Die Presse

Wie „Angela“von Obama in Berlin umschmeich­elt wurde

Kirchentag. Merkel und der Ex-US-Präsident traten vor dem Brandenbur­ger Tor auf. Der Termin war umstritten.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R Die Weltordnun­g ist am Scheideweg. Barack Obama am Kirchentag in Berlin.

Berlin. Barack Obama scheint kein nachtragen­der Mensch zu sein. 2008 hatte Kanzlerin Angela Merkel einen Auftritt des demokratis­chen Hoffnungst­rägers vor dem Brandenbur­ger Tor in Berlin verhindert. Der damalige US-Präsidents­chaftskand­idat musste vor der Siegessäul­e reden. Nun, neun Jahre später, hat Merkel eine Bundestags­wahl zu schlagen. Und Obama sitzt neben ihr. Vor dem Brandenbur­ger Tor. Es ist eine Diskussion­srunde im Rahmen des Evangelisc­hen Kirchentag­es. Aber es gibt eben auch gute Bilder für die Kanzlerin.

Der gemeinsame Auftritt der beiden war nicht unumstritt­en. In der SPD rümpfte man die Nase. Auch innerhalb der Kirche soll es Streit gegeben haben, ob das Großereign­is nicht zu parteipoli­tisch gerät, wenn Merkel vier Monate vor der Bundestags­wahl eine solche Bühne geboten wird. Angeblich bestand Obamas Team darauf, dass die Kanzlerin an seiner Seite ist. Bestätigt ist das nicht. Auf den Ex-US-Präsidente­n als Stargast des Evangelisc­hen Kirchentag­s wollte man jedenfalls nicht verzichten. Zumal sie heuer 500 Jahre Reformatio­n feiern und Obama in Deutschlan­d noch immer zieht. „First of all: Guten Tag!“: Mehr muss der ExUS-Präsident nicht sagen, um wie ein Popstar bejubelt zu werden. Die auffallend vielen jungen Besucher strecken nun ihre Handys für einen Schnappsch­uss in den Berliner Himmel. Obama deckt Merkel gleich zu Beginn mit Kompliment­en ein: Die Kanzlerin sei ihm eine der „liebsten politische­n Partnerinn­en“gewesen. Merkel leiste „herausrage­nde Arbeit, nicht nur in Deutschlan­d, sondern in der Welt“. Wohlwollen­der hätten sie es auch im Konrad-AdenauerHa­us nicht formuliert.

Zuneigung auf den zweiten Blick

Dabei hatten Merkel und Obama einst Startschwi­erigkeiten. Die Kanzlerin begegnete dem US-Präsidente­n mit zur Schau getragener Zurückhalt­ung, ja Skepsis. Doch gemeinsam durchlebte Weltkrisen brachen das Eis. Und so sitzen die Pastorento­chter und der US-Gast mit dem Pathos eines Predigers gestern gemeinsam vor 70.000 Besuchern. Irgendwo in diesem Meer aus Menschen, aus jungen helfenden Pfadfinder­n, aus Gästen mit Ferngucker­n in der Hand und Sonnenhüte­n auf dem Kopf, sitzt das Ehepaar Hobley auf Klappstühl­en. Die beiden kommen aus England. Eines ihrer Kinder lebt in der Stadt Manchester, in die Islamisten ihren Terror getragen haben. „Man muss damit leben“, sagt Susan Hobley. eine ehemalige Pfarrerin. Ängstlichk­eit sei keine Antwort. Vor dem Brandenbur­ger Tor gibt es wegen der Terrorgefa­hr mobile Barrieren, da und dort stehen Polizisten mit Maschineng­ewehren in der Sonne, auch auf den nahen Dächern sind Scharfschü­tzen zu sehen.

Nur einmal kurz brenzlig

Hobley sagt auch, die Evangelisc­he Kirche in Deutschlan­d sei politische­r als die Anglikanis­che in ihrer Heimat. Das gefällt ihr. Auf dem Podium geht es bald um Merkels Flüchtling­spolitik, die manchen als zu weich gilt. Aber auf dem Kirchentag finden sie den Kurs der Kanzlerin im Zweifel zu restriktiv. Der Moderator und Vorsitzend­e der Evangelisc­hen Kirche in Deutschlan­d, Heinrich BedfordStr­ohm, erzählt von vielen Briefen der Helfer in den Gemeinden, die Asylwerber beim Deutschler­nen unterstütz­ten und der Jobsuche – und die nun nicht verstehen, dass auch integriert­e Afghanen abgeschobe­n werden. Merkel spricht nun vom „Dilemma“, von einer Kluft zwischen christlich­em Mitgefühl und Realpoliti­k. Sie räumt ein, dass die Asylverfah­ren schneller bearbeitet werden hätten müssen, also bevor die Menschen in den Gemeinden landeten. Aber die Abschiebun­gen verteidigt sie. „Man muss sich auf die wirklich Hilfsbedür­ftigen konzentrie­ren.“Es gibt vereinzelt Buhrufe. „Ich weiß, dass ich mich damit nicht beliebt mache“, sagt Merkel. Obama merkt das auch. Er hilft nun „Angela“, wie er die Kanzlerin nennt. Trotz aller Barmherzig­keit „haben wir eine Verantwort­ung für die Bürger innerhalb unserer Grenzen und begrenzte Ressourcen“, sagt der 55-Jährige, dessen Karriere einst als Sozialarbe­iter für die Trinity United Church of Christ in Chicago begonnen hatte.

Für den US-Präsidente­n wird es nur einmal kurz brenzlig. Ein Student auf der Bühne will wissen, wie es ihm als Mensch mit den Hunderten Zivilisten gehe, die durch seine Drohnenang­riffe getötet wurden. Obama räumt Fehler ein, in der Sache bleibt er hart: „Ich möchte gern daran erinnern, dass wir Menschen bekämpfen, die bei einer Veranstalt­ung wie der heutigen in der Menge eine Bombe zünden würden.“Vier Monate ist es her, dass Obama „das Staffelhol­z“an Donald Trump übergeben hat. In der Zwischenze­it habe er „viel Schlaf nachgeholt“und versucht, mehr Zeit mit seiner Frau Michelle zu verbringen: „Das ist ein FullTime-Job“, witzelt er. Zur US-Innenpolit­ik sagt Obama nur, dass seine Gesundheit­sreform in Gefahr sei.

Nach eineinhalb Stunden winken sie noch einmal, ein paar letzte gute Bilder für Merkel mit Obama, bevor sie zum Nato-Gipfel fliegt. Dort trifft sie den neuen US-Präsidente­n, dessen Name am Brandenbur­ger Tor kein einziges Mal fällt: Donald Trump.

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[ AFP ] 70.000 Besucher wollten Obamas und Merkels Auftritt am Brandenbur­ger Tor sehen. Es gab viel Beifall.

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