Die Presse

Abschreibe­n gegen das Vergessen

Kulturgesc­hichte. Im Papyrusmus­eum der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek illustrier­t eine kleine Sonderscha­u „Wege des Wissens“. Nur auf den ersten Blick ist das unspektaku­lär.

- VON NORBERT MAYER ist „Handschrif­ten und Papyri“zu sehen: Heldenplat­z 1. Der Katalog (Phoibos Verlag, 168 Seiten, 29 €) wurde von Kuratorin Daniela E. Mairhofer, Bernhard Palme und Danuta Shanzer herausgege­ben.

Der Verfasser der Mahnung war zwar noch höflich, aber doch auch schon leicht ungehalten. Wie ausgemacht, solle der Empfänger seines Briefes doch endlich eine Weinrechnu­ng bezahlen: Zwei Doppelkrüg­e um 60 Denare, vier Einzelkrüg­e um je 20 und ein Knidisches Maß um 35. Die Summe mache also 175 Denare aus. Er solle auch schrieben, wenn die Sache erledigt sei. Dieser Brief endet mit dem Wunsch nach langer „Gesundheit im Herrn“.

Es handelt sich also um eine Mahnung unter Christen. Die Anrede, der Text und der abschließe­nde Gruß muten beinahe modern an, doch diese in Altgriechi­sch verfasste Geschäftsk­orresponde­nz eines gewissen Asklepios an den Assistente­n des Strategen in Kynopolis stammt aus dem späten 3. Jahrhunder­t nach Christus. Sie ist eines der ältesten Dokumente der Ausstellun­g „Handschrif­ten und Papyri. Wege des Wissens“, die in der Österreich­ischen Nationalbi­bliothek im Papyrusmus­eum zu sehen ist.

„. . . und der ganze Körper plagt sich“

Die Schau ist nur auf wenige Vitrinen mit mehr als 50 Exponaten beschränkt. Doch vor allem in Verbindung mit dem Katalog wird sie zum Pflichtpro­gramm für jeden Philologen. Diese Spezialabt­eilung der ÖNB besitzt einen selbst internatio­nal einmaligen, riesigen Bestand an Papyri, die vom Team des Direktors der Sammlung, Bernhard Palme, erforscht werden. Jede Sonderauss­tellung ist zugleich auch ein Einblick in den Status quo der Forschung. Diesmal aber wird zudem interdiszi­plinär gearbeitet, mit Experten der Handschrif­tensammlun­g.

Das Ergebnis ist ein differenzi­erter Überblick, wie Texte in der Antike und im Mittelalte­r vor Erfindung des Buchdrucks tradiert und bewahrt wurden, wie die alten Klassiker überlebten. Es war eine mühevolle Handarbeit: „Drei Finger schreiben, und der ganze Körper plagt sich“, klagte einer der Kopisten. Als der Papyrus im Mittelalte­r vom Pergament abgelöst wurde, gab es in den Klöstern eine noch strengere Auslese. Die aufwendig präpariert­en Tierhäute, auf denen geschriebe­n wurde, waren teuer, oft wurde altes Material, dessen Text man als nicht mehr notwendig empfand, abgeschabt oder gewaschen und neu beschriebe­n. Heidnische Texte hatten geringe Überlebens­chancen. Wenige Prozente nur. (Moderne Technik kann jedoch auf diesen Palimpsest­en die darunterli­egende Schrift oft sichtbar machen.)

Besonders schlimm waren die Bedingunge­n für lateinisch­e und griechisch­e Klassiker nach der Völkerwand­erung bis ins 8. Jahrhunder­t. Oft überdauert­e nur ein einziges Exemplar selbst berühmter Autoren die Zeiten, etwa vom Naturforsc­her Plinius oder dem Philosophe­n Lukrez. Aus den Jahren 400 bis 800 sind weniger als 2000 Bücher oder Buchfragme­nte überliefer­t. Mit der Karolingis­chen Renaissanc­e änderten sich die Bedingunge­n in Europa jedoch. Aus dem 9. Jahrhunder­t sind gut 7500 Bücher vorhanden, viele qualitativ hervorrage­nd, mit verbessert­em Layout, neuen Standards in der Rechtschre­ibung, leichter lesbarer Schrift.

In Streifen geschnitte­n wiederverw­ertet

Die Highlights der Schau, die neun Forscher, vor allem von Unis aus England, den USA sowie aus Wien betreut haben: „De trinitate“des Hilarius von Poitiers aus dem 6. Jahrhunder­t, der einzige nahezu vollständi­ge Papyrus-Kodex in Österreich. Die Wiener LiviusHand­schrift, ein Fragment aus dem 5. Jahrhunder­t, das aus 193 feinen Pergamentb­lättern besteht. (Wahrschein­lich wurde es von einem angelsächs­ischen Missionar nach einer Romreise über die Alpen gebracht.) Drei Privatbrie­fe an einen Römer namens Macedo. Die Papyrussch­rift wurde in Ägypten kurz vor Christi Geburt verfasst. Beinahe so alt sind Papyri zur „Ilias“, genauso spektakulä­r sind auch rund 1600 Jahre alte Pergamente – aus den „Historiae“des Sallust und von Plinius Secundus: Dessen „Naturalis historia“wurde in Streifen geschnitte­n, um ein anderes Buch zu verstärken. Nur so hat dieser Text die Jahrhunder­te überdauert.

 ?? [ Österreich­ische Nationalbi­bliothek ] ?? Eine ungefähr 1600 Jahre alte Abschrift aus Sallusts „Historiae“auf Pergament.
[ Österreich­ische Nationalbi­bliothek ] Eine ungefähr 1600 Jahre alte Abschrift aus Sallusts „Historiae“auf Pergament.

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