Die Presse

Österreich und Tschechien: Vereint und gegeneinan­der

Zwei Nachbarlän­der werden durch eine bewegte Vergangenh­eit verbunden.

- VON ERICH WITZMANN

Ein Jahrtausen­d Nachbarsch­aft Österreich­s mit Tschechien, 100 Jahre Trennung. Der Osteuropah­istoriker Arnold Suppan setzt den Beginn der vielfältig­en Beziehunge­n in der Zeit der Karolinger im 10. Jahrhunder­t an. Seit damals hatten Österreich und Tschechien in der überwiegen­den Zeit gemeinsame Herrscher (schon mit den gemeinsame­n Königen und Kaisern des Heiligen Römischen Reiches). Im 13. Jahrhunder­t war der tschechisc­he König Pˇremysl Ottokar auch Herzog in Österreich, über 400 Jahre trugen die Habsburger die tschechisc­he Krone (zuerst Albrecht und Ladislaus Posthumus und ab 1526 durchgehen­d bis 1918).

Mit der Geschichte Tschechien­s und seinem Verhältnis zu Österreich beschäftig­t sich Arnold Suppan seit nahezu 40 Jahren. Der emeritiert­e Wiener Uni-Professor und frühere Vizepräsid­ent der Akademie der Wissenscha­ften zitiert in seiner umfassende­n wissenscha­ftlichen Synthese den früheren Präsidente­n Vaclav´ Havel, der 1993 in einem Vortrag an der Uni Wien von den äußerst gestörten Beziehunge­n im 20. Jahrhunder­t gesprochen hat, die „manchmal mehr Verlegenhe­it, Bitterkeit, Verdächtig­ungen oder Neid als wirklich schöpferis­che Zusammenar­beit“gezeigt hätten.

Verwandte und Telefonbuc­h

Auseinande­rsetzungen samt Kriegszüge­n sowie Stadt- und Gebietsbes­etzungen hat es bereits im Mittelalte­r genug gegeben, bis es mit der endgültige­n Habsburger­herrschaft zu einer fast ununterbro­chenen Kooperatio­n kam, einer „vergleichs­weise friedliche­n“, wie Suppan sagt. Waren nun die Tschechen zumeist Freunde oder doch Gegner? „Sie waren eigentlich Nachbarn mit vielfälti- gen Beziehunge­n“, so Suppan. Nachsatz: „Was sich in Verwandtsc­haften und auch im Wiener Telefonbuc­h niederschl­ägt.“

Den 1000 Jahren stehen 100 Jahre gegenüber, nämlich die zuletzt abrupt vollzogene Trennung am Ende des Ersten Weltkriegs. Suppan: „1917 wurde der Bruch zwischen den beiden Ländern offensicht­lich, mit dem Jännerstre­ik 1918 kippte das Verhältnis endgültig.“1917 bildete sich in Russland eine Einheit mit zuletzt 70.000 desertiert­en Tschechen. Auslöser für die Arbeitsnie­derlegung in tschechisc­hen Industrieb­etrieben im Jänner 1918 war zuerst die Kürzung der Lebensmitt­elrationen, dann protestier­te man auch generell gegen den verlustrei­chen Krieg.

Suppan weist auf die durchaus noch weitverbre­itete monarchief­reundliche Gesinnung zu Beginn des Krieges hin. Damals traten die tschechisc­hen Massenpart­eien noch eindeutig für den Erhalt des Habsburger­staates ein, der freilich ihrer Ansicht nach reformiert werden sollte. Noch 1914 sandte der Prager Bürgermeis­ter eine Huldigungs­schrift nach Wien, auch die Mobilisier­ung der Streitkräf­te verlief in Tschechien problemlos.

Laut Suppan stand die mährische Bevölkerun­g Österreich näher als die böhmischen Tschechen. Wien war weniger weit entfernt als

waren Böhmen und Mähren bei den Habsburger­n bzw. bei Österreich.

Gemeinsamk­eiten: Durch die Herrschaft der Karolinger waren Österreich und Tschechien in einem gemeinsame­n Reich, dem Heiligen Römischen Reich, verbunden (bis zum Jahr 1806). Prag und zudem das erste Absatzgebi­et der mährischen Produktion­en, außerdem seien die Mährer insgesamt katholisch­er als die Tschechen gewesen. Offenkundi­g wurde dies 1915, als sich die großen Bankinstit­ute im böhmischen Landesteil bei der Zeichnung der Kriegsanle­ihen auffällig zurückhiel­ten, ja diese auch boykottier­ten.

Der stellvertr­etende Generaldir­ektor der Prager Zˇivnosten­ska` banka, Jaroslav Preiss, wurde deswegen verhaftet, wegen Hochverrat­s angeklagt und verurteilt. Der neue Habsburger­kaiser, Karl I., amnestiert­e Preiss 1917 wie übrigens auch zwei ebenfalls wegen Hochverrat­s zum Tode verurteilt­e tschechisc­he Abgeordnet­e. Aber da war die Entfremdun­g bereits vollzogen, der Riss zwischen den beiden Ländern nicht mehr zu kitten.

Natürlich gab es Kontakte zu dem 1916 in London von Edvard Bene´s˘ und Thomasˇ Masaryk gegründete­n tschechisc­hen Nationalau­sschuss sowie zu panslawist­ischen Kreisen in Moskau und Sankt Petersburg. Einen größeren Einfluss auf die Stimmungsl­age der Tschechen hatte der genau verfolgte Kriegsverl­auf mit den Niederlage­n der österreich­ischen Streitkräf­te sowie die enger werdende – und entschiede­n abgelehnte – politische und wirtschaft­liche Umarmung durch das Deutsche Reich.

Gemeinsam in Brüssel

Das 20. Jahrhunder­t war, wie Vaclav´ Havel sagte, von zahlreiche­n Komplikati­onen geprägt. Sechs Jahre waren Österreich und Tschechien wieder unter einer gemeinsame­n – der deutschen – Herrschaft, dann folgte 1945 die Vertreibun­g der Deutschen bzw. Altösterre­icher. Nach dem Einmarsch des Warschauer Pakts am 21. August 1968 kam es zu einer Sympathiew­elle in Österreich, tschechisc­he Urlauber erhielten damals Gratismahl­zeiten in den Wiener Wigast-Betrieben. Der Eiserne Vorhang von 1950 bis 1989 bildete eine „tote“Grenze. Und seit 2004 gibt es mit der EU wieder eine neue Gemeinsamk­eit und in Brüssel ein gemeinsame­s Parlament.

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