin akzeptieren. Zusammengerechnet.
Chinesen feuern Bitcoin an
Aber darum geht es auch nicht. Bitcoin werden zwar laufend geschaffen, ihre Anzahl ist aber ultimativ auf 21 Millionen beschränkt. Wer möchte seine Bitcoin als Zahlungsmittel verwenden, wenn sie ihn reich machen könnten? Hier sehen wir das Deflationsargument einmal ganz klar. Wenn das Geld in der Tasche jeden Tag um das Zigfache im Wert steigt, wird niemand etwas darum kaufen wollen. Bitcoin basiert als Konstrukt auf Gold – und erleidet jetzt dasselbe Schicksal. Statt zu fluktuieren, werden die Bitcoin weggepackt. Euro und Dollar bleiben Alltagswährung. Das heißt freilich nicht, dass nicht ir- gendwann eine andere Cryptowährung auftaucht, die den klassischen Geldern, den Kreditkarten und Bezahlfirmen wirklich gefährlich werden kann. Aber dafür müssen auch die rechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden. Das geschieht nur sehr langsam. Aber es geschieht. So hat Japan Bitcoin im April als Zahlungsmittel zugelassen. Vielleicht versucht man auf der asiatischen Insel auch nur, Geld vom Erzfeind China abzuziehen. Das war der letzte Treiber des Bitcoin-Preises: die Kapitalflucht aus China.
Peking sieht es nämlich gar nicht gern, wenn Geld aus dem Land fließt. Man hat Angst vor der Größe und Stärke der westlichen Kapitalmärkte. In einer Krise könnten unfassbare Mengen an Wohlstand abgezogen werden, weshalb es für normale Währungen Kapitalverkehrskontrollen gibt. Aber eben nicht für Bitcoin. Und weil das System zwar anonym, aber auch total transparent ist, wissen wir, dass die Chinesen in den vergan- genen Monaten Riesensummen per Bitcoin außer Landes geschafft haben. Zwar braucht man zum Kauf von Bitcoin normales, staatliches Geld. Und es ist auch der gesamte Zahlungsverkehr in der sogenannten Blockchain ablesbar. Aber die enthält keine Namen. Wer seine Bitcoin mit Bargeld an einem Automaten kauft (auch das gibt es, aber selten), kann sogar auf totale Anonymität bauen.
Theoretisch kann man mit Bitcoin Millionen unbedarft von A nach B schaffen. Sofern man die Nerven hat, Millionen in eine extrem schwankende Währung zu stecken. In China will man die Entwicklung auch nicht total behindern. Die Zentralbank forscht schon fleißig an dem Thema und könnte sogar ihre eigene Variante einer Cryptowährung entwickeln.
Blase? Immer mehr strömen hinein
Aber wie geht es weiter? Klassische Erklärungsmuster oder gar Charttechnik sind bei Bitcoin sinnlos. Der größte Teil des Auftriebs kommt immer noch daher, dass Cryptowährungen für die breite Masse noch kein Begriff sind. Aber jetzt, da die Preise massiv steigen, wollen immer mehr Spekulanten mitverdienen. Das begünstigt die Entstehung einer Blase. Rückschläge kann es geben, wenn die Behörden Bitcoin ein Bein stellen oder eine der vielen unregulierten Börsen in die Mangel nehmen. Nationalbank-Chef Ewald Nowotny hat zudem im „Presse“-Gespräch kürzlich ausgeschlossen, dass Bitcoin in Europa jemals legalen Status wie in Japan genießen könnte.
Aber gleichzeitig wäre es absurd, Bitcoin bereits als Verrücktheit abzutun. Es wird zwar Spekulation bleiben – aber kein Mensch kann sagen, für wie lange. Oder wie hoch Bitcoin noch steigen kann. Nicht vergessen: Vor vier Jahren war Bitcoin 13 Dollar wert. Einen Anstieg um fast 16.000 Prozent, den gibt es nirgends risikolos.