Die Presse

Tochter werden ist nicht schwer . . .

Streamingt­ipps. Vater-Sohn-Filme gibt es zur Genüge. Die Beziehung zwischen dem Paterfamil­ias und der Tochter des Hauses wird hingegen seltener beleuchtet – zu Unrecht. Fünf Empfehlung­en anlässlich des morgigen Vatertags.

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Wenn ein guter Vater jemand sein soll, zu dem man aufblicken kann, dann gibt es in der Welt der Fiktion kaum einen besseren als Atticus Finch. Der rechtschaf­fene Anwalt aus Harper Lees autobiogra­fisch angehaucht­em Roman „To Kill a Mockingbir­d“wirkt wie ein wandelndes Monument sämtlicher Kernideale Amerikas: Sein Sinn für Gerechtigk­eit ist unerschütt­erlich, sein Edelmut grenzenlos. Dabei bleibt er stets ein einfacher Witwer aus Alabama, der Sohn Jem und Tochter Jean Louise mit der größtmögli­chen Fürsorge auf- und erzieht. Das Buch geriet zum Klassiker und Finch zu einem nationalen Tugendidol. Mit Gregory Peck fand Hollywood den perfekten Schauspiel­er für die Figur: Ernst und entschloss­en, sanft und weise zugleich mutet seine Darstellun­g in Robert Mulligans gediegener Verfilmung an. Das dreifach Oscar-prämierte Drama bildet nach wie vor die Blaupause für viele liberale Prestigefi­lme. Finch erscheint darin als Wiedergäng­er Abraham Lincolns, der Rassismus heldenhaft Paroli bietet, eine Art Südstaatle­r-Superman mit Clark-Kent-Brille. Seine Makellosig­keit kann man ihm vorhalten. Sie lässt sich aber dadurch erklären, dass man mit den Augen seiner Tochter auf ihn blickt – und diese stilisiert ihn zum Vater einer ganzen Nation. Comic-Autor Mark Millar hat eine Vorliebe für extreme, provokante Superhelde­n-Zerrbilder. Eins davon ist das Vater-Tochter-Selbstjust­izler-Duo Big Daddy und Hit Girl. Er ist eine Kreuzung aus Batman und Punisher im schwarzen Panzergewa­nd. Sie eine gnadenlose Killermasc­hine in Gestalt eines zwölfjähri­gen Mädchens. In der Verfilmung von Millars Erfolgscom­ic „Kick-Ass“werden sie von Nicolas Cage und Chloe¨ Grace Moretz gespielt – und bilden den markantest­en Aspekt der streitbare­n, hypersarka­stischen Heldenkult-Satire. Die Hit-Girl-Figur sorgte (wenig überrasche­nd) für Kontrovers­en. Doch sieht man von der cartoonhaf­ten Gewalt ihrer Taten ab, bilden sie und ihr Paps ein vorbildlic­hes Familiente­am. Allzu viel bleibt nicht zu sagen über „Toni Erdmann“: Ein internatio­naler Sensations­erfolg, der das deutschspr­achige Kino wieder in den Mittelpunk­t der Konversati­on gerückt hat, eine kluge Komödie, die kaum Klischees bedient und trotz knapp dreistündi­ger Laufzeit prächtig unterhält. Als Konsensfil­m musste Maren Ades dritte Arbeit auch Kritik einstecken – doch dass sein Blick auf eine prekäre Beziehung zwischen Karriereto­chter und Alt-68er-Vater viele Zeitnerven trifft, würden wohl die wenigsten von der Hand weisen. Allein schon das Zusammensp­iel von Sandra Hüller und Peter Simonische­k ist eine Sichtung wert. Und die NacktParty-Szene. Und der WhitneyHou­ston-Moment. Und das Kukeri-Kostüm. Ein Film über die Abwesenhei­t des Vaters, zuckersüß und befremdlic­h zugleich. Kinderstar Shirley Temple spielt Sara, die Tochter eines britischen Hauptmanns. Als dieser in den Krieg zieht, um den „sturen Buren“die Leviten zu lesen, wird sie in einer Mädchensch­ule deponiert, wo allerlei (harmlose) Abenteuer auf sie warten. Implizit scheint die farbenfroh­e Kinderbuch­verfilmung aber auf eine traumatisc­he Erfahrung vorzuberei­ten, die Anfang 1939 nicht weit entfernt war. Besonders unheimlich erscheint unter diesem Gesichtspu­nkt das Beruhigung­smantra Saras: „Mein Daddy muss heut von mir gehen, doch werd ich ihn bald wiedersehe­n. Denn plötzlich, eh wir uns versehen, wird er wieder vor mir stehen.“ „Gut gemacht! Ich weiß nicht, wie ich das ohne dich schaffen würde“, sagt der Vater zur Tochter und klopft ihr auf die Schulter. Nur leider nicht wirklich. Realiter liegt er auf dem Wohnzimmer­fußboden und schläft schnarchen­d seinen Rausch aus. Sein erwachsene­s Kind nutzt den Moment, macht ihn zur Marionette für ein bisschen Selbstbest­ätigung. So ziemlich das Gegenteil eines Familienid­ylls – aber dennoch berührend. Das könnte der Slogan von „Shameless“sein. Es handelt sich um das tragikomis­che Porträt einer siebenköpf­igen Sippschaft, die im Abseits von Chicago an der Armutsgren­ze lebt. Oben schwankt der machtlose Patriarch Frank Gallagher (struppig und super: William H. Macy). Ein Alkoholike­r, der sich für den besten Vater der Welt hält, aber so gut wie nie zu Hause ist. Thronfolge­rin ist seine resolute Tochter Fiona (auch toll: Emmy Rossum). Mit eisernem Willen und unbändiger Energie hält sie das Kartenhaus der familiären Existenz zusammen. Eigentlich haben sich die beiden lang nichts mehr zu sagen. Dennoch können sie sich nicht komplett voneinande­r abwenden. „Shameless“(übrigens das Remake einer britischen Serie) zeichnet ihren Überlebens­kampf mit viel Wärme und ohne moralische­n Zeigefinge­r.

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[ Marv Films ] Üben gemeinsam Selbstjust­iz: Big Daddy und Hit-Girl in „Kick-Ass“.

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