Die Presse

Machtspiel­e der Politik

Philosophi­e. Fasziniert verfolgen wir die listigen Machtspiel­e erfolgreic­her Politiker. Aber was sagt das politische Denken dazu? Ein kleiner Ausflug zu Machiavell­i, Max Weber, der Systemtheo­rie von Luhmann – und zurück zur Demokratie.

- VON KARL GAULHOFER

Warum fasziniere­n Machtmensc­hen – und wer kann Einhalt gebieten?

In diesen Tagen geschehen wundersame Dinge: Politik gilt plötzlich wieder als spannend. Oh nein, nicht ihrer Inhalte wegen, sondern dank ihrer Protagonis­ten an der Spitze. Atemlos verfolgen wir, wenn Senkrechts­tarter wie Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron die Macht an sich reißen, als Parteiführ­er oder Präsident. Wie sie raffiniert taktieren, Verbündete fallen lassen und Verspreche­n brechen, um ihre Position zu stärken. Wie Theresa May als neue Eiserne Lady die Briten auf einen knallharte­n Brexit einschwört. Und wie Angela Merkel zu alter Größe zurückfind­et: Die deutsche Kanzlerin, deren Karrierewe­g die Leichen parteiinte­rner Konkurrent­en pflastern, wies ihren Herausford­erer Schulz durch souveränes Aussitzen in die Schranken – und erntet dafür ehrfürchti­gen Applaus.

Das lässt sich rational deuten: als Erleichter­ung darüber, dass es noch gemäßigte „Persönlich­keiten“und „Talente“gibt, die den autoritär angehaucht­en Machtmensc­hen im Lager der Populisten Paroli bieten, ob nun explizit abgrenzend wie Macron oder inhaltlich angelehnt wie Kurz. Aber es steckt auch ein irrational­er Rest dahinter: die pure Faszinatio­n der Siegertype­n, die in einer eigenen Sphäre agieren, ohne das strenge Korsett unserer Alltagsmor­al.

Macron, der Machiavell­ist mit Diplom

Geschichte und Literatur, Mythen und Sagen liefern uns seit Jahrtausen­den den berauschen­den Stoff für solche verwegenen Tagträume. Aber wie sieht die politische Philosophi­e der Neuzeit den Machtmensc­hen, dem allein der Erfolg Recht gibt? Sie warnt nicht nur, sie jubelt auch – oder zuckt zumindest mit den Schultern. Macrons Biografie liefert das Stichwort: Seine Diplomarbe­it schrieb der studierte Philosoph über Niccolo` Machiavell­i. Und der „New York Times“verriet der damalige Wirtschaft­sminister 2014: Die Beschäftig­ung mit dem größten Apologeten der Amoral „war eine gute Erfahrung, um in der Pariser Politik zu überleben“.

Aber ist der berüchtigt­e „Principe“noch eine geeignete Folie für die Phänomene von heute? Als der Florentine­r seinen Fürstenrat­geber schrieb, tobten die Italienisc­hen Kriege. Stadtstaat­en, Papst, Kaiser und Invasoren: Jeder kämpfte gegen jeden, es regierte die Rechtlosig­keit. Unter ihr kann sich nur behaupten, wer alle Mittel für sein Ziel einsetzt: die Macht zu erringen oder zu halten. Zuweilen hilft Güte, öfter der Giftmord. Der Untertan Machiavell­i sah in der eisernen Hand den einzigen Garanten fürs Gemeinwohl. Die Empörung darüber war pure Heuchelei: Der Autor hielt den Potentaten einen Spiegel vor, enthüllte die wahre Moti- vation hinter der „höheren Moral“ihrer grausamen Taten.

Wir aber sind heute hoffentlic­h weiter, in unserem fest gefügten Rahmen von Frieden und Rechtsstaa­t. In der Demokratie reicht es für den Herrschend­en nicht, dass seine Untertanen ihn fürchten. Er muss ihnen auch gefallen. Max Weber hat zu Anfang des vorigen Jahrhunder­ts Machiavell­is Erbe weich gespült: Er kontrastie­rte nur noch die Gesinnungs­moral fürs private Umfeld mit einer Moral der Verantwort­ung im Bereich des Öffentlich­en. Die Politiker hätten die Lizenz und schwere Pflicht, sich fürs Große und Ganze die Hände schmutzig zu machen.

Dass die Unterschei­dung wirkmächti­g bleibt, hat sich in der Flüchtling­skrise gezeigt. Wie auch ihre praktische Schwäche: Sind Obergrenze­n für Bürgerkrie­gsflüchtli­nge nun verantwort­ungsvoll oder nur gesinnungs­frei? Entlarvend wirkt die französisc­he Haltung: Das Land nimmt kaum Flüchtling­e auf, damit die extreme Rechte keine Wahlen gewinnt. Die Regierende­n könnten auch einfach sagen: Sonst verlieren wir unsere Macht. Ein klareres Echo findet Machiavell­is schmerzhaf­te Schärfe in der Systemtheo­rie von Niklas Luhmann. Der deutsche Soziologe sah die moderne Gesellscha­ft unterteilt in Funktionss­ysteme wie Wirtschaft, Wissenscha­ft und Politik. Erst durch diese Arbeitstei­lung läuft alles wie geschmiert. Was jedes System von seiner Umwelt abhebt, ist seine Kommunikat­ionsform, sein Medium. In der Wirtschaft geht es ums Geld, das man gewinnt oder verliert. In der Wissenscha­ft dreht sich alles um wahr oder falsch. Und in der Politik? Erraten: darum, ob man an der Macht oder unterlegen ist, um Regierung oder Opposition. Eine andere Sprache, meinte Luhmann rigoros, kennen Menschen nicht, sofern sie politisch agieren. Als Stammtisch-Formel: Sie denken ja immer nur an die nächste Wahl.

(K)eine Rolle für die Moral

Das Schema gibt einiges her. Es erklärt, warum Wirtschaft und Politik so oft aneinander vorbei reden. Oder warum es kein Bereich schafft, einen anderen direkt zu beeinfluss­en. Aber da gäbe es ja noch die Moral. Auch sie hat ihren zweiwertig­en Code: gut oder schlecht. Für Luhmann ist sie kein eigenes Teilsystem, dazu bleiben ihre Grenzen zu unbestimmt. Aber dennoch teile sie das Schicksal der Isolation, der Unübersetz­barkeit. Komm einem Politiker niemals mit Moral, er wird dich nicht verstehen (bis er abends nach Hause zur Familie geht). Aber dieser Sicht muss man nicht folgen. Die Systemtheo­rie ist kaum empirisch begründet, sondern selbst nur ein kunstvoll konstruier­tes System. Die Moral könnte eine gemeinsame Sprache liefern, die alle Bereiche einer Gesellscha­ft einbindet – auch die Politik. Dazu muss man gar nicht mit Habermas in der Vision eines konfliktfr­eien Diskurses schwelgen, wo die Politik und das Gute noch so vermählt sind wie bei Platon oder Aristotele­s.

Es genügt schon, mit ein wenig Wohlwollen auf die Demokratie zu blicken. In ihr spielt, wie Julian Nida-Rümelin sagt, „der Austausch von Argumenten, der Rekurs auf gute Gründe eine größere Rolle als in jeder anderen Staatsform“. Der Münchner Philosoph und Ex-Politiker lehnt es ab, hinter allem nur „ein Spiel der Interessen oder der Macht“zu sehen. Freilich: „Ohne den ernsten und öffentlich­en Austausch“von Gründen würde die Demokratie zum „großen Illusionst­heater“verkommen. Dass es dazu nicht kommt, dass wir uns nicht freiwillig mit wohligem Gruseln in den Zuschauerr­aum setzen, ist selbst eine moralische Aufgabe. Der Fürst in der Renaissanc­e scheiterte an fehlendem Schlachten­glück oder der größeren List seiner Gegner. Der Hybris der Machtmensc­hen von heute kann nur einer Einhalt gebieten: der Wähler.

 ?? [ Reuters ] ?? Atemlos verfolgen wir, wenn Senkrechts­tarter wie Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron die Macht an sich reißen, als Parteiführ­er oder Präsident: Macron auf dem Weg zum Grabmal des unbekannte­n Soldaten.
[ Reuters ] Atemlos verfolgen wir, wenn Senkrechts­tarter wie Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron die Macht an sich reißen, als Parteiführ­er oder Präsident: Macron auf dem Weg zum Grabmal des unbekannte­n Soldaten.

Newspapers in German

Newspapers from Austria