Wissenschaft kann den Menschen sehr wohl helfen, Sinn zu finden
Ein gutes Weltbild ist wie eine gute Hypothese: immer auf dem Prüfstand und anzupassen, wenn die Dinge sich ändern.
D ass es von mir keine Würdigungen von Reinhard Mitterlehner und Eva Glawischnig geben wird, liegt nicht an mangelnder Wertschätzung. Im Gegenteil: Österreich verlor zwei redliche Politikerpersönlichkeiten. Aber es gibt einfach zu viele andere Themen im Dunstkreis der Wissenschaft. Zum Beispiel die „Presse“-Debatte zu Wissenschaft, Wahrheit und Weltbild.
Heute werde ich argumentieren, dass es den „lieben Gott“für Weltbild und Sinnstiftung nicht braucht. Und das kam so: Als Sibylle Hamann meinte, Wissenschaft und „wahre“Fakten würden einen festen Boden unter den Füßen schaffen, widersprach ihr Rudolf Taschner zu Recht mit dem Hinweis, dass Wissenschaft nichts mit Wahrheit zu tun hätte, verkündete dann aber, Wissenschaft könne keine Maxime für das Leben liefern bzw. würde der Gesellschaft in moralistischer Weise Wertmaßstäbe vorgeben.
Dass ich daraufhin wissenschaftliche Fakten als elementare Basis für Politik und für ein aufgeklärtes Weltbild einmahnte, rief Michael Prüller auf den Plan, der am 14. 5. schrieb: „Das Faktische mag der feste Grund der Aufklärung sein. Die Grundlage der Demokratie ist aber die Idee der gleichen Würde aller Menschen.“Pardon, aber das ist exakt der Kern der Aufklärung. Weiter schreibt Prüller: „Wissenschaft ist eben etwas ganz anderes als Ideologie, Gefühl oder Glaube. Und nicht die Alternative dazu.“Zustimmung und Widerspruch zugleich: Diese unterschiedlichen Kategorien der Wahrnehmung des Seins sind nicht zu vermengen; dennoch ist es so einfach nicht, sind sie doch alle Produkte der Psyche, also unserer evolutionär gewordenen mentalen Instrumente, auf die wir letztlich auch in der Wissenschaft angewiesen sind.
Dennoch: Die Wissenschaften können brauchbare Weltbilder begründen. Zumal intelligente Menschen das, was sie wissen, nicht mit dem verwechseln, was es sonst noch geben mag, und weil sie ihre Art, die Welt zu sehen, nicht für die einzig mögliche halten (sollten). Sonst gäbe es ja auch keine weiteren Fortschritte in der Wissenschaft. Ein gutes Weltbild ist wie eine gute Hypothese: immer anzupassen, wenn sich Fakten-und Bewusstseinslage ändern. V erpflichtet uns aber das Wissen über unsere Begrenztheit dazu, an ein „höheres Prinzip“zu glauben? Etwa nach dem Motto „Nachweisen kann man es nicht, deswegen muss wohl was dran sein“? Ein Motto übrigens, das die sozialen Medien durchdringt, dem etwa auch die Anhänger der Homöopathie anhängen, mögen sie in anderen Bereichen auch noch so rationale Menschen sein. Diesem seltsamen Denken widersprach schon Konrad Lorenz in den 1930er-Jahren heftig, als sich die sogenannten Vitalisten ein metaphysisches Schlupfloch offenhielten und meinten, der Instinkt sei einer Erklärung weder bedürftig noch zugänglich.
Wohl auch als Anwalt des Jenseits meinte Michael Prüller sinngemäß, Wissenschaft tauge nicht zur Sinnstiftung. Einspruch, Euer Ehren! Verständlich, dass er als Pressesprecher von Kardinal Schönborn in alter kirchlicher Tradition versucht, die Bedeutung von Wissenschaft kleinzuschreiben. Dabei lieferte in den vergangenen Jahrzehnten die Naturwissenschaft vom Menschen klare Befunde dafür, dass Menschlichkeit, Moral und Sinnsuche als Anpassung an ein komplexes Sozialleben in die Welt kamen – packend zusammengefasst übrigens in Edward Wilsons „Die soziale Eroberung der Erde“(C. H. Beck, 2013).