Imposante Neuzugänge in Beethovens Kerker
Staatsoper. Camilla Nylund erstmals in Otto Schenks Regie-Klassiker als Leonore. Chen Reiss als Marzelline und Günther Groissböcks Vater Rocco machen das Staatsgefängnis vokal zu einem Fünfsterne-Betrieb.
Camilla Nylund erstmals als Leonore – die Partie ist tückisch und hält auch jenseits der großen Arie Fallstricke verborgen, die auch quasi im letzten Moment noch die Leistung einer Sopranistin schwer beeinträchtigen können. Freilich: Eine dramatische Stimme auf dem Höhepunkt ihrer Entfaltungskraft kann eine „Fidelio“-Aufführung zu einem Fest machen.
Die Nylund, eben erst Sieglinde im zweimaligen „Ring“-Durchlauf der Staatsoper, gab nun ihr Leonoren-Debüt. Die Arie bewältigt sie makellos vom verhaltenen Beginn bis zur leuchtenden Manifestation unwandelbarer Siegesgewissheit. Kein Stein wankt im symphonischen Gestemm, selbst wenn Cornelius Meister am Pult über weite Strecken unter Hochdruck musizieren lässt.
Diese Leonore ist freilich nach allen Richtungen vokal abgesichert. Sie vermöchte im Kerker-Quartett, wo Beethoven die Anforderungen an die Durchschlagskraft der Stimme noch einmal kräftig erhöht, auch einen brutaleren Pizarro als Albert Dohmen einer ist in die Schranken zu weisen.
Die Wandlungsfähigkeit einer Heroine
Sie ist aber ebenso imstande, in den Ensemblesätzen des „Singspielteils“der Oper ganz behutsam und harmonisch mit dem lyrischen Sopran von Chen Reiss zu duettieren. Wenig später dann mühelos mit dem schwer gewordenen, aber imposanten Heldentenor des Peter Seiffert mithalten zu können, das macht Nylund zu einer Idealbesetzung für diese Partie: Leonore/Fidelio muss sich nicht nur als Darstellerin vollkommen verwandeln können . . .
Nebst der resoluten, aber (vor allem in der Arie) auch höchst sensiblen Marzelline von Chen Reiss führen im Gefängnishof Jörg Schneiders exzellenter Jaquino und – wie Reiss und Nylund ein Debütant – Günther Groissböck das Regiment. Groissböcks runder, schöner Bass lässt sogar in der Gemütlichkeit der „Goldarie“bei aller Noblesse noch charakteristische Zwischentöne hören – ein von ihm betreutes Gefängnis firmiert vokal jedenfalls in der Fünf-Sterne-Liga.
Boaz Daniel beruhigt als souveräner Minister im Finale die aufgewühlten Chormassen – zuletzt ist wirklich alles im Lot.