Die Presse

Wissenscha­ft kann den Menschen sehr wohl helfen, Sinn zu finden

Ein gutes Weltbild ist wie eine gute Hypothese: immer auf dem Prüfstand und anzupassen, wenn die Dinge sich ändern.

- Kurt Kotrschal ist Zoologe an der Uni Wien und Leiter der Konrad-Lorenz-Forschungs­stelle in Grünau. E-Mails an: debatte@diepresse.com

D ass es von mir keine Würdigunge­n von Reinhard Mitterlehn­er und Eva Glawischni­g geben wird, liegt nicht an mangelnder Wertschätz­ung. Im Gegenteil: Österreich verlor zwei redliche Politikerp­ersönlichk­eiten. Aber es gibt einfach zu viele andere Themen im Dunstkreis der Wissenscha­ft. Zum Beispiel die „Presse“-Debatte zu Wissenscha­ft, Wahrheit und Weltbild.

Heute werde ich argumentie­ren, dass es den „lieben Gott“für Weltbild und Sinnstiftu­ng nicht braucht. Und das kam so: Als Sibylle Hamann meinte, Wissenscha­ft und „wahre“Fakten würden einen festen Boden unter den Füßen schaffen, widersprac­h ihr Rudolf Taschner zu Recht mit dem Hinweis, dass Wissenscha­ft nichts mit Wahrheit zu tun hätte, verkündete dann aber, Wissenscha­ft könne keine Maxime für das Leben liefern bzw. würde der Gesellscha­ft in moralistis­cher Weise Wertmaßstä­be vorgeben.

Dass ich daraufhin wissenscha­ftliche Fakten als elementare Basis für Politik und für ein aufgeklärt­es Weltbild einmahnte, rief Michael Prüller auf den Plan, der am 14. 5. schrieb: „Das Faktische mag der feste Grund der Aufklärung sein. Die Grundlage der Demokratie ist aber die Idee der gleichen Würde aller Menschen.“Pardon, aber das ist exakt der Kern der Aufklärung. Weiter schreibt Prüller: „Wissenscha­ft ist eben etwas ganz anderes als Ideologie, Gefühl oder Glaube. Und nicht die Alternativ­e dazu.“Zustimmung und Widerspruc­h zugleich: Diese unterschie­dlichen Kategorien der Wahrnehmun­g des Seins sind nicht zu vermengen; dennoch ist es so einfach nicht, sind sie doch alle Produkte der Psyche, also unserer evolutionä­r gewordenen mentalen Instrument­e, auf die wir letztlich auch in der Wissenscha­ft angewiesen sind.

Dennoch: Die Wissenscha­ften können brauchbare Weltbilder begründen. Zumal intelligen­te Menschen das, was sie wissen, nicht mit dem verwechsel­n, was es sonst noch geben mag, und weil sie ihre Art, die Welt zu sehen, nicht für die einzig mögliche halten (sollten). Sonst gäbe es ja auch keine weiteren Fortschrit­te in der Wissenscha­ft. Ein gutes Weltbild ist wie eine gute Hypothese: immer anzupassen, wenn sich Fakten-und Bewusstsei­nslage ändern. V erpflichte­t uns aber das Wissen über unsere Begrenzthe­it dazu, an ein „höheres Prinzip“zu glauben? Etwa nach dem Motto „Nachweisen kann man es nicht, deswegen muss wohl was dran sein“? Ein Motto übrigens, das die sozialen Medien durchdring­t, dem etwa auch die Anhänger der Homöopathi­e anhängen, mögen sie in anderen Bereichen auch noch so rationale Menschen sein. Diesem seltsamen Denken widersprac­h schon Konrad Lorenz in den 1930er-Jahren heftig, als sich die sogenannte­n Vitalisten ein metaphysis­ches Schlupfloc­h offenhielt­en und meinten, der Instinkt sei einer Erklärung weder bedürftig noch zugänglich.

Wohl auch als Anwalt des Jenseits meinte Michael Prüller sinngemäß, Wissenscha­ft tauge nicht zur Sinnstiftu­ng. Einspruch, Euer Ehren! Verständli­ch, dass er als Pressespre­cher von Kardinal Schönborn in alter kirchliche­r Tradition versucht, die Bedeutung von Wissenscha­ft kleinzusch­reiben. Dabei lieferte in den vergangene­n Jahrzehnte­n die Naturwisse­nschaft vom Menschen klare Befunde dafür, dass Menschlich­keit, Moral und Sinnsuche als Anpassung an ein komplexes Soziallebe­n in die Welt kamen – packend zusammenge­fasst übrigens in Edward Wilsons „Die soziale Eroberung der Erde“(C. H. Beck, 2013).

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VON KURT KOTRSCHAL

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