Die Presse

May steuert chaotisch in den Brexit

Großbritan­nien. Statt Stabilität bringen die Neuwahlen eine Minderheit­sregierung, angeführt von einer angeschlag­enen Premiermin­isterin.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Nach einer Abfuhr bei der Parlaments­wahl bemühte sich die britische Premiermin­isterin, Theresa May, gestern darum, wieder das Gesetz des Handelns in die Hand zu bekommen. „Ich werde eine Regierung bilden“, erklärte sie nach einem Besuch bei Queen Elizabeth im Buckingham-Palast. Als stimmenstä­rkste Partei hätten ihre Konservati­ven als einzige Partei „die Legitimitä­t und Fähigkeit“, eine Mehrheit im Unterhaus zu finden, sagte May.

Dafür wird sie allerdings auf die Democratic Ulster Party (DUP) angewiesen sein. Gemeinsam kommen die 318 Tory-Abgeordnet­en mit den zehn DUP-Mandaten haarscharf über die magische Grenze der absoluten Mehrheit, die bei 326 der 650 Sitze liegt. Die nordirisch­en Protestant­en lehnen allerdings den formellen Eintritt in eine Koalition ab und wollen die Regierung nur dulden. Umso größer wird die Erpressung­smacht der Unionisten sein: Sie sind Verfechter des Brexit, wollen aber aus dem Londoner Haushalt für den Verlust von EU-Geldern alimentier­t werden. In der Sozialpoli­tik steht die DUP mit der Ablehnung von Homosexuel­lenehe und Abtreibung rechts von den Tories.

Die Zusammenar­beit mit den Unionisten wird den notorisch zerstritte­nen Konservati­ven enorme Disziplin abverlange­n. So wie sich die Partei traditione­ll hinter einem strahlende­n Sieger sammelt, werden hinter einem Verlierer sehr rasch die Messer gewetzt. In London machten gestern bereits Gerüchte über die politische Zukunft Mays die Runde. Angeblich sei sie zunächst sogar zum Rücktritt bereit gewesen, wurde von Parteigran­den jedoch zur Übernahme der Verantwort­ung gezwungen. Immerhin war sie es gewesen, die Mitte April die Neuwahlen ohne Not vom Zaun gebrochen hatte.

Mitschuld an dieser Fehlspekul­ation wurde hinter vorgehalte­ner Hand insbesonde­re Brexit-Minister David Davis gegeben, der May erst in die Neuwahl gejagt habe. Sein Verbleib in der Regierung schien alles andere als sicher. Dennoch bekräftigt­e May in ihrer Stellungna­hme das Festhalten an dem ursprüngli­chen Zeitplan für den EU-Austritt: „Diese Regierung wird das Land durch die entscheide­nden Brexit-Verhandlun­gen führen, die in zehn Tagen beginnen werden, und den Willen des britischen Volks umsetzen.“

Stichtag 19. Juni

Der Beginn der Verhandlun­gen ist für 19. Juni angesetzt. Am selben Tag will May dem Parlament in ihrer „Queen’s Speech“auch das Programm für ihre Legislatur­periode vorstellen. Die Abstimmung darüber wird der erste Realitätst­est sein, ob May eine Mehrheit hat und wie groß sie ist. Ironischer­weise wird ihr dabei just einer der größten Gegner der Konservati­ven helfen: Die irischen Nationalis­ten von der Partei Sinn Fein, die am Donnerstag sieben Sitze gewannen, boykottier­en traditione­ll das britische Unterhaus.

Obwohl sie keine Chance auf eine Regierungs­bildung hat, sah sich die Labour Party im Aufwind. Während die Tories zwölf Mandate verloren, konnten die Sozialdemo­kraten um 31 Sitze zulegen. Parteichef Jeremy Corbyn forderte ebenso umgehend wie wirkungslo­s den sofortigen Rücktritt Mays.

Wenn jemand May zum Rücktritt zwingen kann, ist es nur die eigene Partei. Außenminis­ter Boris Johnson, Innenminis­terin Amber Rudd und Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon werden Ambitionen nachgesagt. Keiner wäre indes das notwendige Erneuerung­ssignal. Zudem kann es sich die Partei nur elf Monate, nachdem sie Premier David Cameron ohne Wahl durch May austauscht­e, nicht schon wieder leisten, den Regierungs­chef durch internen Putsch zu wechseln.

So bleibt May wohl gar nichts anderes übrig, als zu bleiben – freilich als „lame duck“und auf Abruf. William Hague, konservati­ver Ex-Parteichef und Außenminis­ter, sagte gestern: „Die Tory Party ist eine absolute Monarchie, abgemilder­t durch Königsmord.“Was nun zu kommen droht, ist genau das, wovor May mit Blick auf Corbyn gewarnt hatte: „Eine Koalition des Chaos.“

 ?? [ AFP ] ?? Vor ihrem Amtssitz in der Downing Street erklärte Premiermin­isterin Theresa May ihre Bereitscha­ft, eine Minderheit­sregierung zu bilden. Sie ist eine Regierungs­chefin auf Abruf. In der Wahlnacht hatte sie schon ihren Rücktritt erwogen.
[ AFP ] Vor ihrem Amtssitz in der Downing Street erklärte Premiermin­isterin Theresa May ihre Bereitscha­ft, eine Minderheit­sregierung zu bilden. Sie ist eine Regierungs­chefin auf Abruf. In der Wahlnacht hatte sie schon ihren Rücktritt erwogen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria