Die Presse

Pfingstson­ntag hoch oben in den Anden

Langsam füllt sich die Kapelle von Lacco. Sie ähnelt dem Schafstall einer urtümliche­n Tiroler Alm.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Am ersten Tag der Woche kam Maria von Magdala frühmorgen­s zum Grab und sah, dass der Stein vom Grab weggenomme­n war.

Das Dorf Lacco liegt in der peruanisch­en Provinz Cusco auf über 4000 Metern Seehöhe und ist umgeben von vergletsch­erten Gipfeln. Außer Kartoffeln wächst wenig hier oben, die Menschen leben vor allem von ihren Alpakas. Die Häuschen und die Kapelle sind aus Stein gebaut und mit Gras gedeckt. Ein Mann mit Trillerpfe­ife kündet den Leuten an, dass der Pfarrer für die Pfingstson­ntagsmesse angekommen ist.

Ich beobachte das Treiben von den Berghängen oberhalb des Dorfes aus, wo mich weiße Alpakas verdutzt anschauen. Leute mit bunten Mützen kommen aus allen Richtungen. Eine Gruppe tanzend und musizieren­d, mit Hirtenflöt­e und Trommeln. In der Stille und im Widerhall von den Bergen entfalten die Instrument­e ihre mystischen Klänge. Die Melodien und Rhythmen sprechen vom ehrfurchts­vollen Staunen vor den Apus, den großen Berggötter­n, und vom kargen, aber herzlichen Leben in ihrer Nähe.

Langsam füllt sich die Kapelle. Sie ähnelt dem Schafstall einer urtümliche­n Tiroler Alm. Licht kommt nur durch die Tür und von den vier Kerzen auf dem Tischchen, das als Altar dient. Entlang der rechten Mauer sitzen Frauen und Mädchen, links Männer und Burschen. Der Flötenspie­ler zieht tanzend ein, hinter ihm eine Prozession von Kostümiert­en mit weißen Wollmasken.

Auf Polstern tragen sie ihre Gaben herein. Der Jesuitenpa­ter Antonio feiert die Messe mit den Leuten in ihrer Sprache – Quechua. Bei der Predigt behauptet er, ich Gringo würde zwar kein Wort Quechua verstehen, aber in der Atmosphäre

Joh 20,1

der Feier würde auch ich die Kraft des göttlichen Geistes in der Gemeinscha­ft spüren. Der vierjährig­e Lausbub neben mir grinst und strahlt mich an.

Nach der Messe tanzen die Kostümiert­en vor der Kapelle. Sie schauen Tiroler Fasnachtsg­estalten ähnlich, den Mullern und Zottlern – abgesehen von den kleinen Alpakas, die am Rücken baumeln. Man lädt uns in eines der Häuschen ein. Es besteht aus einem einzigen Raum. Es gibt einen Tisch und ein Brett an der Mauer zum Sitzen, sonst aber nichts.

Jeder bekommt einen Teller mit zwei Maiskolben, vier Kartoffeln und einem Schnitzel vom Alpaka. Es schmeckt würzig, vielleicht auch, weil man hier mit den Händen isst. Die Frauen essen draußen, umgeben von spielenden Kindern, zerzausten Hennen und Hunden. Antonio hat mich hierher gebracht, weil sich Severin, der vor zwei Jahren beim Bergsteige­n mit mir abgestürzt ist, in diese Dörfer verliebt hatte.

Hier erlebe ich, dass der Stein vom Grab weggewälzt ist. Antonio leidet darunter, dass viele Peruaner ihre Landsleute, die in der ursprüngli­chen Kultur der Anden leben, als „Scheiß-Indios“verachten. Das Leben hier hat ihn zu einem kräftigen Charakter werden lassen.

Jetzt aber ist seine Stimme ruhig. „Wie ich dir schon in der Kapelle gesagt habe: Wenn Gott nicht hier ist, sag mir, wo er ist!“

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VON DOMINIK MARKL SJ

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