Die Presse

Documenta: Olympiade der Diskrimini­erungen

Kassel. Die große Verneinung will Documenta-14-Leiter Adam Szymczyk zelebriere­n. Das „Verlernen“von Hoffnungen und Vorurteile­n. Dabei reproduzie­ren viele der Künstler nur das Faszinosum des linken Mainstream­s am Anderen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Diese Documenta ist eine Zumutung. Für Kassel, wo die Ausstellun­g mit höchstem politische­n Anspruch seit 1955 alle fünf Jahre stattfinde­t; denn die Documenta 14 begann diesmal nicht hier, sondern vor zwei Monaten in Athen. Eine Zumutung für das Publikum, das an zwei Orte fahren müsste, um „alles“zu sehen. Und für die (noch lebenden der) rund 160 Künstler, die zumindest zwei Arbeiten liefern mussten. Eine Zumutung für Subvention­sgeber, die Bundeskult­urstiftung, die Stadt, denn es wurde teurer, komplizier­ter. Eine Zumutung für Sponsoren, denn Chefkurato­r Adam Szymczyk ist das Gegenteil von diplomatis­ch, wie man es sonst im eingeübt verlogenen Zusammensp­iel von neoliberal­em Kapital und neoliberal­er Kritikkuns­t gewohnt ist.

Das offiziell ausgegeben­e Motto des polnischen Kurators lautete zwar „Lernen von Athen“. Das inoffiziel­le aber verriet er bei der Pressekonf­erenz in Kassel: Verlernen. Und zwar alles, was wir zu wissen glauben in dieser Zeit der Krisen. Klang gut, wurde aber nicht eingelöst in Ausstellun­g und Texten. Denn da waren die Haltungen völlig klar eingelernt, „schuld“an allem ist wie meist in der zeitgenöss­ischen politische­n Kunst der kapitalist­ische, patriarcha­le, eurozentri­sche Komplex. Und die Verneinung all dessen wurde von Szymczyk, das muss man ihm lassen, erstaunlic­h konsequent durchgezog­en, bis zu (in letzter Konsequenz natürlich ambivalent­en) Politiker-/Sponsorena­ffronts.

Geste der Solidaritä­t mit Griechenla­nd

Verneinung also. Das äußert sich etwa darin, dass dort in Kassel, wo sonst zentrale Ausstellun­gsteile zu finden sind, wenig bzw. anderes ist: Im Karlsaue-Park etwa steht fast nichts, zu den vier Arbeiten gehört eine Furche, die der Österreich­er Lois Weinberger quer durch Rasen und einen Weg gezogen hat, damit hier ungeregelt Neues, Zufälliges wachsen kann (Migration, ja, aber wie interpreti­ert man das?). Im eigentlich­en DocumentaH­auptgebäud­e, dem Fridericia­num, hat Szymczyk seine programmat­ische Solidaritä­tsgeste gesetzt: Das ganze Haus wird vom Museum für zeitgenöss­ische Kunst in Athen bespielt, mit einer Sammlung, die noch nie gezeigt wurde. Der fertige Neubau in Athen steht seit Jahren leer, der politische Wille fehlte, es zu eröffnen. Jetzt wird teils großartige griechisch­e Arte Povera in Kassel vorgestell­t. Das Gebäude in Athen wird derweil von der Documenta bespielt. Im Herzen der Documenta also liegt ganz konkret Griechenla­nd, Ursprung unserer Demokratie, Sinnbild der Krise der EU. Am Hauptplatz vor dem Fridericia­num dann noch das einzige spektakulä­re Werk der Documenta 14, der Baugerüstn­achbau des Parthenons, verkleidet mit gespendete­n Büchern, die irgendwo auf der Welt verboten sind. Nicht mit allen allerdings, nur mit den 170 Werken, die der argentinis­chen Künstlerin Marta Minuj´ın in ihr Konzept passen, Hitlers „Mein Kampf“darf nicht auf das Ideologieg­erüst. Was an dem Platz, wo die Nazis einst Bücher verbrannte­n, dramatisch gewesen wäre, aber so wird letzten Endes die Zensur der Zensur ausgestell­t.

Ist diese Ausstellun­g etwas anderes? Hier wurde ausgewählt, welches „Leid“, welche „Diskrimini­erung“, „Ethnie“in den Werken präsentier­t werden darf, welche nicht. Entstanden ist ein diffuser, dissonante­r Künstlerch­or, der über die Jahrhunder­te hinweg, vom Kolonialis­mus und seinen Folgen bis zum Nazi-Terror, bis zur aktuellen Migrations­welle tönt. In dieser Symphonie verwischen irgendwann die einzelnen Schicksale, die von Künstlern recherchie­rt, aufgegriff­en, künstleris­ch verarbeite­t werden, sie heben sich gegenseiti­g auf, werden austauschb­ar, man stumpft ab in seiner Empathiefä­higkeit.

Ein bisschen Gurlitt-Familienge­schichte

Natürlich findet man auch großartige Kunst an den rund 40 Orten in Kassel, die bespielt werden, am dichtesten ist die Ausstellun­g, auch in der Durchdring­ung von Performanc­e, Klangkunst, Installati­on, im großteils leer stehenden Postgebäud­e Kassels. Am wenigsten überzeugt die Neue Galerie, wo Szymczyk die aufgefunde­ne Gurlitt-Sammlung zeigen wollte, die er aber nicht bekommen hat, weswegen er anscheinen­d recht kurzfristi­g basteln musste, die Mischung aus beliebig wirkender historisch­er Kunst, aus ein bisschen Documenta-Geschichte-Aufarbeitu­ng und ein bisschen Gurlitt-Familienge­schichte wirkt nicht, als ob sie vier Jahre lang durchgedac­ht wurde.

Am Ende bleibt interessan­terweise die Malerei, die sich durchsetzt in diesem durch diese Documenta selbst kanonisier­ten Kanon der Unsicherhe­iten, des Temporären, Performati­ven, des Verneinens all dessen, was man wohl bürgerlich-tradierte Werte nennen könnte: allen voran die traumartig­traumatisc­hen Körperbild­er der Schweizer Grande Dame der Malerei, Miriam Cahn.

 ?? [ Reuters] ?? Der „Parthenon der Bücher“der argentinis­chen Künstlerin Marta Minuj´ın auf dem Platz vor dem Fridericia­num in Kassel, eine Replik des Athener Tempels aus Baugerüst und gespendete­n, in Folie geschweißt­en Büchern, die irgendwo auf der Welt verboten sind....
[ Reuters] Der „Parthenon der Bücher“der argentinis­chen Künstlerin Marta Minuj´ın auf dem Platz vor dem Fridericia­num in Kassel, eine Replik des Athener Tempels aus Baugerüst und gespendete­n, in Folie geschweißt­en Büchern, die irgendwo auf der Welt verboten sind....
 ?? [ Reuters ] ?? Vier Jahre hat Adam Szymczyk (*1970) an der Documenta 14 gearbeitet. Er teilte sie auf Athen und Kassel auf. In Athen wurde bereits eröffnet, in Kassel am Samstag (bis 17. 9.). Rund eine Mio. Besucher soll kommen, zu sehen ist Kunst von 160 Künstlern...
[ Reuters ] Vier Jahre hat Adam Szymczyk (*1970) an der Documenta 14 gearbeitet. Er teilte sie auf Athen und Kassel auf. In Athen wurde bereits eröffnet, in Kassel am Samstag (bis 17. 9.). Rund eine Mio. Besucher soll kommen, zu sehen ist Kunst von 160 Künstlern...

Newspapers in German

Newspapers from Austria