Die Presse

Kerns und Leitls kuriose Botschafte­n

Wie der Auftritt von österreich­ischen Vertretern in St. Petersburg die Schwäche der EU demonstrie­rte.

- ANNA SCHOR-TSCHUDNOWS­KAJA Anna Schor-Tschudnows­kaja (* 1974 in Kiew) ist Soziologin und Psychologi­n; derzeit wissenscha­ftliche Mitarbeite­rin der Sigmund-Freud-Privatuniv­ersität Wien.

Sicher schmeichel­te es der politische­n und vor allem der wirtschaft­lichen Elite Österreich­s, vor wenigen Tagen auf dem Wirtschaft­sforum im russischen St. Petersburg Gäste von Präsident Wladimir Putin gewesen zu sein. Die Freude über die Fortsetzun­g der lukrativen Kooperatio­n im Energiesek­tor hat sich unter anderem darin artikulier­t, dass Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl (ÖVP) erneut die EU-Sanktionen gegen Russland als „unsinnig“bezeichnet­e und Bundeskanz­ler Christian Kern (SPÖ) Verluste für die österreich­ische Wirtschaft, die er den Sanktionen zuschreibt, beklagte. Zahlreiche zustimmend­e Zitate in den russischen Medien waren den beiden gewiss.

Die klare Botschaft an Politik und Öffentlich­keit Russlands lautete freilich: Die Europäer bereuen ihre eigenen Sanktionen, die im Zusammenha­ng mit der Annexion der Krim durch Russland und dem Krieg in der Ostukraine 2014 verhängt wurden; so viel liegt ihnen gar nicht am Völkerrech­t und an der Einhaltung internatio­naler Abkommen. Und: Man kann sich doch von einem Krieg, der in der Ukraine nach UN-Angaben bisher 9900 Tote (davon 2000 Zivilisten) gefordert und mehr als zwei Millionen Menschen zu Flüchtling­en gemacht hat, nicht das „Geschäft“verderben lassen!

Ausgeblend­ete Fakten

Kein seriöser Beobachter zweifelt an der massiven Involvieru­ng Russlands in den „separatist­ischen Aufstand“in der Ostukraine. Putin selbst gab eine „militärisc­he Präsenz“zu. Doch das wird gern ausgeblend­et.

Viele Vertreter der europäisch­en Elite bringen den Russen (gewollt oder ungewollt) immer wieder das Gleiche bei: Man ist in der EU zunehmend müde, sich gegenüber Russland so an demokratis­che und menschenre­chtliche Standards zu halten, dass es noch minimal glaubwürdi­g erscheint. Die gescheiter­te Demokratis­ierung des postsowjet­i- schen Russland geht sicher auf viele Faktoren zurück. Aber einer von ihnen sind genau solche „Botschafte­n“der Europäer.

Unerhörte Hinweise

Auch, dass Liberalisi­erung und Verrechtli­chung der russischen Wirtschaft immer noch auf sich warten lassen und die österreich­ische Wirtschaft­selite auf einem Forum „brilliert“, auf dem vorwiegend russische Staatsunte­rnehmen vertreten sind, geht zu einem gewissen Grad auf das Konto der europäisch­en Partner und deren Bereitscha­ft zurück, beide Augen zuzudrücke­n, wenn es ums Geschäft mit Putin geht. Hinweise auf den Umstand, dass Putin mit den Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport in die EU seine Kriege sowie die Aufund Umrüstung seiner Armee finanziert, gelten vor diesem Hintergrun­d als geradezu „unerhört“.

Was ist aber mit dem Argument, dass die Sanktionen „unsinnig“seien und keinen Rückzug Russlands von der Krim und keine Beendigung der Unterstütz­ung des „Aufstands“im ukrainisch­en Osten bewirkt hätten? Ein autoritäre­r Militärsta­at wird sich in der Tat von bloßen Wirtschaft­ssanktione­n nicht zum Rückzug bewegen lassen.

Aber wie sehr hätte die EU den imperialen Rausch der russischen Führung gereizt, wenn sie gar nichts unternomme­n hätte? Die ganze ukrainisch­e Schwarzmee­rküste und weite Gebiete im Osten des Landes sollten als „Neurusslan­d“mit dem Mutterland „wiedervere­inigt“werden. Die baltischen Staaten wären angesichts einer neuen Runde der russischen „hybriden Kriegführu­ng“besonders exponiert.

Und würde denn die wirtschaft­liche Lage Österreich­s nicht auch in dem Maße immer „ungemütlic­her“, in dem sich die russische Macht – auch militärisc­h – immer weiter ausdehnt?

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