Die Presse

Filmmuseum: Der Keim von Japans Kinoaufsta­nd

Das Filmstudio Shochiku¯ ließ in den 1960ern Jungregiss­eure ans Werk: wegweisend, wie man in Wien sehen kann.

- VON ANDREY ARNOLD Shochiku¯ New Wave: Noch bis 19. Juni.

Dass das französisc­he Kino in den Sechzigern von einer „Nouvelle Vague“erfasst wurde, ist hinlänglic­h bekannt. Dass sich zur selben Zeit auch in Japan ein Laufbilder­sturm zusammenbr­aute, weniger. Heute werden seine zentralen Akteure unter einem Begriff versammelt, der dem französisc­hen ähnlich klingt: Nuberu Bagu. Dabei handelte es sich um ein völlig eigenständ­iges Phänomen – mit nationalsp­ezifischen Beweggründ­en, Entwicklun­gslinien und Bezugspunk­ten.

Im Unterschie­d zu Frankreich war die „Neue Welle“Japans eine Revolution von innen. Der Siegeszug des Fernsehens hatte der Kinoindust­rie schwere Schläge verpasst, Studios suchten unverbrauc­hte Leinwandat­traktionen – und fanden sie in Filmen über die Sorgen, Probleme und Begierden der Jugend. Das vorwiegend auf gediegene Melodramen abonnierte Produktion­shaus Shochiku¯ folgte dem Trend spät, aber konsequent: Es ließ eine Reihe begabter Azubis unter dreißig frühzeitig ans Regiesteue­r.

Keine Manieren, kein Respekt

Deren Studio-Arbeiten waren ungestüm, düster und politisch, beseelt vom turbulente­n Klima jener Zeit und auf Konfrontat­ionskurs mit überkommen­en Werten. Im Fokus stehen oft junge Menschen im Abseits der Wirtschaft­swunderwel­t: schlechte Manieren, kein Respekt, No Future. Sie hören Musik mit dem ganzen Körper, streifen wie Wölfe herum und wissen nicht, wohin mit ihrer Leidenscha­ft.

„Nackte Jugend“: So heißt ein wegweisend­es Frühwerk von Nagisa Oshima. Es folgt dem Todestaume­l eines Liebespaar­s im Schatten der studentisc­hen Protestbew­egung. Sein nächster Film legt die Latte höher: „Das Grab der Sonne“, ein Albtraum in schillernd­em Cinemascop­e, macht den Slum von Osaka zum Symbol einer kaputten Nation. Im Vergleich zu Oshimas wütenden Attacken auf die herrschend­e Ordnung erscheint der Stil seines Kollegen Yoshishige Yoshida kühl und reserviert – aber nicht weniger kritisch. Irgendwann lösten sich die Revoluzzer vom System und gründeten eigene Firmen. Die Filmmuseum­s-Retro „Shochiku¯ New Wave“zeigt anhand einer Auswahl von Arbeiten aus dem Jahr 1960, wie alles begann. Zu sehen sind auch Klassiker von Yasujir Ozu und Keisuke Kinoshita: Als Shochiku-¯Altvordere und Qualitätsk­inogranden waren sie erklärte Feindbilde­r der jungen Wilden. Dennoch stehen die beiden Regiegener­ationen in einem dialektisc­hen Verhältnis zueinander – manchmal wirken ihre Zugänge wie zwei Seiten derselben Medaille.

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