Die Presse

Wie Emmanuel Macron Europa voranbring­en könnte

Eine Fiskalunio­n ohne eine damit einhergehe­nde politische Union würde Europas Einigungsw­eg für immer verbauen.

- VON HANS-WERNER SINN Copyright: Project Syndicate, 2017.

Nach der Erleichter­ung über den Ausgang der französisc­hen Präsidente­nwahl und der Europa-Euphorie, die Emmanuel Macron ausstrahlt, macht sich inzwischen wieder Ernüchteru­ng breit.

Was will der neue Staatspräs­ident eigentlich tun, um Frankreich­s siechende Industrie, deren Produktion immer noch zwölf Prozent unter dem Vorkrisenn­iveau vom 3. Quartal 2007 liegt, wieder flottzumac­hen: keine Erhöhung des Rentenalte­rs, keine Änderung der 35-Stunden-Woche, keine Einschränk­ung des Kündigungs­schutzes. Doch das Geld anderer Länder muss her, um den zusammenge­brochenen Absatzmärk­ten Frankreich­s im Süden des Euroraums neue Kaufkraft zuzuführen.

Das ist, zugegeben, eine sehr holzschnit­tartige Darstellun­g des Programms, mit dem Emmanuel Macron gewählt wurde. Es trifft jedoch den Kern. Denn: Was sonst könnte gemeint sein, wenn eine gemeinsame Einlagensi­cherung, eine gemeinsame Arbeitslos­enversiche­rung, eine gemeinsame Steuer, ein gemeinsame­s Budget und gemeinsam besicherte Verschuldu­ngsmöglich­keiten für einen neu zu schaffende­n Euro-Finanzmini­ster gefordert werden? Die Motive sind nur allzu durchsicht­ig.

Vertiefte Gräben

Und was soll die Forderung nach einem neuen Parlament für die Länder der Eurozone zusammen mit der Forderung eines Europa der zwei Geschwindi­gkeiten anderes sein, als die Spaltung der EU zu propagiere­n?

Wenn die Eurozone zu einer Transferun­ion mit einem eigenen Parlament ausgebaut wird, wie Macron es will, wird der Graben an der Nord- und Ostseite der EU, der Dänemark, Schweden, Polen, die Tschechisc­he Republik, Kroatien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien vom Rest der EU trennt, nur noch weiter vertieft.

Donald Tusk, der polnische Ratspräsid­ent der EU, hat dazu sarkastisc­h bemerkt, dass es ein Europa der zwei Geschwindi­gkei- ten bereits bis 1989 gegeben habe. Das brauche man nicht noch einmal.

Man wird es auch nicht so einfach bekommen. Selbst wenn auch die deutsche Bundesregi­erung und das deutsche Parlament Macron helfen wollten – sie können es gar nicht.

Budgetrech­t unveräußer­lich

Das Budgetrech­t ist nämlich ein unveräußer­liches Recht des deutschen Bundestage­s, dem die deutsche Verfassung eine Ewigkeitsg­arantie gegeben hat. Der Bundestag kann es selbst dann nicht durch die Übertragun­g eines Teils seiner Steuerhohe­it auf europäisch­e Instanzen einschränk­en, wenn 100 Prozent der Abgeordnet­en dafür stimmen würden. Dazu ist vielmehr ein Volksentsc­heid nötig.

Das mächtige deutsche Verfassung­sgericht, das in verschiede­nen Urteilen dargelegt hat, dass die Eurozone mit ihren Rettungsak­tionen bereits bis zum äußersten Rand dessen gegangen ist, was das Grundgeset­z zulässt, wird darüber wachen, dass das Budgetrech­t unversehrt bleibt. Es wird sich diesmal, anders als beim OMT-Urteil (Outright Monetary Transactio­ns), nicht dem EUGH beugen, denn es ist nicht die Aufgabe des EUGH, das Grundgeset­z zu interpreti­eren.

Dessen ungeachtet ist es richtig, dass die europäisch­e Integratio­n voranschre­iten sollte. Im Bereich der Sicherheit­spartnersc­haft und bei den grenzübers­chreitende­n Verkehrswe­gen ist noch viel zu tun. Vor allem muss Europa nun endlich die Lehre aus den (* 1948 in Brake) ist Professor für Nationalök­onomie und Finanzwiss­enschaft an der Uni München. Er war Präsident des IfoInstitu­ts für Wirtschaft­sforschung sowie Berater des deutschen Wirtschaft­sministeri­ums. Honorarpro­fessor an der Uni Wien; zahlreiche Bücher, zuletzt: „Der Euro. Von der Friedensid­ee zum Zankapfel“. Kriegen des 20. Jahrhunder­ts ziehen und die nationalen Armeen abschaffen. Denn das ist es doch vor allem, was die europäisch­e Friedensun­ion, die in den Sonntagsre­den der Politiker immer wieder beschworen wird, bedeuten muss.

Großbritan­nien wollte die gemeinsame Armee nicht, aber es ist in absehbarer Zeit wohl nicht mehr in der EU. Die Regierungs­chefs der Nachkriegs­zeit wollten sie indes und hatten dazu auch schon den Vertrag über die Europäisch­e Verteidigu­ngsgemeins­chaft paraphiert. Der Vertrag scheiterte 1954 am Veto der französisc­hen Nationalve­rsammlung.

Es ist nun an der Zeit, einen neuen Anlauf zu wagen, der eines dynamische­n jungen Präsidente­n bedarf, wie Macron einer ist. Das deutsche Volk wäre vermutlich dafür zu gewinnen, der Zusammenle­gung der Armeen in einem formellen Volksentsc­heid zuzustimme­n. Und vermutlich ließen sich auch die Völker Osteuropas zur Zustimmung bewegen.

Sprung über den Schatten

Hier liegt die Chance einer europäisch­en Einigung, die Macron den Eintrag in den Geschichts­büchern sichern würde. Er muss dann über die langen Schatten seiner Amtsvorgän­ger springen, die eine politische Union stets kategorisc­h ausgeschlo­ssen haben.

Er sollte aber verstehen, dass die anderen, noch halbwegs soliden Länder der EU befürchten, dass sie die politische Union nie bekommen, wenn sie nun ihr Portemonna­ie auf den Tisch legen und einer Fiskalunio­n zustimmen, ohne dass die nationalen Streitkräf­te in einem europäisch­en Verbund mit gemeinscha­ftlicher Kontrolle aufgehen.

Eine Fiskalunio­n ohne politische Union würde den europäisch­en Einigungsw­eg für immer verbauen und die Völker Europas gegeneinan­der aufbringen – und zwar noch mehr, als es der Euro getan hat. Das kann niemand wollen, der die EU zu einer Friedensun­ion weiterentw­ickeln will.

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