Absturz der „bleiernen
Porträt. Mit der vorgezogenen Parlamentswahl schien die britische Premierministerin, Theresa May, nicht hoch zu pokern. Umso höher hat die kühle Konservative nun verloren.
Die Wahlanalysen werden erst folgen, aber fest stand bereits nach ersten Teilergebnissen: Die britische Parlamentswahl war ein persönliches Desaster für Premierministerin Theresa May. Nicht nur hatte sie die Neuwahlen vom Zaun gebrochen. Auch der Wahlkampf war zunächst vollkommen auf sie und ihr Versprechen der „starken und stabilen Führung“zugeschnitten gewesen. So wie sie nur einen Slogan hatte, setzte May anfangs ausschließlich auf ein Thema: Sie sei die einzige Politikerin, die den Brexit „erfolgreich umsetzen“könne.
May hatte mit dem Vorziehen der Wahl auf eine Ausweitung ihrer Vormachtstellung spekuliert. Stattdessen verspielte sie die absolute Mehrheit ihres Vorgängers David Cameron. Die Premierministerin, die im Juni 2016 nach dem Brexit-Referendum Cameron in der Downing Street abgelöst hat, erscheint als eindimensionale Politikerin.
Von der rechtspopulistischen United Kingdom Independence Party, die unter Nigel Farage jahrelang den EU-Austritt Großbritanniens wie keine andere Partei angetrieben hatte, übernahm May Forderungen wie ein Ende der Personenfreizügigkeit und die „Rücknahme der Kontrolle“von der EU von der Rechtsprechung bis zur Einwanderungspolitik. „Wer glaubt, ein Bürger der Welt zu sein, ist ein Bürger von nirgendwo“, spielte sie am letzten Parteitag der Konservativen sehr hart am Sentiment der Fremdenfeindlichkeit.
Tochter aus einer Pfarrerfamilie
Im Wahlkampf stellte sich May rasch als ein Nigel Farage ohne Charisma heraus. Die Auftritte der 60-Jährigen erinnerten in ihrer sterilen Inszenierung vor handverlesenen Claqueuren und Ja-Sagern an die Begegnungen früherer Sowjetführer mit dem, was sie sich als „das Volk“vorstellten. Auf Kritik reagierte May sichtlich irritiert und verärgert. Dass sie Widerspruch nicht duldet, konnte sie nicht verbergen. TV-Diskussionen wich sie aus. Ihr ein menschliches Antlitz zu verleihen, endete in Peinlichkeit. Wo Margaret Thatcher als erste konservative Regierungschefin Großbritanniens die Eiserne Lady war, wirkte May wie eine „bleierne Lady“.
Obwohl May in den Stunden nach dem Misserfolg klarmachte, dass sie weitermachen wolle, steht ihre politische Zukunft auf dem Spiel. Klar ist, dass sie nicht kampflos weichen wird. Politik ist ihr Leben.
Geboren wurde May am 1. Oktober 1956 in eine Pfarrersfamilie in Eastbourne, einer Stadt am Ärmelkanal, wo sie auch ihre Kindheit verbrachte. Schon als Geografiestudentin an der Eliteuniversität Oxford in den 1970er-Jahren verkündete sie ihren (staunenden) Kommilitonen: „Ich will Premierministerin werden.“
In der eigenen Partei blieben ihre Ambitionen lang unbemerkt. Ihre politische Karriere startete May 1986 als Gemeinderätin im vornehmen Londoner Stadtbezirk
Merton. Nach zwei gescheiterten Anläufen zog sie 1997 als Abgeordnete ins britische Unterhaus ein – für den wohlhabenden Wahlbezirk Maidenhead im südenglischen Berkshire. Von 2002 bis 2003 war May die erste Generalsekretärin der Konservativen. Legendär wurde ihr Ausspruch auf einem Parteitag, die Tories müssten das Image der „fiesen Partei“loswerden. Doch gerade May verkörpert für viele das stereotype Image einer Tory-Politikerin: Oft wirkt die Pfarrerstochter kühl und distanziert.
Erst mit der Ernennung zur Innenministerin 2010 stieg sie in ein Führungsamt auf. May gilt als harte Arbeiterin, die sich bis ins Detail mit ihrer Aufgabe vertraut macht. Zugleich hört sie nur auf einen kleinen Kreis von Beratern, delegiert nicht, vertraut niemandem und – wie ihr ehemaliger Kabinettskollege Eric Pickles einmal sagte: „Sie ist keine Politikerin, die auf einen Handel eingeht. Sie nimmt eine Position ein, und darauf besteht sie dann aus Prinzip.“
Kein Drängen um Mays Nachfolge
Auch ein Nachfolger für die angeschlagene Politikerin drängt sich nicht gerade auf. Außenminister Johnson hat zwar all das, was May fehlt: Flair, Charisma, Humor. Aber ihm fehlt all das, was sie hat: Arbeitsmoral, Prinzipientreue, Verlässlichkeit. Johnson war einst ein EU-Anhänger, ehe er Großbritannien im Vorjahr in den Brexit führte. Innenministerin Amber Rudd kann ihren Ehrgeiz kaum besser zügeln als Johnson. Doch sie überstand die Wahlnacht nur um Haaresbreite.
Eine künftige Parteiführerin ist mit Sicherheit die Chefin der schottischen Konservativen, Ruth Davidson. Unter ihrer charismatischen Führung feierten die Tories nördlich des Hadrian Wall am Donnerstag mit dem Gewinn von zwölf Mandaten eine Rückkehr von den politischen Toten. Davidson ist liberal, lesbisch und leutselig. Für das Amt in London hat sie aber gleich einmal abgewinkt. „Stehen Sie bereit, die Konservativen zu führen?“, wurde sie in der Wahlnacht gefragt. „Ich führe die Konservativen bereits“, erwiderte sie. „In Schottland.“