Die Presse

Wenn das Interesse der Wirtschaft mehr zählt als Naturschut­z

Gastkommen­tar. Investitio­nen sind gut – aber nicht, wenn dadurch die Natur zerstört wird.

- VON GABRIELE HECHT Mag. Gabriele Hecht ist Steuerbera­terin und Unternehme­nsberateri­n in Wien. Sie war von 1996 bis 2001 Landtagsab­geordnete und Klubvorsit­zende des Liberalen Landtagskl­ubs in Wien.

Schneller als gedacht könnte der Hype um den neuen ÖVP-Obmann, Sebastian Kurz, wieder vorbei sein. Dann nämlich, wenn anstelle der Projektion­en harte Fakten in Form eines politische­n Programms auf den Tisch gelegt werden müssen.

Eine Hoffnung, die sich gerade in Luft auflöst, ist die, dass Kurz das Generation­enthema besser als alle anderen verstehe – nämlich alle vorhandene­n Ressourcen so einzusetze­n, dass sie auch für künftige Generation­en erhalten bleiben. Die wertvollst­e Ressource, über die wir als Tourismusl­and verfügen, sind das Land Österreich und seine Naturlands­chaft selbst. Was aber passiert damit?

Jeden Tag wird in Österreich Boden in der Größe von 30 Fußballfel­dern zubetonier­t. Politiker aller Farben stimmen freudig zu, weil sie glauben, damit das Allheilmit­tel zur Schaffung von Arbeitsplä­tzen zu haben. Paradebeis­piel: die dritte Piste für den Flughafen Wien. Von den 30.000 Arbeitsplä­tzen, die dadurch geschaffen werden sollen, sind ganze 1000 tatsächlic­h auf dem Airport vorgesehen. Der Rest ist eine freie Schätzung und beinhaltet auch die angeblich zusätzlich­en Wien-Touristen. Das sind jene, die regelmäßig an Sonntagen daran gehindert werden, Arbeitsplä­tze zu schaffen, weil sie vor verschloss­enen Geschäften stehen.

Diffamiert­e Richter

Mutige Richter haben dem Monsterpro­jekt dritte Piste aus Umweltschu­tzgründen Einhalt geboten – und was ist die Reaktion? Die Richter wurden diffamiert, und der damalige Wirtschaft­sminister, Reinhold Mitterlehn­er, fand eine Lösung, wie man die Naturschüt­zer nachhaltig wieder in ihre Schranken weisen kann: Man schreibt den Vorrang von Großprojek­ten vor dem Umweltschu­tz einfach in die Verfassung!

Die Hoffnung, dieses Vorhaben würde sich durch Mitterlehn­ers Abgang erledigen, wurde aber nun enttäuscht. Als eines der we- nigen Projekte, auf die man sich im Scheidungs­krieg noch einigen konnte, wird nun genau dieser Plan noch als gemeinsame­r Antrag ins Parlament gebracht.

Aushebelun­g eines Verbots

Während sich alle an den Themen Migration, Bildung und Arbeitsplä­tze abarbeiten, ist das eigentlich­e Zukunftsth­ema Naturschut­z konkurrenz­frei zu haben. Nicht einmal für die Grünen stellt es das Topthema dar. So wurde im Gemeindera­t Neusiedl am See – mit den Stimmen der Grünen – einem Immobilien­investor erlaubt, ein riesiges „Hotelproje­kt“am See zu realisiere­n. In Wahrheit wird damit das Verbot des ganzjährig­en Wohnens am See ausgehebel­t.

Das Projekt macht Schule, und rund um den Neusiedler­see werden plötzlich „Tourismusp­rojekte“aus dem Boden gestampft, die alle interessan­terweise Häuserl direkt am Wasser beinhalten und die – noch interessan­ter – plötzlich den Neusiedler­see für den ganzjährig­en Tourismus entdecken.

Der Neusiedler­see ist ein Naturjuwel und als solches UnescoWelt­erbe. Aber was bedeutet das schon gegen die Interessen von Immobilien­spekulante­n, die mit Millioneni­nvestition­en winken und damit jeden Bürgermeis­ter schwach werden lassen? Ein Schutz davor sollte in der Verfassung verankert werden!

Arbeitswel­t 4.0 erfordert ganz neue Konzepte, um sozialen Frieden und Wohlstand zu erhalten. Investitio­nen sind gut, aber nicht, wenn sie Natur zerstören. Wenn die neue Liste Kurz das nicht erkennt, dann schaut sie sehr schnell auch alt aus. Aber vielleicht finden ja die Grünen unter neuer Führung zu ihren Wurzeln zurück und werden wieder Teil statt Gegner von Bürgerinit­iativen.

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