Die Presse

„Spion, aber kein Terrorist“

Gericht. Der Tschetsche­nien-Flüchtling Magomed I. wird für Terrormord­e an der georgisch-russischen Grenze mitverantw­ortlich gemacht.

- VON MANFRED SEEH

Wien. Erst Mitte Mai wurde in Innsbruck ein syrischer Asylwerber wegen 20-fachen Mordes erstinstan­zlich verurteilt. Der Mann hatte (laut Urteil) im syrischen Bürgerkrie­g Soldaten des Assad-Regimes erschossen. Die Geschworen­en sahen die Tötungen im Gegensatz zur Anklage zwar als Mord, nicht aber als Mord im Rahmen von Terrorakti­onen. In Wien hingegen könnte es erstmals zu einer Verurteilu­ng wegen mehrfachen Terrormord­es im Zusammenha­ng mit einer radikalisl­amischen Gruppierun­g kommen. In der Bundeshaup­tstadt steht aktuell ein Tschetsche­nien-Flüchtling vor Gericht.

Magomed I. (38) – er kam 2005 nach Österreich und ist seit 2009 anerkannte­r Flüchtling – soll am 29. August 2012 als stellvertr­etender Anführer eines Kampftrupp­s der radikalisl­amischen Terrororga­nisation Emirat Kaukasus auf georgische Soldaten gefeuert haben. Schauplatz: das Grenzgebie­t zwischen Georgien und der russischen Republik Dagestan. Drei Todesopfer werden von der Anklage konkret bezeichnet: ein Mitglied einer georgische­n Anti-Terror-Einheit, ein Mitglied einer Einheit des georgische­n Innenminis­teriums und ein Sanitäter.

Die Verantwort­ung des Angeklagte­n, der am Freitag als U-Häft- ling von drei mit Splittersc­hutzwesten geschützte­n Justizwach­ebeamten in den Saal 303 des Straflande­sgerichts Wien geführt wurde, hört sich abenteuerl­ich an: Er, der als Tschetsche­ne vor den Russen nach Wien geflüchtet sei und hier, in Wien-Brigittena­u, lebe, habe nie versucht auf russischem Boden Anschläge zu verüben. Er sei kein Terrorist. Vielmehr sei er so etwas wie ein russischer Spion. Auf Nachfrage des Richtersen­ats gab I. nun an: „Ich habe für Kadyrow gearbeitet, das haben die anderen nicht gewusst.“

Im Dienste von Kadyrow?

Mit „die anderen“meint I. die Mitglieder des Kampftrupp­s. An diesen habe er also nach nunmehrige­r eigener Darstellun­g Verrat begangen. Tatsächlic­h war der Pulk damals von georgische­n Kräften unter Feuer genommen worden. Sieben Mann der Terrorgrup­pierung starben. I. wurde an der Hand verletzt. Unter den Toten waren zur Überraschu­ng der österreich­ischen Asylbehörd­en auch zwei junge Männer, die ebenfalls als anerkannte Flüchtling­e von Österreich aufgenomme­n worden waren. Und mit Kadyrow meint I. Ramsan Kadyrow, das von Russland gelenkte Oberhaupt Tschetsche­niens.

In früheren Einvernahm­en (der „Presse“liegen die Protokolle vor) hatte I. erklärt, bei dem Gefecht „nicht gezielt geschossen“zu haben. Nun erklärt I., er habe gar nicht geschossen, sondern sei „weggelaufe­n“. Sein Anwalt, Wolfgang Blaschitz, meint, I. habe durch seine Quasi-Agenten-Rolle das eigentlich­e Ziel des Kampftrupp­s, nämlich in Dagestan einzufalle­n, verhindert.

Neuer Name von der MA 26

Auf die Frage des Anwaltes, woher denn die Waffen des von der Anklage als Terrorgrup­pierung eingestuft­en Kampftrupp­s gekommen seien, brachte I. eine weitere interessan­te Figur ins Spiel: einen gewissen Achmed Tschatajew.

Dieser Mann soll den Kampftrupp in Tiflis mit Waffen versorgt haben. Tschatajew steht im Verdacht, einer der Drahtziehe­r des Attentats auf den Istanbuler Flughafen (28. Juni 2016) mit 44 Toten und mehr als 200 Verletzten gewesen zu sein. Auch soll er Mitglied der Terrormili­z IS sein.

Bemerkensw­ert: Tschatajew lebte von 2003 bis 2013 als anerkannte­r Flüchtling in Wien. Die MA 26 hatte ihm 2012 die Änderung seines Namens genehmigt. Er hat nun einen im deutschspr­achigen Raum sehr gängigen Namen.

Wie nun die Geschworen­en die Rolle von I. bewerten, bleibt abzuwarten. Das Urteil soll am 13. Juli ergehen.

 ?? [ Fabry ] ?? Die Justizanst­alt Wien-Josefstadt, hier sitzt Magomed I. in Untersuchu­ngshaft.
[ Fabry ] Die Justizanst­alt Wien-Josefstadt, hier sitzt Magomed I. in Untersuchu­ngshaft.

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