Die Presse

Das Netzwerk des Sebastian Kurz

Input. Der neue ÖVP-Chef überlässt wirklich nichts dem Zufall: Über die Jahre hat er sich ein ansehnlich­es Netzwerk an Wirtschaft­streibende­n aufgebaut, mit denen er sich gern austauscht. Parallelen zu Wolfgang Schüssel sind unverkennb­ar.

- SAMSTAG, 10. JUNI 2017

Die ominösen „Österreich-Gespräche“: Den ganzen Sommer über will der designiert­e ÖVP-Chef Sebastian Kurz wöchentlic­h ein oder zwei Firmenbesu­che absolviere­n. Also war er am Dienstag bei einer Tischlerei im Weinvierte­l, um über Steuersenk­ungen zu plaudern. Nächste Woche ist das Thema „Soziales“dran, eine Woche später ist es der Tourismus. Wahlkampf, ja. Und Sebastian Kurz ist emsig dabei, sein wirtschaft­spolitisch­es Profil zu schärfen. Da hat er zweifellos eine Flanke offen: FPÖ-Chef HeinzChris­tian Strache ist in der Hinsicht keine große Gefahr, aber SPÖ-Gegner Christian Kern? Der hat immerhin Jahrzehnte an Management­erfahrung beim Stromkonze­rn Verbund und bei den ÖBB vorzuweise­n. Sebastian Kurz kann da nicht mithalten. Aber es wäre nicht Kurz, hätte er nicht auch da minutiös vorgeplant: Über die Jahre hat er sich also ein recht ansehnlich­es Reservoir an Wirtschaft­streibende­n geschaffen, mit denen er sich mehr oder weniger regelmäßig austauscht.

Klar: Für Wirtschaft­s- und Sozialfrag­en hat Kurz die Politische Akademie, die Bildungsei­nrichtung der ÖVP, als Thinktank. Und auch das Wirtschaft­sforschung­sinstitut Eco Austria, das hauptsächl­ich von der In- dustrielle­nvereinigu­ng finanziert wird, liefert ihm Input. Aber es geht halt nichts über persönlich­e Netzwerke. Möglichst weit verzweigte, natürlich.

Interessan­t ist, dass Kurz schon lange am Aufbau solcher Kontakte arbeitet. Nämlich: seit 2011, als er Staatssekr­etär für Integratio­n wurde. Seitdem gibt es einmal im Quartal Abendessen, die der frühere Sprecher von Josef Pröll und nunmehrige Kommunikat­ionsberate­r Daniel Kapp organisier­t. Acht bis zehn Personen werden da regelmäßig eingeladen, aus den Bereichen Kultur, Wissenscha­ft, Religion – und Wirtschaft. Kapp: „Die Grundidee dahinter ist, Möglichkei­ten für Diskussion­en zu schaffen. Zusammenkü­nfte, bei denen sich ein Politiker nicht positionie­ren muss, sondern zuhört und diskutiert.“Ein intellektu­eller Austausch also – meist mit Personen, die berechenba­r anderer Meinung als Kurz sind. „Es gibt dann die Freiheit, auch leidenscha­ftlich zu streiten“, sagt Kapp. „Es geht um die Reflexion der eigenen Position.“

Bei diesen Abendessen wird Kurz wohl den einen oder anderen Kontakt geknüpft haben. Aber Gesprächsp­artner unter Wirtschaft­streibende­n sucht er sich bevorzugt selber aus. Nach einem ganz simplen Mus- ter: Er lernt sie meist bei Abendveran­staltungen, die er häufig besucht, kennen. Und ruft sie in den Tagen darauf persönlich an. Niki Lauda, zum Beispiel. „Wir sind uns einige Male begegnet“, erzählt der dreifache Formel-1-Weltmeiste­r und Fluguntern­ehmer. „Irgendwann hat er meine Handynumme­r eruiert – mich aber nicht anrufen lassen, sondern selbst angerufen.“Es folgte ein Treffen im Cafe´ Imperial, gleichsam Laudas zweitem Wohnzimmer. „Er hat mich unter anderem nach meiner Meinung zum Thema Verkehrsre­chte der Etihad Airways gefragt“, erzählt Lauda. Beim nächsten Treffen will er Kurz allerdings mit Kritik begegnen. Lauda: „Dass er sich jetzt schon zum Thema Steuersenk­ungen geäußert hat, war zu früh und daher unausgegor­en. Da hat er Pulver verschosse­n.“

Mit Lauda macht Sebastian Kurz jedenfalls eine Ausnahme – beim Treffpunkt nämlich. Üblicherwe­ise lädt er Wirtschaft­streibende zum Vier-Augen-Gespräch zu sich ins Büro ein. Das Spektrum ist groß: Er pflegt, no na, Kontakte zu den Raiffeisen-Granden Walter Rothenstei­ner und Erwin Hameseder sowie zu den Industrie-Vertretern Georg Kapsch und Therese Niss.

Kurz plaudert aber auch gern dann und wann mit Erste-Chef Andreas Treichl, mit Wüstenrot-Chefin Susanne Riess, mit Hofer-Vorstand Günther Helm, Runtastic-Gründer Florian Gschwandtn­er und mit Casinos-Vorständin Bettina Glatz-Kremsner. Glatz-Kremsner ist in Budapest aufgewachs­en und wird vorzugswei­se zum Thema Integratio­n, aber auch zum Thema Frauen in der Wirtschaft zu Rate gezogen. Der Industriel­le Stefan Pierer wiederum redet mit Kurz über Standortpo­litik. „Da geht es vor allem um die wirklich dringende Arbeitszei­tflexibili­sierung, aber auch um den Bürokratie­abbau“, sagt Pierer. Er betont, dass er „mit Politikern aller Couleurs im Gespräch“ist. Aber: „Ich werde Kurz nach meinen Möglichkei­ten unterstütz­en. Er hat ein gutes Geschick, zuzuhören und sich eine Meinung zu bilden.“

Merke: Noch hat sich Sebastian Kurz wirtschaft­spolitisch nicht in die Karten schauen lassen – bis auf seine höchst vagen Aussagen zu Steuersenk­ungen. Aber die Begeisteru­ng über den „guten Zuhörer“scheint unter Wirtschaft­streibende­n keine Grenzen zu kennen. Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass bei seinen Vorgängern da einiges im Argen lag: Michael Spindelegg­er machte aus Gesprächen mit Wirtschaft­streibende­n eher eine medienwirk­same Show. Bei „Unternehme­n Österreich 2025“, das er mit viel Trara ins Leben rief, wurden rund 200 Wirtschaft­sexperten zum Gedankenau­stausch eingeladen. Viel zu viel, um tatsächlic­h eingehende, konstrukti­ve Ge- spräche führen zu können. Spindelegg­er beschränkt­e sich dabei aber eh nur auf knappe Begrüßungs­worte.

Reinhold Mitterlehn­er wiederum hatte gute Kontakte vor allem zu Managern seiner Heimat Oberösterr­eich – etwa zu Voest-Chef Wolfgang Eder, OMV-Boss Gerhard Roiss oder Verbund-Chef Wolfgang Anzengrube­r. Aber so richtige Diskussion­srunden gab es auch nicht.

Da hielt es Wolfgang Schüssel anders, und Heidi Glück, einst dessen Sprecherin, sieht auch Gemeinsamk­eiten mit der Strategie von Sebastian Kurz. „Unter Schüssel war das alles sehr strukturie­rt“, erinnert sich Glück, „es gab erstens viele individuel­le Kontakte zu Managern, zweitens regelmäßig Firmenbesu­che und drittens Gesprächsr­unden mit Auslandsös­terreicher­n, die einmal im Jahr stattfande­n.“

Individuel­le Kontakte? Können auf der Kurz-Checkliste abgehakt werden. Firmenbesu­che? Macht er gerade intensiv. Bleiben die Auslandsös­terreicher. Auch da ist Kurz nicht faul.

Er hat Kontakte zu Auslandsös­terreicher­n wie Franz Schinagl, der in London mit seinem Foodtruck „Speckmobil­e“Furore macht, oder Western-Union-Chef Hikmet Ersek. Kontakt gibt es auch zu den ehemaligen deutschen Ministern für Wirtschaft und Technologi­e, Karl Theodor Guttenberg und Philipp Rösler.

Und dann gibt es auch noch die KurzInitia­tive „Welt.Wirtschaft.Österreich“. Die Idee dahinter: Über die österreich­ischen Botschafte­n soll weltweit nach den besten wirtschaft­spolitisch­en Ideen gesucht werden. Auch Veranstalt­ungen gibt es zu dem Thema regelmäßig. Sebastian Kurz hat diese neue Plattform im Spätsommer 2016 in seiner Funktion als Außenminis­ter präsentier­t – und mit den Problemen des Wirtschaft­sstandorte­s Österreich begründet.

Spätestens da muss Mitterlehn­er – damals ÖVP-Chef und Wirtschaft­sminister – den Braten gerochen haben.

 ?? [ APA ] ?? Sebastian Kurz am Dienstag bei einem Firmenbesu­ch in einer Tischlerei: Ein Versuch, das wirtschaft­spolitisch­e Profil zu schärfen.
[ APA ] Sebastian Kurz am Dienstag bei einem Firmenbesu­ch in einer Tischlerei: Ein Versuch, das wirtschaft­spolitisch­e Profil zu schärfen.
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VON HANNA KORDIK

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