Trump, Putin, der Terror und Europas Selbstverteidigungsreflex
Die Union muss sich stärker militärisch schützen. Die Mittel dazu hat sie nun – und in Berlin und Paris Politiker, die den Ernst der Lage zu erkennen scheinen.
I n einem Nebensatz hat Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, am Donnerstag die Kluft zwischen Europa und der amerikanischen Regierung unter Donald Trump erfasst: „Ich bin mir nicht zu 100 Prozent sicher, dass wir heute sagen können, eine einheitliche Meinung über Russland zu haben“, sagte Tusk nach seinem ersten Treffen mit seinem Namensvetter aus den USA. Diese Einschätzung ist zutiefst beunruhigend. Denn bisher passte in der Frage der Haltung gegenüber dem autoritären, freiheitsfeindlichen Regime Wladimir Putins kein Blatt zwischen Europäer und Amerikaner.
Donald Trumps erster Amtsbesuch des alten Kontinents, in all seiner Inhaltsleere und Gleichgültigkeit, hob es auf drastische Weise hervor: Im Weißen Haus kümmert man sich nicht sehr um die Einheit und den Frieden Europas. Im Kreml hintertreibt man sie. Die Union ist, so sehr wie nie zuvor seit dem Ende des Kalten Krieges, zur Verteidigung ihrer eigenen Sicherheit verpflichtet. Wird sie das endlich tun, 63 Jahre nach der Zurückweisung des Projekts der Europäischen Verteidigungsunion durch das französische Parlament?
Einiges spricht dafür, sowohl hinsichtlich der rechtlichen Basis als auch des politischen Willens. In den jüngsten Tagen gab es drei vielversprechende Fortschritte. Erstens einigten sich die Verteidigungsminister vorige Woche auf Betreiben Deutschlands und Frankreichs darauf, einen Fonds zu schaffen, aus dem bei der Europäischen Verteidigungsagentur die Entwicklung von Waffensystemen bezahlt werden kann. 19 Mitgliedstaaten, darunter alle großen, haben ihre freiwillige Teilnahme erklärt. Schon nächstes Jahr soll der Fonds seine Arbeit aufnehmen.
Zweitens soll die Entwicklung eigener europäischer Militärtechnologien auch im Haushalt der Union an Gewicht gewinnen. Übernächste Woche wird die Kommission zu diesem Zweck ihren Europäischen Verteidigungsfonds enthüllen. In einem Monat sollen die nationalen Chefs bei ihrem Gipfel in Brüssel dazu ihr Plazet abgeben.
Und drittens haben die Verteidigungsminister gelobt, noch heuer eines der größten Hindernisse für den Einsatz der länderübergreifenden Gefechtsverbände aus dem Weg zu räumen, nämlich die Fra- ge nach der Finanzierung ihrer Einsätze.
Wohlgemerkt: Von einer „EU-Armee“, vor der Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil im wohlgeübten österreichischen Neutralitätsaffekt warnte, ist weit und breit nichts zu sehen. Die neuen verteidigungspolitischen Möglichkeiten fußen auf Freiwilligkeit. Doch die Mitglieder der Union sollten sie rasch ergreifen. Denn Europas militärische Aushöhlung ist erschütternd, wie der französische Sicherheitsforscher Jean-Thomas Lesueur im „Le Figaro“darlegte. Ein Beispiel: Nur jeder sechste französische Tigre-Kampfhubschrauber für den AntiTerroreinsatz in der Sahelzone ist einsatzbereit.
D och diese Operation in Mauretanien, Mali, Burkina Faso, Niger und Tschad gibt auch Grund zur Hoffnung. Denn Frankreichs Streitkräfte erhalten hier seit Jahren wirksame deutsche Hilfe. Zudem haben die beiden Regierungen im April die Gründung eines gemeinsamen Lufttransportstützpunktes in E´vreux beschlossen. Berlin und Paris werden dafür je vier militärische Transportflugzeuge kaufen; die Kredite dafür sind beiderseits des Rheins budgetiert. In vier Jahren wird es somit ein deutsch-französisches Lufttransportkorps geben, das Truppen rasch an Brennpunkte in Europas Nachbarschaft befördern kann.
Dass dies mit der C-130 aus den USA statt dem europäischen A400M von Airbus geschehen wird, der unter anderem deshalb nicht einsatzbereit ist, weil Fallschirmjäger beim Absprung aus ihm zerschreddert würden, illustriert die Risken länderübergreifender Rüstungsprojekte. Wenn es nur darum geht, in jedem Teilnehmerstaat unabhängig von der vorhandenen Kompetenz einen Teil der Fertigung unterzubringen, steigen die Kosten und sinkt die Qualität. Darum ist Vorsicht geboten, wenn die Kommission ihre guten verteidigungspolitischen Ideen mit dem Hinweis auf Arbeitsplätze zu versüßen versucht.