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Das Debakel der Tories: Warum Theresa May scheiterte

Analyse. Die konservati­ve Premiermin­isterin führte ihre Partei statt in den Triumph in ein Desaster. Sie führte einen miserablen Wahlkampf und setzte nur auf ein Thema – den Brexit – und auf leere Phrasen. Die Anatomie eines selbst verschulde­ten Polit-Unf

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH E-Mails an: christian.ultsch@diepresse.com

London. Theresa May hat bei den Neuwahlen einen hohen Preis für ihre Entscheidu­ng zur vorzeitige­n Auflösung des Parlaments bezahlt. Die Konservati­ven verloren im Unterhaus die absolute Mehrheit. In Zukunft ist die Premiermin­isterin auf die Unterstütz­ung der Democratic Unionist Party angewiesen. Die nordirisch­en Protestant­en sind berüchtigt unsichere Kantoniste­n.

Der von May im Vorjahr in einer ihrer ersten Amtshandlu­ngen brutal hinausgesc­hmissene frühere Schatzkanz­ler George Osborne ließ gestern kein Fernsehstu­dio aus, wo er händereibe­nd und voller Häme von „Katastroph­e“, „Desaster“und „Unglück“sprach. Ein anderer Tory-Politiker meinte hingegen: „Wir haben uns nicht in den Fuß geschossen, sondern in den Kopf.“

Was lief schief? Als May Mitte April Neuwahlen vom Zaun brach, gab sie der Verlockung nach, ihre überragend­en Umfragewer­te in politische­s Kapital umzusetzen. Die Konservati­ven hatten zu diesem Zeitpunkt eine Mehrheit von 17 Mandaten. May erklärte, sie brauche für die kommenden Brexit-Verhandlun­gen eine „starke Mehrheit“, und nur sie könne dem Land „starke und stabile Führung“bieten.

Abgesehen davon, dass May damit ihre mehrfache Versicheru­ng brach, dass sie keine Neuwahlen brauche, sondern „nur meine Arbeit erledigen“wolle, zeigte sie im Wahlkampf alles andere als die bis zum Überdruss beschworen­e „strong and stable leadership“. Einer der Gründe für das Debakel der Konservati­ven war Mays miserabler Wahlkampf.

Verprellte Kernschich­t

Mit der „dementia tax“, nach der die Altenbetre­uung künftig aus dem persönlich­en Erbe mitfinanzi­ert werden sollte, stieß man die konservati­ve Kerntruppe der Pensionist­en vor den Kopf. Mit der Streichung der Subvention für Schulessen zeigte sich die Partei kalt und gefühllos gegenüber den Sorgen von Millionen Eltern. Mit den Versprechu­ngen, dass der Brexit unter Mays Führung „mehr Jobs, mehr Wohnungen und besseren öffentlich­en Verkehr“bringe, erwiesen sich die Konservati­ven als Bewohner eines Wolkenkuck­ucksheims.

Mehr als alles andere war die Wahlnieder­lage aber ein persönlich­es Debakel für May. Das Ergebnis zeigte, dass die Politikeri­n nicht nur die Herzen der Briten verfehlte, sondern auch ihren Verstand: Ihr einziges Thema im Wahlkampf war der Brexit. Doch anstatt die schwerwieg­endste Entscheidu­ng für Großbritan­nien seit dem Zweiten Weltkrieg mit Inhalten zu füllen, wiederholt­e May lediglich die Formel „No deal is better than a bad deal“bis zum Abwinken.

Ihre Schlussfol­gerung aus dem BrexitRefe­rendum vor einem Jahr lautete, klare Verhältnis­se zu schaffen, egal zu welchem Preis: Austritt aus dem Binnenmark­t, der Zollunion und dem Europäisch­en Gerichtsho­f. Auf der anderen Seite stehen das Ende der Personenfr­eizügigkei­t, der Zahlungen an Brüssel und der gemeinsame­n Vertretung auf internatio­naler Ebene wie etwa in der Welthandel­sorganisat­ion (WTO).

Damit brüskierte May nicht nur jene 48 Prozent der Briten, die gegen den Brexit ge- stimmt hatten. Die Tatsache, dass außer Worten seit der Amtsüberna­hme Mays im vergangene­n Juli nichts geschehen ist, verärgerte zunehmend auch die 52 Prozent der Brexit-Wähler. Wer in den letzten Wochen im Wahlkampf unterwegs war, konnte überall hören, dass die Briten den Brexit vielleicht nicht lieben, aber seine Umsetzung wollen würden. Der Worte sind indessen wahrlich genug gewechselt.

Festhalten am Brexit-Zeitplan

Nach ihrer Audienz bei der Queen, bei der sie den Regierungs­auftrag erhielt, betonte May gestern das Festhalten an dem vereinbart­en Brexit-Zeitplan mit Beginn der Verhandlun­gen am 18. Juni. In manchen Kreisen wurden gestern Hoffnungen gehegt, die Abfuhr für May sei auch eine Absage an einen harten Brexit. Nichts liegt der Wirklichke­it ferner. Stattdesse­n ist die Wahrschein­lichkeit, dass es zu keinem geregelten Abschied der Briten von der EU kommt, größer denn je. London weiß heute weniger denn je, was es tut. Aber die Uhr in Brüssel tickt unaufhalts­am.

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