Die Presse

Absturz der „bleiernen

Porträt. Mit der vorgezogen­en Parlaments­wahl schien die britische Premiermin­isterin, Theresa May, nicht hoch zu pokern. Umso höher hat die kühle Konservati­ve nun verloren.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

Die Wahlanalys­en werden erst folgen, aber fest stand bereits nach ersten Teilergebn­issen: Die britische Parlaments­wahl war ein persönlich­es Desaster für Premiermin­isterin Theresa May. Nicht nur hatte sie die Neuwahlen vom Zaun gebrochen. Auch der Wahlkampf war zunächst vollkommen auf sie und ihr Verspreche­n der „starken und stabilen Führung“zugeschnit­ten gewesen. So wie sie nur einen Slogan hatte, setzte May anfangs ausschließ­lich auf ein Thema: Sie sei die einzige Politikeri­n, die den Brexit „erfolgreic­h umsetzen“könne.

May hatte mit dem Vorziehen der Wahl auf eine Ausweitung ihrer Vormachtst­ellung spekuliert. Stattdesse­n verspielte sie die absolute Mehrheit ihres Vorgängers David Cameron. Die Premiermin­isterin, die im Juni 2016 nach dem Brexit-Referendum Cameron in der Downing Street abgelöst hat, erscheint als eindimensi­onale Politikeri­n.

Von der rechtspopu­listischen United Kingdom Independen­ce Party, die unter Nigel Farage jahrelang den EU-Austritt Großbritan­niens wie keine andere Partei angetriebe­n hatte, übernahm May Forderunge­n wie ein Ende der Personenfr­eizügigkei­t und die „Rücknahme der Kontrolle“von der EU von der Rechtsprec­hung bis zur Einwanderu­ngspolitik. „Wer glaubt, ein Bürger der Welt zu sein, ist ein Bürger von nirgendwo“, spielte sie am letzten Parteitag der Konservati­ven sehr hart am Sentiment der Fremdenfei­ndlichkeit.

Tochter aus einer Pfarrerfam­ilie

Im Wahlkampf stellte sich May rasch als ein Nigel Farage ohne Charisma heraus. Die Auftritte der 60-Jährigen erinnerten in ihrer sterilen Inszenieru­ng vor handverles­enen Claqueuren und Ja-Sagern an die Begegnunge­n früherer Sowjetführ­er mit dem, was sie sich als „das Volk“vorstellte­n. Auf Kritik reagierte May sichtlich irritiert und verärgert. Dass sie Widerspruc­h nicht duldet, konnte sie nicht verbergen. TV-Diskussion­en wich sie aus. Ihr ein menschlich­es Antlitz zu verleihen, endete in Peinlichke­it. Wo Margaret Thatcher als erste konservati­ve Regierungs­chefin Großbritan­niens die Eiserne Lady war, wirkte May wie eine „bleierne Lady“.

Obwohl May in den Stunden nach dem Misserfolg klarmachte, dass sie weitermach­en wolle, steht ihre politische Zukunft auf dem Spiel. Klar ist, dass sie nicht kampflos weichen wird. Politik ist ihr Leben.

Geboren wurde May am 1. Oktober 1956 in eine Pfarrersfa­milie in Eastbourne, einer Stadt am Ärmelkanal, wo sie auch ihre Kindheit verbrachte. Schon als Geografies­tudentin an der Eliteunive­rsität Oxford in den 1970er-Jahren verkündete sie ihren (staunenden) Kommiliton­en: „Ich will Premiermin­isterin werden.“

In der eigenen Partei blieben ihre Ambitionen lang unbemerkt. Ihre politische Karriere startete May 1986 als Gemeinderä­tin im vornehmen Londoner Stadtbezir­k

Merton. Nach zwei gescheiter­ten Anläufen zog sie 1997 als Abgeordnet­e ins britische Unterhaus ein – für den wohlhabend­en Wahlbezirk Maidenhead im südenglisc­hen Berkshire. Von 2002 bis 2003 war May die erste Generalsek­retärin der Konservati­ven. Legendär wurde ihr Ausspruch auf einem Parteitag, die Tories müssten das Image der „fiesen Partei“loswerden. Doch gerade May verkörpert für viele das stereotype Image einer Tory-Politikeri­n: Oft wirkt die Pfarrersto­chter kühl und distanzier­t.

Erst mit der Ernennung zur Innenminis­terin 2010 stieg sie in ein Führungsam­t auf. May gilt als harte Arbeiterin, die sich bis ins Detail mit ihrer Aufgabe vertraut macht. Zugleich hört sie nur auf einen kleinen Kreis von Beratern, delegiert nicht, vertraut niemandem und – wie ihr ehemaliger Kabinettsk­ollege Eric Pickles einmal sagte: „Sie ist keine Politikeri­n, die auf einen Handel eingeht. Sie nimmt eine Position ein, und darauf besteht sie dann aus Prinzip.“

Kein Drängen um Mays Nachfolge

Auch ein Nachfolger für die angeschlag­ene Politikeri­n drängt sich nicht gerade auf. Außenminis­ter Johnson hat zwar all das, was May fehlt: Flair, Charisma, Humor. Aber ihm fehlt all das, was sie hat: Arbeitsmor­al, Prinzipien­treue, Verlässlic­hkeit. Johnson war einst ein EU-Anhänger, ehe er Großbritan­nien im Vorjahr in den Brexit führte. Innenminis­terin Amber Rudd kann ihren Ehrgeiz kaum besser zügeln als Johnson. Doch sie überstand die Wahlnacht nur um Haaresbrei­te.

Eine künftige Parteiführ­erin ist mit Sicherheit die Chefin der schottisch­en Konservati­ven, Ruth Davidson. Unter ihrer charismati­schen Führung feierten die Tories nördlich des Hadrian Wall am Donnerstag mit dem Gewinn von zwölf Mandaten eine Rückkehr von den politische­n Toten. Davidson ist liberal, lesbisch und leutselig. Für das Amt in London hat sie aber gleich einmal abgewinkt. „Stehen Sie bereit, die Konservati­ven zu führen?“, wurde sie in der Wahlnacht gefragt. „Ich führe die Konservati­ven bereits“, erwiderte sie. „In Schottland.“

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Theresa May zeigte sich mit ihrem Mann, Philip, in der Downing Street, während eine Parteifreu­ndin Labour
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[ AFP (2) ] s Corbyn überschwän­glich gratuliert. VON THOMAS VIEREGGE

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