Abschreiben gegen das Vergessen
Kulturgeschichte. Im Papyrusmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek illustriert eine kleine Sonderschau „Wege des Wissens“. Nur auf den ersten Blick ist das unspektakulär.
Der Verfasser der Mahnung war zwar noch höflich, aber doch auch schon leicht ungehalten. Wie ausgemacht, solle der Empfänger seines Briefes doch endlich eine Weinrechnung bezahlen: Zwei Doppelkrüge um 60 Denare, vier Einzelkrüge um je 20 und ein Knidisches Maß um 35. Die Summe mache also 175 Denare aus. Er solle auch schrieben, wenn die Sache erledigt sei. Dieser Brief endet mit dem Wunsch nach langer „Gesundheit im Herrn“.
Es handelt sich also um eine Mahnung unter Christen. Die Anrede, der Text und der abschließende Gruß muten beinahe modern an, doch diese in Altgriechisch verfasste Geschäftskorrespondenz eines gewissen Asklepios an den Assistenten des Strategen in Kynopolis stammt aus dem späten 3. Jahrhundert nach Christus. Sie ist eines der ältesten Dokumente der Ausstellung „Handschriften und Papyri. Wege des Wissens“, die in der Österreichischen Nationalbibliothek im Papyrusmuseum zu sehen ist.
„. . . und der ganze Körper plagt sich“
Die Schau ist nur auf wenige Vitrinen mit mehr als 50 Exponaten beschränkt. Doch vor allem in Verbindung mit dem Katalog wird sie zum Pflichtprogramm für jeden Philologen. Diese Spezialabteilung der ÖNB besitzt einen selbst international einmaligen, riesigen Bestand an Papyri, die vom Team des Direktors der Sammlung, Bernhard Palme, erforscht werden. Jede Sonderausstellung ist zugleich auch ein Einblick in den Status quo der Forschung. Diesmal aber wird zudem interdisziplinär gearbeitet, mit Experten der Handschriftensammlung.
Das Ergebnis ist ein differenzierter Überblick, wie Texte in der Antike und im Mittelalter vor Erfindung des Buchdrucks tradiert und bewahrt wurden, wie die alten Klassiker überlebten. Es war eine mühevolle Handarbeit: „Drei Finger schreiben, und der ganze Körper plagt sich“, klagte einer der Kopisten. Als der Papyrus im Mittelalter vom Pergament abgelöst wurde, gab es in den Klöstern eine noch strengere Auslese. Die aufwendig präparierten Tierhäute, auf denen geschrieben wurde, waren teuer, oft wurde altes Material, dessen Text man als nicht mehr notwendig empfand, abgeschabt oder gewaschen und neu beschrieben. Heidnische Texte hatten geringe Überlebenschancen. Wenige Prozente nur. (Moderne Technik kann jedoch auf diesen Palimpsesten die darunterliegende Schrift oft sichtbar machen.)
Besonders schlimm waren die Bedingungen für lateinische und griechische Klassiker nach der Völkerwanderung bis ins 8. Jahrhundert. Oft überdauerte nur ein einziges Exemplar selbst berühmter Autoren die Zeiten, etwa vom Naturforscher Plinius oder dem Philosophen Lukrez. Aus den Jahren 400 bis 800 sind weniger als 2000 Bücher oder Buchfragmente überliefert. Mit der Karolingischen Renaissance änderten sich die Bedingungen in Europa jedoch. Aus dem 9. Jahrhundert sind gut 7500 Bücher vorhanden, viele qualitativ hervorragend, mit verbessertem Layout, neuen Standards in der Rechtschreibung, leichter lesbarer Schrift.
In Streifen geschnitten wiederverwertet
Die Highlights der Schau, die neun Forscher, vor allem von Unis aus England, den USA sowie aus Wien betreut haben: „De trinitate“des Hilarius von Poitiers aus dem 6. Jahrhundert, der einzige nahezu vollständige Papyrus-Kodex in Österreich. Die Wiener LiviusHandschrift, ein Fragment aus dem 5. Jahrhundert, das aus 193 feinen Pergamentblättern besteht. (Wahrscheinlich wurde es von einem angelsächsischen Missionar nach einer Romreise über die Alpen gebracht.) Drei Privatbriefe an einen Römer namens Macedo. Die Papyrusschrift wurde in Ägypten kurz vor Christi Geburt verfasst. Beinahe so alt sind Papyri zur „Ilias“, genauso spektakulär sind auch rund 1600 Jahre alte Pergamente – aus den „Historiae“des Sallust und von Plinius Secundus: Dessen „Naturalis historia“wurde in Streifen geschnitten, um ein anderes Buch zu verstärken. Nur so hat dieser Text die Jahrhunderte überdauert.