Existenzfrage für Sozialdemokratie: Verändern oder untergehen?
Die weit über 100-jährige Sozialdemokratie ist in ihrer heutigen Form überholt. Das diesjährige Wahljahr in Europa könnte zu ihrem Waterloo werden.
Der erste schwere Schlag erfolgte in Frankreich. Bei den Präsidentschaftswahlen erreichte Benoˆıt Hamon, der Kandidat der französischen Sozialdemokraten, gerade knapp über sechs Prozent der Stimmen. Der siegreiche Emmanuel Macron war früher wohl einmal Mitglied der Parti Socialiste, aber erst die Abwendung von dieser Partei ermöglichte seinen Wahlsieg; auch wenn ihn manche Sozialdemokraten noch immer als einen der Ihren bezeichnen.
Noch schlimmer wird das Desaster in Großbritannien werden. Jeremy Corbyn, Parteichef der traditionsreichen Labour Party, steuert seine Partei schnurstracks in den Untergang. Während Vorgänger wie Tony Blair noch erfolgreich den Weg zur politischen Mitte gegangen sind, geht Corbyn in die andere Richtung. Sein Programm sieht Verstaatlichungen und Steuererhöhungen vor. Es ist davon auszugehen, dass die Konservativen von Premierministerin Theresa May einen Erdrutschsieg einfahren werden und die Labour Party in der Bedeutungslosigkeit versinken wird.
In Deutschland ist der Hoffnungsträger der SPD entzaubert. Der neue Parteivorsitzende, Martin Schulz, hat sich vor allem mit der Forderung nach einer stärkeren Regulierung des Arbeitsmarkts positioniert. Er möchte die Errungenschaften der Agenda 2010 rückgängig machen, mit der Gerhard Schröder ein neues deutsches Wirtschaftswunder eingeleitet hat. Ergebnis: starkes Wirtschaftswachstum, Rekordbeschäftigung und Budgetüberschüsse. Die Deutschen fürchten sich zu Recht vor diesem Kurswechsel, die Sozialdemokraten liegen laut jüngsten Umfragen wieder weit abgeschlagen mit circa zehn Prozentpunkten hinter den Unionsparteien.
Auch in Österreich geht der Trend in diese Richtung. Mit der Forderung nach neuen und höheren Steuern, noch stärkeren Markteinschränkungen und Regulierungen des Arbeitsmarkts wird die SPÖ wohl nicht im Trend der Zeit liegen. Wie sagte es einmal ein Bekannter? „Die Sozialdemokraten haben allen ein eigenes Auto versprochen. Jetzt haben alle eines, aber sie finden keine Parkplätze mehr und wählen deshalb die FPÖ.“Nichts versinnbildlicht die Lage der Sozialdemokratie besser als diese Aussage.
Ja, die SPÖ hat in ihrer fast 130-jährigen Geschichte wichtige Dinge durchgesetzt: vom allgemeinen Wahlrecht über grundlegende Rechte und Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer, wie die Kranken- und Sozialversicherung, bis hin zu so wichtigen gesellschaftspolitischen Themen wie Fristenlösung, Demokratisierung der Universitäten und Reform des Strafrechts.
Heute aber sind die allermeisten dieser Anliegen übererfüllt. Gefordert ist nun eine größere Bereitschaft zu Leistung und zu eigener Verantwortung.
Es geht nicht um mehr Staat, sondern um weniger, und zwar in allen Lebensbereichen. Gewünscht sind weniger staatliche Eingriffe in die Märkte und nicht mehr. Die Menschen wollen mehr Freiheit statt noch mehr Regulierung und Bürokratie. Die Sozialdemokratie steht also vor einem ähnlichen Problem wie die Grünen: Deren durchaus wichtigen Anliegen haben längst die anderen Parteien übernommen.
So werden die Sozialdemokraten in ihren Forderungen immer extremer und realitätsfremder. Nicht zufällig bezeichnen heute viele Menschen die CDU als die bessere sozialdemokratische Partei. Die britische Premierministerin bezeichnet ihr jüngst veröffentlichtes Wahlmanifest als konservativ mit sozialer Verantwortung. Und es würde nicht überraschen, würde auch Sebastian Kurz bei den von ihm zu erwartenden Reformvorschlägen für Österreich eine soziale Abfederung inkludieren.
„Change Or Perish“(„Verändere dich, oder du wirst verschwinden“) hieß einmal der Titel eines Buchs für erfolgreiche Unternehmer. Vielleicht ist die Sozialdemokratie noch nicht am Ende. Aber um ihren Untergang aufzuhalten, müsste sie sich sehr rasch und sehr grundlegend verändern.
Die heutigen politischen Forderungen der Sozialdemokraten werden immer extremer und realitätsfremder.