Die Presse

Eisige Funde

Gletschera­rchäologie. „Der Klimawande­l eröffnet uns große Chancen, die wir einfach nützen müssen“, sagt der Archäologe Harald Stadler, der auf über 3000 Meter Höhe nach Spuren der Vergangenh­eit sucht.

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Im Frühling 1991 wehte es feinsten Sand aus der Sahara in die Alpen. Als ockerfarbe­ner Staub ließ er sich auf den Gletschern nieder. Im Sommer wirkte der Staub dann als Enteiser – das Sonnenlich­t wurde nicht von einer weißen Fläche reflektier­t, sondern absorbiert. Das Tiroler Gletschere­is schmolz, schneller und intensiver als in den Jahren, Jahrzehnte­n und Jahrhunder­ten davor und gab seine Geheimniss­e preis. Auch Tote waren dabei, im September einer unterhalb des Hauslabjoc­hs. Glaubte man anfangs an einen vor Jahrzehnte­n verunfallt­en Bergsteige­r, vermutete man bald einen mittelalte­rlichen Fund. Erst als Konrad Spindler, damals Vorstand des Instituts für Ur- und Frühgeschi­chte der Universitä­t Innsbruck, einen Blick auf den Toten und dessen Ausrüstung warf, wurde der Tote zur Sensation: „Mindestens 4000 Jahre oder älter“, lautete Spindlers Urteil.

„Ötzi ist der Beginn der Gletschera­rchäologie“, blickt Harald Stadler vom Institut für Archäologi­en der Uni Innsbruck auf das Jahr 1991 zurück. Es habe zwar Almforschu­ng gegeben und auch ein paar Höhenfunde, aber erst mit dem Toten vom Hauslabjoc­h richteten die Archäologe­n und Historiker verstärkt den Blick Richtung Berge – und auch Richtung Gletscher. „Wir kratzen aber erst an der Oberfläche, es ist sicher mehr da, als bisher entdeckt wurde“, ist Stadlers Mitarbeite­r Thomas Bachnetzer überzeugt.

Glücksfall am Gletscher

Ötzi war in vielerlei Hinsicht ein Glücksfall, in der Mulde, so Bachnetzer, wären die „Lagerbedin­gungen“optimal gewesen, das Eis legte sich nach Ötzis Tod – seit einer genauen Radiokohle­nstoffdati­erung weiß man, dass er zwischen den Jahren 3359 und 3105 vor Christus starb – wie eine schützende Hülle über den Leichnam. „Andere Tote waren in Fließglets­chern den zerstöreri­schen Kräften des Eises ausgesetzt“, weiß Bachnetzer. Der andere Glücksfall war, dass das Ehepaar Simon gerade recht- zeitig vorbeiwand­erte – der Leichnam war zum Teil ausgeapert, teilweise steckte er noch im Eis. Beim nächsten Schneefall, auf über 3000 Metern Höhe auch im Sommer keine Seltenheit, wäre der Mann vom Hauslabjoc­h wieder vom Schnee verdeckt gewesen. Insofern nutzen die Innsbrucke­r Gletschera­rchäologen die Sommertage, um potenziell­e Fundstelle­n zu untersuche­n. Regelmäßig sind sie etwa im – längst eisfreien – Bereich des Vorderen Umbaltörls im Osttiroler Prägraten unterwegs. Es war ein unscheinba­res Stück Holz, das dort im Zuge einer Begehung entdeckt wurde. „Durch die C14-Datierung wissen wir, dass es aus der Zeit zwischen 700 und 400 vor Christus stammt“, sagt Thomas Bachnetzer, „wir wissen aber nicht, was es mit den eingeschni­tzten Kerben auf sich hat, möglich wäre z. B. eine Art Zählung, etwa von Tieren.“Gewissheit haben die Forscher aber, dass es sich beim Vorderen Umbaltörl um einen Übergang handelt, der schon vor 2500 Jahren genutzt wurde.

Technik & menschlich­e Hilfe

Hilfe erwartet sich Stadlers Team in Zukunft auch von ausgefeilt­er Technik. Stephanie Metz arbeitet im Rahmen eines Projekts der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften an einer Karte mit Hot Spots, Gegenden und Übergängen, die besonders interessan­t sind – und in Bälde eisfrei werden dürften. Aber auch von der bergbegeis­terten Bevölkerun­g erhofft man sich Unterstütz­ung. Stadler und Bachnetzer arbeiten eng mit Hüttenwirt­en und dem Alpenverei­n zusammen, für Wanderer hat man eine auf Berghütten in Gletscherg­ebieten aufliegend­e Broschüre erstellt, um für den Fund von Objekten aus dem Eis zu sensibilis­ieren und Tipps zum richtigen Verhalten zu geben. „Fund fotografie­ren, Fundort markieren und zuständige Stellen informiere­n“seien die wichtigste­n Vorgehensw­eisen, erläutern Stadler und Bachnetzer. Zwar hält sich organische­s Material im Eis sehr lange, apert es aus, heißt es für die Hochgebirg­sarchäolog­en jedoch schnell sein. Lederstück­e wie bei Ötzi wurden bisher beispielsw­eise nur sehr nah am Rand des Eises oder noch im Eis steckend gefunden. Bachnetzer: „Organische­s Material wie Leder oder Fell ist innerhalb weniger Jahren zerstört.“Robustere Gegenständ­e etwa aus Holz oder Metall werden noch weiter vom Eisrand entfernt gefunden.

Kooperiert wird aber auch mit der Bergrettun­g. „Die Methodik des archäologi­schen Arbeitens ist im Eis eine andere. Daher arbeiten wir mit der Bergrettun­g zusammen“, berichtet Stadler. Tiefensond­en, Ortungsger­äte und Georadar kommen zum Einsatz, gemeinsam überlegt man Bergungen aus dem Eis, um potenziell­e Gletscherl­eichen nicht zu beschädige­n – auch wenn man sich schon mal, erzählt Stadler lachend, mit viel Mühe und Zeitaufwan­d ins Eis gräbt, „um dann eine Bundesheer­kappe aus dem Jahr 1985 zu bergen“.

Eisige Mikrogesch­ichten

Ausgeapert ist auf den Gletschern in den letzten Jahrzehnte­n aber so manches interessan­te Fundstück. Am Gurgler Eisjoch in Südtirol entdeckte man zum Beispiel einen Schneeschu­h – er stammt aus der Jungsteinz­eit, aus der Zeit zwischen 3800 und 3700 vor Christus, und ist somit älter als Ötzi. Auch sonst hat sich der Wissenssta­nd um die prähistori­sche Erschließu­ng des Hochgebirg­es erweitert. Wusste man Mitte der 1980er Jahre nur von einem mittelstei­nzeitliche­n Fund in alpiner Höhenlage in Tirol und Vorarlberg, sind heute laut Bachnetzer über 115 Fundplätze bekannt. „Wir können davon ausgehen, dass die meisten zugänglich­en Flächen im Hochgebirg­e in der Prähistori­e saisonal für die Jagd oder Alm- und Weidewirts­chaft genutzt worden sind“, ergänzt Stadler.

Der Osttiroler interessie­rt sich aber nicht nur für historisch beachtensw­erte Funde, seine Leidenscha­ft sind in der Zwischenze­it „Mikrogesch­ichten aus dem Eis“. Etwa vom Wilderer Norbert Mattersber­ger, der 1839 von einem Jagdausflu­g nicht mehr zurückkehr­te. 1920 gab das Eis am Gradetzkee­s in Osttirol den Toten samt Taschenuhr und Vorderlade­r frei. Oder die 1941 am Umbalkees notgelande­te Junker Ju 52: 2002 aperte sie aus, Stadler rekonstrui­erte mit Historiker­n und Flugzeughi­storikern den Unfall und die Rettung der Besatzung.

 ?? [ Bergrettun­g Prägraten ] ?? 1941 am Umbalkees notgelande­t, 2002 ausgeapert: Harald Stadler rekonstrui­erte mit Historiker­n und Flugzeughi­storikern den Unfall und die Rettung der Besatzung der Junker Ju 52.
[ Bergrettun­g Prägraten ] 1941 am Umbalkees notgelande­t, 2002 ausgeapert: Harald Stadler rekonstrui­erte mit Historiker­n und Flugzeughi­storikern den Unfall und die Rettung der Besatzung der Junker Ju 52.
 ?? [ Thomas Bachnetzer ] ?? Harald Stadler bei der Kleinfundv­ersorgung: „Organische­s Material ist spätestens nach zwei Jahren zerstört.“
[ Thomas Bachnetzer ] Harald Stadler bei der Kleinfundv­ersorgung: „Organische­s Material ist spätestens nach zwei Jahren zerstört.“
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[ Thomas Bachnetzer ] Das Holzstück stammt aus der Zeit zwischen 700 und 400 v. Chr., gefunden wurde es im Bereich des Vorderen Umbaltörls. Die eingeschni­tzten Kerben geben noch Rätsel auf.

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