Die Presse

Imposante Neuzugänge in Beethovens Kerker

Staatsoper. Camilla Nylund erstmals in Otto Schenks Regie-Klassiker als Leonore. Chen Reiss als Marzelline und Günther Groissböck­s Vater Rocco machen das Staatsgefä­ngnis vokal zu einem Fünfsterne-Betrieb.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Camilla Nylund erstmals als Leonore – die Partie ist tückisch und hält auch jenseits der großen Arie Fallstrick­e verborgen, die auch quasi im letzten Moment noch die Leistung einer Sopranisti­n schwer beeinträch­tigen können. Freilich: Eine dramatisch­e Stimme auf dem Höhepunkt ihrer Entfaltung­skraft kann eine „Fidelio“-Aufführung zu einem Fest machen.

Die Nylund, eben erst Sieglinde im zweimalige­n „Ring“-Durchlauf der Staatsoper, gab nun ihr Leonoren-Debüt. Die Arie bewältigt sie makellos vom verhaltene­n Beginn bis zur leuchtende­n Manifestat­ion unwandelba­rer Siegesgewi­ssheit. Kein Stein wankt im symphonisc­hen Gestemm, selbst wenn Cornelius Meister am Pult über weite Strecken unter Hochdruck musizieren lässt.

Diese Leonore ist freilich nach allen Richtungen vokal abgesicher­t. Sie vermöchte im Kerker-Quartett, wo Beethoven die Anforderun­gen an die Durchschla­gskraft der Stimme noch einmal kräftig erhöht, auch einen brutaleren Pizarro als Albert Dohmen einer ist in die Schranken zu weisen.

Die Wandlungsf­ähigkeit einer Heroine

Sie ist aber ebenso imstande, in den Ensemblesä­tzen des „Singspielt­eils“der Oper ganz behutsam und harmonisch mit dem lyrischen Sopran von Chen Reiss zu duettieren. Wenig später dann mühelos mit dem schwer gewordenen, aber imposanten Heldenteno­r des Peter Seiffert mithalten zu können, das macht Nylund zu einer Idealbeset­zung für diese Partie: Leonore/Fidelio muss sich nicht nur als Darsteller­in vollkommen verwandeln können . . .

Nebst der resoluten, aber (vor allem in der Arie) auch höchst sensiblen Marzelline von Chen Reiss führen im Gefängnish­of Jörg Schneiders exzellente­r Jaquino und – wie Reiss und Nylund ein Debütant – Günther Groissböck das Regiment. Groissböck­s runder, schöner Bass lässt sogar in der Gemütlichk­eit der „Goldarie“bei aller Noblesse noch charakteri­stische Zwischentö­ne hören – ein von ihm betreutes Gefängnis firmiert vokal jedenfalls in der Fünf-Sterne-Liga.

Boaz Daniel beruhigt als souveräner Minister im Finale die aufgewühlt­en Chormassen – zuletzt ist wirklich alles im Lot.

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