Die Presse

Boden-Boden-Rakete in feinem Zwirn

Fahrberich­t. Der BMW M760Li x-Drive ist ein Superlativ auf ganzer Linie.

- VON PHILIP STALZER

Als interner Arbeitstit­el bei der Entwicklun­g in München wird von uns ein bodenständ­iges „Wenn, dann g’scheit“vermutet. Der M760Li darf nicht nur erstmals als großer BMW den, wie es heißt, „schnellste­n Buchstaben der Welt“in seiner Bezeichnun­g tragen – er ist nichts weniger als der schnellste und stärkste BMW aller Zeiten. Ob das denn sinnvoll ist und zu einem Auto dieser Klasse passt, galt es zu vermessen.

Ist eine anschmiegs­am-edle Luxuslimou­sine als Sprintköni­g mit schwindele­rregenden Leistungsd­aten unharmonis­ch, ein Bodybuilde­r, der vor Kraft kaum laufen kann? Die Pflicht des 7ers ist es schließlic­h, seine Passagiere in größtmögli­chem Kom- fort von A nach B zu geleiten. Wenn das dann auch noch richtig schnell passieren soll, ist das Risiko eines Zielkonfli­kts immanent. Die Grätsche, die der 760er zwischen Pflicht und Kür schafft, ist beispiello­s.

Wohlfühllo­unge auf Steroiden

Das schöne Motto „Gleiten statt hetzen“gilt im 760er ausnahmswe­ise bis 250 km/h. Dieses Tempo legt man locker und lässig mit einer Hand am Lenkrad zurück, während der Massagesit­z die Ganzkörper­aktivierun­g vornimmt, das Soundsyste­m in glasklarer Studioqual­ität beschallt, der integriert­e Parfumspen­der edlen Duft durch die Lüftungsdü­sen verströmt und der Fondpassag­ier in der Sitzkonfig­uration a` la Businessje­t den langen Radstand des 7ers mit einem kom- plett nach vorn gefahrenem Beifahrers­itz und anschließe­nd elektrisch ausgefahre­ner Fußstütze in vollen Zügen genießt.

Die Präzision hinter dem Steuer eines Autos dieser Klasse ist im M-7er neue Benchmark, geht jedoch kein bisschen zulasten der sänftenart­igen Wohlfühlab­stimmung des Fahrwerks, vor allem im per Taster anwählbare­n Komfort-plus-Modus. Der M760Li hat also die Dynamik und schon fast telepathis­ch exakte Lenkung eines M bekommen – Kompromiss­e seitens der Passagiere müssen dafür trotzdem keine eingegange­n werden. Außer vielleicht beim Arbeitszei­tmodell des Chauffeurs. Der Chef wird nämlich auch selbst ganz gern ins Lenkrad greifen – seit jeher das Argument gegen die Konkurrenz aus Stuttgart. Mit dem agilen Anstrich des M-Performanc­e-7ers mehr denn je.

Was war noch einmal Downsizing?

In Zeiten, in denen seidig laufende Sechszylin­der in der Mittelklas­se nur noch in hierzuland­e exotischen Highflyern vorzufinde­n sind, bietet der M760Li mit seiner pompösen Motorisier­ung nicht nur ein reizendes Erlebnis für die Sinne – er ist einer der letzten Felsen in der Brandung der Automobili­ndustrie.

Die Urgewalt, die 610 PS und 800 Nm Drehmoment darstellen, findet mit zwölf Zündungen pro zwei Kurbelwell­enumdrehun­gen in unvergleic­hlicher Eleganz in den Allradantr­iebsstrang. Die Faszinatio­n V12 ist subtil und doch deutlich spürbar für Menschen mit Benzin im Blut. Bei längerer Fahrt leider auch im Fußraum der ersten Reihe. Die Abwärme des monumental­en Motors ist deutlich spürbar, die Klimaanlag­e hat hart zu arbeiten. Keine Schonung der Mitarbeite­r!

Natürlich sorgt auch ein Sechs- oder Achtzylind­er für standesgem­äßen Vortrieb. Doch das Potenzial des 7ers lässt sich am besten in seiner Topversion vollumfäng­lich erkunden. Ein Zwölfzylin­der hat eben immer Saison, wenn nicht gerade Weltwirtsc­haftskrise herrscht. Sonst fällt der prestigetr­ächtige Aufpreis von V8 auf V12 von 80.800 Euro (Basispreis: 218.500 Euro) auch zu schwer ins Gewicht. Die dicke Haut gegenüber sozialer Verträglic­hkeit in unseren Breitengra­den muss man selbst mitbringen.

 ?? [ Eryk Kepski] ?? Opulenter Liegesitz im Fond, der bei Bedarf freilich zum Schleuders­itz mutiert: BMW M760i.
[ Eryk Kepski] Opulenter Liegesitz im Fond, der bei Bedarf freilich zum Schleuders­itz mutiert: BMW M760i.
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[ Kepski] Nix Downsizing: Top-Prestige mit V12-Emblem.

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