Hängepartie klingt nach kontinentaler Krankheit
Selten erlaubt das britische relative Mehrheitswahlrecht ein „hung parliament“. Eine „Lose-lose-Situation“. Es wird noch etwas dauern, bis Regierungschefin Theresa May reif für die Insel ist.
Der Ausdruck wird so selten gebraucht, dass ihn selbst anglophile Menschen leicht verdrängen: „Hung parliament“ist eine völlig nutzlose Phrase, zu oft bedeutet „hung“etwas Negatives, nur mit dem Beiwort „well“entfaltet sie ein wenig Geschmack oder ersehnte Größe.
Echte Briten spucken diesen Sachverhalt, der ins Deutsche umständlich mit „Parlament ohne klare Mehrheitsverhältnisse“übertragen wird, zwischen steifer Oberlippe und verkrampftem Unterkiefer nur dann aus, wenn ihr narrensicher scheinendes Mehrheitswahlrecht ausnahmsweise versagt hat und der relative Sieger auf Koalitionspartner angewiesen ist. „Hung parliament“ist eine konti- nentale Krankheit, die allenfalls polyamoren Franzosen zu wünschen ist, niemals dem Empire, das die Demokratie und den Kanal erfunden hat.
Das erste Mal stolperten wir gereiften Windsor-Watchers als Pubertierende über diese Phrase. Der Englischlehrer hätte auch „balanced parliament“sagen können, aber er diktierte „hung“, wohl aus uns damals nicht bewussten ideologischen Gründen. Und wir Schüler stellten uns vor, dass der konservative Premierminister Edward Heath im Vormärz 1974 an einer Laterne baumelte.
Was hatte dieser verdiente Tory zuvor nicht alles auszuhalten? Erst führte er sein Land in die EG, dann musste er die Öl- und die Pfundkrise bewältigen. Bei den Unterhauswahlen erhielten damals die Konservativen mit 11.872.180 Stimmen zwar mehr als Labour (11.645.616), aber um vier Mandate weniger. Heath war Geschichte, der Sozialist Harold Wilson hatte ein kurzes Comeback als Regierungschef. Nur so konnte die neoliberale Bannerträgerin Margaret Thatcher fünf Jahre später die Chance ergreifen, einen demoralisierten Staat exzessiv gesund zu sparen.
Merke: Wer eine Hängepartie erleidet, hält sich in London meist nicht lang. Eine Lose-lose-Situation. Wilson gab 1976 auf, Nachfolger James Callaghan scheiterte 1979. Auch den Akteuren beim nächsten „hung parliament“2010 war nur kurzer Erfolg beschieden. Gordon Brown von New Labour schaffte zuvor nicht einmal drei Jahre an der Spitze, sein Nachfolger David Cameron von den Tories immerhin doppelt so viele. Geprägt haben sie die Politik kaum. Wer also hofft, dass sich im Königreich wirklich etwas bewegt, wird wohl noch etwas warten müssen, bis Regierungschefin Theresa May reif für die Insel ist.