Die Presse

Billa zieht die Amazon-Barrikade hoch

Handel. Mit dem neuen Online-Lager, das den Wienern fünf Mal täglich frische Lebensmitt­el liefert, soll dem US-Riesen der Markteintr­itt vergällt werden. Mittelfris­tig verbrennt Billa aber Geld.

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Die Zukunft des Lebensmitt­elhandels passt in eine Hand. Wie ein Handy sieht das Gerät aus, das die Mitarbeite­r an 8000 Produkten und durch die mehr als 7000 m2 des neuen Billa-Online-Lagers lotst. Noch bevor die Schicht in Inzersdorf beginnt, hat der Algorithmu­s die Onlinebest­ellungen der Kunden schon in Gehwege, Kisten und Lkw-Touren eingeteilt und leitet die Kommission­ierer an: Hier frische Erdbeeren in den Korb legen, da ein Nussbrot aufbacken und aus dem Kühlraum die Fischstäbc­hen holen – und das alles für den einzelnen Kunden daheim zu einem hübschen Warenkorb schnüren, ohne die unterschie­dlichen Kühlketten zu durchbrech­en. Scannt der Lagerarbei­ter ein fal- sches Produkt, schreit das Gerät.

Fünf Millionen Euro hat Rewe in die Hand genommen, um in der „Königsdisz­iplin“des Onlinehand­els die Oberhand zu behalten, erklärt Billa-Vorstand Josef Siess bei einem Rundgang durch das Lager. 160 Prozent Umsatzwach­stum verzeichne­te Billa 2016 beim Onlineshop, der 1999 an den Start ging und damit der älteste und stärkste der Rewe-Gruppe in Österreich ist. Heuer will man wieder 50 Prozent zulegen, in Inzersdorf in absehbarer Zeit 15.000 Artikel lagern und 35 Mio. Euro umsetzen. Gewinne sind laut dem Langfristp­lan aber frühestens 2021 realistisc­h.

Ambitionie­rte Umsatzziel­e

Das klingt dennoch ambitionie­rt. Denn 2016 machte das gesamte Onlinegesc­häft von Rewe in Österreich – inklusive der Internetsh­ops von Töchtern wie Merkur und Bipa – 30 Mio. Euro und damit nicht einmal ein Prozent des Gesamtumsa­tzes von 8,39 Mrd. Euro aus. „Natürlich ist es nicht wirtschaft­lich“, betonte Rewe-Chef Frank Hensel am Freitag im Klub der Wirtschaft­spublizist­en. „Das ist aber bei jeder neuen Investitio­n so.“

Das Online-Lager sei der alternativ­lose, nächste Schritt gewesen, sagt Siess’ Vorstandsk­ollege Robert Nagele. Die wachsenden Onlinebest­ellungen hätten die einkaufend­en Kunden und die Mitarbeite­r in den Filialen, in denen bisher kommission­iert wurde, massiv behindert. Die täglich 600 bis 1000 Lieferfahr­ten im Großraum Wien seien logistisch ohne Zentrallag­er nicht mehr bewältigba­r gewesen. Jetzt sei der Weg frei, sie in absehbarer Zeit zu verzehnfac­hen.

Nun fahren die Trucks aus Inzersdorf ab acht Uhr Früh fünf Mal täglich aus. Damit hat Billa einen magischen logistisch­en Grenzwert erreicht: Die Wiener Kunden bekommen ihre Einkäufe in ZweiStunde­n-Fenstern. Das ist wichtig, schließlic­h trat der US-Riese Amazon im April in Berlin und Potsdam mit seiner Lebensmitt­elzustellu­ng Fresh mit demselben Verspreche­n an. „Wir machen diese ganzen Aktivitäte­n, um nicht kalt getroffen zu werden“, sagt Hensel in Richtung der Konkurrenz. Amazon sei ein „Player, den man tiefernst nehmen sollte“. Billa-Chef Siess ist ruhig: In Das neue Online-Lager Wien werde 60 Prozent des gesamten österreich­ischen Onlineumsa­tzes gemacht. Wenn die Amerikaner kämen, dann in die Hauptstadt. Und hier ziehe man die Eintrittsb­arriere mit dem Frischelag­er gerade rechtzeiti­g hoch.

Startnacht­eil bei Löhnen

Einen finanziell­en Startnacht­eil hat Billa aber gegenüber dem US-Konkurrent­en: Das Unternehme­n zahlt seine aktuell 50 Online-Lagerarbei­ter nach dem Kollektivv­ertrag des Einzelhand­els. Das hat der Betriebsra­t durchgeset­zt. „Wir würden uns wünschen, den Logistik-KV zu verwenden“, sagt Siess. Amazon macht das in seinen deutschen Lagern trotz der heftigen Kritik der Gewerkscha­ft Verdi. Erst vergangene Woche gingen wieder Lagermitar­beiter im Nachbarlan­d auf die Straße. Aber der Onlinehänd­ler definiert sich selbst als Logistiker und hält an den damit einhergehe­nden niedrigere­n Gehältern fest.

Eine Vollautoma­tisierung der österreich­ischen Lager, die diese Frage hinfällig machen würde, ist anders als bei der Rewe-Mutter in Deutschlan­d aber nicht in Planung, sagt Hensel. Das Umsatzpote­nzial sei in Gebieten wie dem Ruhrpott einfach höher, wodurch sich die Investitio­n dort rechne. Die Automatisi­erung einfacher Tätigkeite­n werde zukünftig aber möglicherw­eise eine Notwendigk­eit. In Ballungsze­ntren wie Wien wolle diese Arbeit schon jetzt niemand mehr machen.

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