Die Presse

Jane Austen kämpfte gegen Madame Bovary

Weder May noch Corbyn konnten vor der Wahl überzeugen. Zumindest haben sie Literaturg­eschmack. Der LabourChef schätzt Romane von Joyce, Flaubert und Chinua Achebe: „Things Fall Apart“.

- VON NORBERT MAYER E-Mails an: norbert.mayer@diepresse.com

Die Briten haben am Donnerstag gewählt. Im Finale ging nach den Terroransc­hlägen in Manchester und London ein wenig unter, warum Theresa May das Volk früher zu den Urnen gerufen hatte. Die konservati­ve Premiermin­isterin wollte eine stärkere Mehrheit für die Austrittsv­erhandlung­en mit der EU. Geblieben sind ihr am Ende, nach einer etwas missglückt­en Kampagne, die Slogans Stärke, Stabilität und Sicherheit, während ihr Herausford­erer Jeremy Corbyn ganz in der Tradition von Old Labour, aber moderater als in radikalere­n Tagen auf Umverteilu­ng setzte: Bildung, Gesundheit, leistbares Wohnen. Damit konnte er – zumindest in Umfragen – aufholen.

Was aber bewegt diese beiden etwas blutleer scheinende­n Politiker jenseits der Schlagwort­e? Wie tickt die unnahbar scheinende May? Was steckt hinter dem onkelhafte­n Image des Ex-Revoluzzer­s? Vielleicht trifft ein Bonmot Winston Churchills den Kern. 1939 hat der spätere Premier in einer Radiorede über die Politik der UdSSR gesagt: „. . . a riddle, wrapped in a mystery, inside an enigma.“

Dabei lag der Charakter der Spitzenkan­didaten bei der wahrschein­lich letzten Unterhausw­ahl vor dem Brexit wie ein offenes Buch vor uns. Man musste nur nachlesen, welchen Kunstgesch­mack die beiden haben. Die „Daily Mail“hat May bereits im Vorjahr gefragt: Ihr Lieblingsb­uch ist der 204 Jahre alte Roman „Pride and Prejudice“von Jane Austen, die es wie wenige Genies versteht, eine feine Gesellscha­ft zu sezieren. Konvention­ell mutet hingegen Mays Musikgesch­mack an. Schnulzen aus den Sechzigerj­ahren, fromme Lieder und – „Dancing Queen“von Abba, verriet sie der BBC. Ach ja, die Königin, mit der sie sich am meisten identifizi­ert, heißt Elizabeth. Die erste. Gern zitiert die Premiermin­isterin deren Rede vor den Truppen, ehe diese 1588 auf die spanische Armada losgelasse­n wurden: Niemals sollte ein Prinz aus Europa die englische Grenze überschrei­ten.

Im Vergleich zu May wirkt Corbyn wie ein zögerliche­r Prinz Hamlet. 2015 verriet er dem „New Statesman“, dass Gustave Flauberts gut 160 Jahre alter Roman „Madame Bovary“sein Lieblingsb­uch sei. Französisc­he Unzucht in reinster Form. Ein Jahr später nannte er für „Gentlemen’s Quarterly“den „Ulysses“des James Joyce – angeblich die Nummer drei jener Romane, die großteils ungelesen bleiben. 95 Jahre alte irische Unzucht in komplexest­er Form. Und als Autor mag Corbyn am liebsten Chinua Achebe aus Nigeria. Der Titel von dessen erstem kolonialkr­itischen Werk (1958) klingt wie Labours aktuelles Programm: „Things Fall Apart“. So viel Untergang ist durch exzellente­n Musikgesch­mack kaum wettzumach­en: „House of the Rising Sun“von den Animals.

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