Das Netzwerk des Sebastian Kurz
Input. Der neue ÖVP-Chef überlässt wirklich nichts dem Zufall: Über die Jahre hat er sich ein ansehnliches Netzwerk an Wirtschaftstreibenden aufgebaut, mit denen er sich gern austauscht. Parallelen zu Wolfgang Schüssel sind unverkennbar.
Die ominösen „Österreich-Gespräche“: Den ganzen Sommer über will der designierte ÖVP-Chef Sebastian Kurz wöchentlich ein oder zwei Firmenbesuche absolvieren. Also war er am Dienstag bei einer Tischlerei im Weinviertel, um über Steuersenkungen zu plaudern. Nächste Woche ist das Thema „Soziales“dran, eine Woche später ist es der Tourismus. Wahlkampf, ja. Und Sebastian Kurz ist emsig dabei, sein wirtschaftspolitisches Profil zu schärfen. Da hat er zweifellos eine Flanke offen: FPÖ-Chef HeinzChristian Strache ist in der Hinsicht keine große Gefahr, aber SPÖ-Gegner Christian Kern? Der hat immerhin Jahrzehnte an Managementerfahrung beim Stromkonzern Verbund und bei den ÖBB vorzuweisen. Sebastian Kurz kann da nicht mithalten. Aber es wäre nicht Kurz, hätte er nicht auch da minutiös vorgeplant: Über die Jahre hat er sich also ein recht ansehnliches Reservoir an Wirtschaftstreibenden geschaffen, mit denen er sich mehr oder weniger regelmäßig austauscht.
Klar: Für Wirtschafts- und Sozialfragen hat Kurz die Politische Akademie, die Bildungseinrichtung der ÖVP, als Thinktank. Und auch das Wirtschaftsforschungsinstitut Eco Austria, das hauptsächlich von der In- dustriellenvereinigung finanziert wird, liefert ihm Input. Aber es geht halt nichts über persönliche Netzwerke. Möglichst weit verzweigte, natürlich.
Interessant ist, dass Kurz schon lange am Aufbau solcher Kontakte arbeitet. Nämlich: seit 2011, als er Staatssekretär für Integration wurde. Seitdem gibt es einmal im Quartal Abendessen, die der frühere Sprecher von Josef Pröll und nunmehrige Kommunikationsberater Daniel Kapp organisiert. Acht bis zehn Personen werden da regelmäßig eingeladen, aus den Bereichen Kultur, Wissenschaft, Religion – und Wirtschaft. Kapp: „Die Grundidee dahinter ist, Möglichkeiten für Diskussionen zu schaffen. Zusammenkünfte, bei denen sich ein Politiker nicht positionieren muss, sondern zuhört und diskutiert.“Ein intellektueller Austausch also – meist mit Personen, die berechenbar anderer Meinung als Kurz sind. „Es gibt dann die Freiheit, auch leidenschaftlich zu streiten“, sagt Kapp. „Es geht um die Reflexion der eigenen Position.“
Bei diesen Abendessen wird Kurz wohl den einen oder anderen Kontakt geknüpft haben. Aber Gesprächspartner unter Wirtschaftstreibenden sucht er sich bevorzugt selber aus. Nach einem ganz simplen Mus- ter: Er lernt sie meist bei Abendveranstaltungen, die er häufig besucht, kennen. Und ruft sie in den Tagen darauf persönlich an. Niki Lauda, zum Beispiel. „Wir sind uns einige Male begegnet“, erzählt der dreifache Formel-1-Weltmeister und Flugunternehmer. „Irgendwann hat er meine Handynummer eruiert – mich aber nicht anrufen lassen, sondern selbst angerufen.“Es folgte ein Treffen im Cafe´ Imperial, gleichsam Laudas zweitem Wohnzimmer. „Er hat mich unter anderem nach meiner Meinung zum Thema Verkehrsrechte der Etihad Airways gefragt“, erzählt Lauda. Beim nächsten Treffen will er Kurz allerdings mit Kritik begegnen. Lauda: „Dass er sich jetzt schon zum Thema Steuersenkungen geäußert hat, war zu früh und daher unausgegoren. Da hat er Pulver verschossen.“
Mit Lauda macht Sebastian Kurz jedenfalls eine Ausnahme – beim Treffpunkt nämlich. Üblicherweise lädt er Wirtschaftstreibende zum Vier-Augen-Gespräch zu sich ins Büro ein. Das Spektrum ist groß: Er pflegt, no na, Kontakte zu den Raiffeisen-Granden Walter Rothensteiner und Erwin Hameseder sowie zu den Industrie-Vertretern Georg Kapsch und Therese Niss.
Kurz plaudert aber auch gern dann und wann mit Erste-Chef Andreas Treichl, mit Wüstenrot-Chefin Susanne Riess, mit Hofer-Vorstand Günther Helm, Runtastic-Gründer Florian Gschwandtner und mit Casinos-Vorständin Bettina Glatz-Kremsner. Glatz-Kremsner ist in Budapest aufgewachsen und wird vorzugsweise zum Thema Integration, aber auch zum Thema Frauen in der Wirtschaft zu Rate gezogen. Der Industrielle Stefan Pierer wiederum redet mit Kurz über Standortpolitik. „Da geht es vor allem um die wirklich dringende Arbeitszeitflexibilisierung, aber auch um den Bürokratieabbau“, sagt Pierer. Er betont, dass er „mit Politikern aller Couleurs im Gespräch“ist. Aber: „Ich werde Kurz nach meinen Möglichkeiten unterstützen. Er hat ein gutes Geschick, zuzuhören und sich eine Meinung zu bilden.“
Merke: Noch hat sich Sebastian Kurz wirtschaftspolitisch nicht in die Karten schauen lassen – bis auf seine höchst vagen Aussagen zu Steuersenkungen. Aber die Begeisterung über den „guten Zuhörer“scheint unter Wirtschaftstreibenden keine Grenzen zu kennen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass bei seinen Vorgängern da einiges im Argen lag: Michael Spindelegger machte aus Gesprächen mit Wirtschaftstreibenden eher eine medienwirksame Show. Bei „Unternehmen Österreich 2025“, das er mit viel Trara ins Leben rief, wurden rund 200 Wirtschaftsexperten zum Gedankenaustausch eingeladen. Viel zu viel, um tatsächlich eingehende, konstruktive Ge- spräche führen zu können. Spindelegger beschränkte sich dabei aber eh nur auf knappe Begrüßungsworte.
Reinhold Mitterlehner wiederum hatte gute Kontakte vor allem zu Managern seiner Heimat Oberösterreich – etwa zu Voest-Chef Wolfgang Eder, OMV-Boss Gerhard Roiss oder Verbund-Chef Wolfgang Anzengruber. Aber so richtige Diskussionsrunden gab es auch nicht.
Da hielt es Wolfgang Schüssel anders, und Heidi Glück, einst dessen Sprecherin, sieht auch Gemeinsamkeiten mit der Strategie von Sebastian Kurz. „Unter Schüssel war das alles sehr strukturiert“, erinnert sich Glück, „es gab erstens viele individuelle Kontakte zu Managern, zweitens regelmäßig Firmenbesuche und drittens Gesprächsrunden mit Auslandsösterreichern, die einmal im Jahr stattfanden.“
Individuelle Kontakte? Können auf der Kurz-Checkliste abgehakt werden. Firmenbesuche? Macht er gerade intensiv. Bleiben die Auslandsösterreicher. Auch da ist Kurz nicht faul.
Er hat Kontakte zu Auslandsösterreichern wie Franz Schinagl, der in London mit seinem Foodtruck „Speckmobile“Furore macht, oder Western-Union-Chef Hikmet Ersek. Kontakt gibt es auch zu den ehemaligen deutschen Ministern für Wirtschaft und Technologie, Karl Theodor Guttenberg und Philipp Rösler.
Und dann gibt es auch noch die KurzInitiative „Welt.Wirtschaft.Österreich“. Die Idee dahinter: Über die österreichischen Botschaften soll weltweit nach den besten wirtschaftspolitischen Ideen gesucht werden. Auch Veranstaltungen gibt es zu dem Thema regelmäßig. Sebastian Kurz hat diese neue Plattform im Spätsommer 2016 in seiner Funktion als Außenminister präsentiert – und mit den Problemen des Wirtschaftsstandortes Österreich begründet.
Spätestens da muss Mitterlehner – damals ÖVP-Chef und Wirtschaftsminister – den Braten gerochen haben.