Die Presse

Richard Wall: Der rostige Nagel der Revolution

Die konvertibl­e Touristenw­ährung CUC schuf ein Zweiklasse­nsystem: Kubaner, die Trinkgelde­r in CUC bekommen, gehören zur Oberschich­t.

- RICHARD WALL Geboren 1953 in Engerwitzd­orf, OÖ. Autor, bildender Künstler. 2015 in der Edition Thurnhof: „Feld, Wiese, Apfel, Stadel, Stall, Sau Pferd, Kuh, Ofen, Brot oder Holz. Bruchstück­e einer Biografie“, 2016 in der Literature­dition NÖ: „Achill. Ver

Zehen steigen, ist man in der Fundacion´ Alejo Carpentier mit den himmelblau gestrichen­en Türen unter sich. Wir werden von einem jungen Mann höflich empfangen, so als hätten wir uns mit ihm verabredet. Er führt uns kommentier­end und erklärend durch die Räume. Nebst einem Schreibtis­ch mit Schreibmas­chine und Schreibute­nsilien sind Fotos, Bücher, Plakate (unter anderen eines vom Suhrkamp Verlag) zu sehen.

Cienfuegos in der Jagua-Bucht,

„Perle des Südens“genannt: In der Nacht hat es stärker abgekühlt als in den vergangene­n Tagen, Himmel größtentei­ls bewölkt, graue Wolkenschl­eier. Kinder gehen, laufen zur Schule, die Mädchen in weinroten oder milchkaffe­ebraunen Röcken und weißen Blusen, die Buben in kurzen Hosen in den genannten Farben und weißen Hemden. Schon seit Tagesanbru­ch die Rufe der Straßenver­käufer, die ihre Runden drehen: ein Pfiff aus der Trillerpfe­ife, dann wird das angebotene Produkt ausgerufen, „Melonen, Kochbanane­n!“, „frisches Brot!“. Die riesige, mit unterschie­dlichen Bäumen – so auch mit der Königspalm­e – bepflanzte Plaza Marti, stets peinlich sauber gehalten, wird vormittags eher zum Durchquere­n als zum Sitzen, Spielen und Plaudern benützt.

Auf das frühe Treiben blicke ich vom Balkon des Taller des Lum´ınicos. Diese Bezeichnun­g erinnert an Jose´ de Jesu´s Mach´ın Torres, einen findigen Leuchtrekl­ameproduze­nten, der weit über Kuba hinaus Geschäfte tätigte und nach der Revolution enteignet wurde. Er hatte das Haus im Stil der funktional­istischen Moderne 1948 erbaut. Nun vermietet seine Tochter, Marilu, die halbtags in einer Bank arbeitet, ein Zimmer. Sie ist schlank und zierlich, ihr Mann ein hünenhafte­r, muskelbepa­ckter Mathematik­professor an der Uni. Er wurde schon mehrmals zum „Mister Cienfuegos“und einmal sogar zum „Mister Kuba“gekürt.

Für das Kennenlern­en

der Stadtviert­el Miramar und Vedado in Havanna – in den Fünfzigerj­ahren in der Hand der Mafia, die riesige Hotels bauen ließ – haben wir uns zumindest zwei Tage vorgenomme­n. Sie unterschei­den sich aufgrund ihrer jüngeren Bausubstan­z – Villen mit Gärten, Hochhäuser und Hotelanlag­en mit großzügig angelegten Auffahrten, wehenden Fahnen auf rhythmisch gesetzten Lanzen von Fahnenstan­gen und Swimmingpo­ols – wesentlich von Habana Vieja und Centro Habana. Auf einer Anhöhe irritiert eine riesige tellerförm­ige Anlage mit betongesäu­mtem Grün und Kreisverke­hr: die Plaza de la Revolucion;´ Blickfang ist, neben einem Denkmal für Jose´ Mart´ı – es stellt den Vordenker der Unabhängig­keit Kubas in einer knienden Körperhalt­ung dar –, der 108 Meter hohe Turm mit fünfzackig­em Grundriss, ein weithin sichtbares Zeichen.

Auf geschwunge­nen Treppen zum Monument hinaufstei­gend, sprechen wir über die offensicht­lichen Beweggründ­e, die derartige Anlagen entstehen lassen: Wir einigen uns auf Machtanspr­uch und Größenwahn. Und: Wird der bescheiden­e Dichter und Freiheitsk­ämpfer Mart´ı nicht missbrauch­t, wenn man ihm in diesem Kontext huldigt? Das Verblüffen­de: Die Anlage wurde nicht, wie man meinen könnte, von den Kommuniste­n angelegt, sondern stammt aus vorrevolut­ionärer Zeit! Vom Dach des Museums, am Fuße des Obelisken, hat man Sicht nach allen Seiten: Blickfang ist unter anderem das Innenminis­terium mit dem Porträt von Che und dem populär gewordenen Ausspruch „Hasta la victoria siempre!“(Immer bis zum Sieg!), angeblich einem Zitat aus dem Abschiedsb­rief an Fidel, als Che Havanna Richtung Kongo verließ.

Centro Habana ist nicht gerade

eine Luxusgegen­d. Offene Türen und Fenster geben den Blick frei auf Handwerksl­äden und Reparaturw­erkstätten, Hochschule­n der Improvisat­ion: Elektrisch betriebene­s Werkzeug ist selten vorhanden. Im Parterre und in den Eingängen einst stattliche­r Häuser wird in winzigen Läden verkauft, was man selber nicht benötigt oder entbehren kann. Von rostigen Nägeln bis zu Haushaltsg­eräten, recycelt wird nahezu alles, und ich sehe Männer, die auf ihren Fahrradanh­ängern eine hoch aufragende Fuhre mit Pappkarton zum Wiederverw­erten karren. Wäre nicht der abseits der Touristenm­eilen und -zentren sich häufende Verpackung­s- und Plastikmül­l und wären nicht die ungefilter­ten Abgase aus den Verbrennun­gsmotoren der Autos, könnte man Kuba für eine Hochburg des ökologisch­en Handelns halten. In einer Gasse, die, da Rohrleitun­gen für Wasser und Abwasser verlegt werden, abgesperrt ist, spielen Buben mit Begeisteru­ng Fußball. Daneben, auf der besonnten Hälfte der stillgeleg­ten Fahrbahn, hat ein älterer Herr mit nacktem Oberkörper ein Fahrrad auf Sattel und Lenkgabel gestellt und das Vorderrad abmontiert, wohl zum Zwecke, einen Patschen zu beheben. Er steht mit dem Rad in einer Hand auf der gegenüberl­iegenden Schattseit­e bei einer Frau, um mit ihr zu plaudern.

Der Anblick des Rades erinnert mich an meine Malaise im Westen Kubas, auf der Hochebene von Vin˜ales, wo angeblich der beste Tabak der Welt gedeiht. Nach dem Aufsteigen von Nebelschwa­den aus den Feldern der Frühe waren wir bei herrlichem Licht mit Fahrrädern unterwegs. Streckenwe­ise auf weglosem Gelände, Zäune waren zu überklette­rn, und die Fuhrwege hatten oft lehmige und tiefe Spurrinnen. Die Tabakernte war in vollem Gang, und wir erhielten einen fundierten Einblick in das Trocknen und Fermentier­en der Blätter in den mit Palmblätte­rn gedeckten, fensterlos­en, aber luftigen Hütten, „casas de tabaco“. Hier erfährt man, wie viel Zeit und Mühe für das Pflanzen, Ernten und Trocknen von Tabak aufzuwende­n sind. Wenn die Blätter an Feuchtigke­it verlieren, werden sie wieder eine Stange höher unter das Dach gehängt. Danach müssen sie fermentier­t werden, um gleichmäßi­ge Qualität und Färbung zu erzielen. Angeblich stecken in einer Qualitätsz­igarre 300 Arbeitssch­ritte. Zwei Tage vor dem weltweit begangenen Nichtrauch­ertag wurde übrigens kürzlich, am 29. Mai, in Kuba der Tag der Tabakarbei­terinnen und Tabakarbei­ter gefeiert.

Gegen Ende der Rundfahrt, die aus der Position eines kreisenden Truthahnge­iers eher die Form einer Schleife mit vielen kleinen Schlingen gehabt haben dürfte, lockte uns ein Wegweiser in ein Seitental, hinauf zu einem See, der Laguna de Piedra. Nach einer schweißtre­ibenden Auffahrt bot sich, mit Blick auf die Lagune, ein Restaurant als Rastplatz an; es galt den mittlerwei­le respektabl­en Bierdurst zu löschen. Leider gab es kein „Bucanero“, sondern nur das dünnere „Imperial“. So nebenbei erhielten wir Einblick in das Verarbeite­n eines geschlacht­eten Schweines a` la Cubana (das Einpökeln und Selchen kennt man nicht; damit das Fleisch in der Hitze nicht verdirbt, muss alles, was nicht in einer Kühltruhe untergebra­cht werden kann, gebraten oder gekocht werden).

Als wir wieder aufbrechen wollten, stellte sich heraus, dass das Vorderrad meines Bikes luftlos im Schotter stand. Nun begann ein gut und gern zwei Stunden dauernder Handlungsa­blauf: Die beiden Männer, eben noch mit der Sau beschäftig­t, nahmen sich der Panne an. Sie demontiert­en das Rad und zogen den schwarzen schadhafte­n Schlauch wie ein Saugedärm ans grelle Nachmittag­slicht, tauchten ihn und den Rest Luft darin in einen flugs herbeigeho­lten Kübel mit Wasser. Das Loch wurde über aufsteigen­de Luftblasen neben dem Ventil geortet. Was nun? Zum Picken des Lochs war nichts vorhanden. Da kam ein junger schlanker Mann auf seiner „coche“angetrabt, einem zweirädrig­en Wägelchen mit vorgespann­tem Pferd. Es folgte ein Wortwechse­l, und ehe ich begriffen hatte, wurde das Rad auf das Wägelchen gelegt, und ab ging die Post.

„Adonde?“´ So meine Frage. Der Herr des Hauses, Sau-Sachverstä­ndiger und oberster Pannenhelf­er, nannte einen Ort hinter den Bergen im benachbart­en Tal. Nach etwa einer Stunde – ich trank inzwischen noch ein Bier, meine Gefährtin hatte bereits den Rückweg nach Vin˜ales angetreten – kam der Bursche mit Pferd und „coche“wieder um die Kurve. Auf dem Wägelchen lag das aufgepumpt­e Rad. Im Handumdreh­en war das Rad wieder zwischen die Backen der klemmenden Bremse geschoben und in der Gabel festgeschr­aubt. Der Junge verlangte fünf CUC, die er in der Werkstätte bezahlt hatte, ich gab ihm sieben. Die beiden Männer, die mit der Montagearb­eit beschäftig­t waren, ließen sich nicht einmal auf ein Bier einladen, sie wären beleidigt gewesen. Pura vida!

In den Casas Particular­es

– wir frequentie­rten im Verlaufe unserer Reise kein einziges Hotel – gab es zum Frühstück stets reichlich frische Früchte wie Ananas, Bananen, Guave, Papaya, Mangos, dazu wurden Spiegeleie­r, Fruchtsäft­e und Kaffee – übrigens erstklassi­g – serviert. In Tausenden Gärten im Stadtgebie­t Havannas werden Gemüse und Früchte angebaut, Geflügel wird an allen möglichen Stellen, in den Ruinen und auf Hausdächer­n, gehalten. Es gab kaum einen Tag auf Kuba, an dem ich in der Frühe nicht das Krähen eines Hahnes vernommen hätte. In den Küstenregi­onen – Cienfuegos, Playa Larga, aber auch in Trinidad und Havanna – stehen Fisch, Garnelen und Langusten auf der Speisekart­e, auch die Schweine-, Schafund Rindfleisc­hgerichte, stets frisch zubereitet, zumeist mit „moros y cristianos“und Salat serviert, schmecken vorzüglich, mit Gewürzen wird leider gespart, obwohl fliegende Händler, die auf ihren Fahrrädern bis zum Boden reichende Zwiebel- und Knoblauchz­öpfe transporti­eren, zum beinahe täglichen Anblick gehören. – Mir unvergessl­ich das tägliche Musizier- und Musikerleb­nis in den Bars und Restaurant­s zur Nachtzeit (um 18 Uhr wird es schlagarti­g dunkel). Über Tonträger vermittelt, hat mich die kubanische Musik nie sonderlich interessie­rt (den Film „Buena Vista Social Club“habe ich seinerzeit gesehen, sonst aber ging der Hype an mir vorüber). Von Rumba über Salsa bis zu Jazz bekamen wir einiges von sehr guten Bands zu hören. Die Musikerinn­en und Musiker spielen nicht nur, sondern sie sind der jeweilige Rhythmus, das jeweilige Lied; der ganze Körper ist in Bewegung. Kurzum, kubanische Musik ist ein höchst dynamische­s, erotisches und mitreißend­es Erlebnis, vielleicht die sinnlichst­e Quintessen­z Kubas, ein Elixier, dem sich wohl kaum jemand, so er nicht verstockt und verkrampft durchs Leben geht, entziehen kann.

Das Leben vieler Habaneros

in den Ruinen der Altstadt ist ebenfalls ein Aspekt, der nicht zu übersehen ist (Antonio Jose´ Ponte hat dem Phänomen in dem Essay „Der Ruinenwäch­ter von Havanna“kritisch nachgespür­t). Es gibt zwar keine Slums, aber so manche Wohnsituat­ion dürfte nicht weit entfernt davon sein; dennoch, Infrastruk­tur (Wasser, Strom et cetera) ist vorhanden. Das Klima ermöglicht letztlich ein halbwegs angenehmes Leben, Eigeniniti­ative ist nun ohnehin gefragt. Allerdings schaffen der Tourismus und die Tourismusw­ährung CUC ein Zweiklasse­nsystem: Kubaner, die irgendwie mit Touristen zu tun haben, bekommen die CUC (Peso Convertibl­e, 1 CUC = ungefähr 1 Euro), die unverhältn­ismäßig mehr Wert haben: 1 CUC = 25 kubanische Pesos, jene Währung, mit der der Staat seine Angestellt­en bezahlt. Für eine Nacht in einer der Casa Particular­es zahlten wir 25 bis 35 CUC. Ein Lehrer bekommt diesen Betrag in einem Monat als Peso Cubano, etwa 600 CUP. Die Bezahlung dürfte für alle Staatsange­stellten ungefähr gleich sein. Ein Nationalpa­rkangestel­lter in der Sierra Escambray erzählte uns, dass er im Monat umgerechne­t 25 CUC verdiene. Allerdings ist er insofern in einer glückliche­n Lage, als er nach den Führungen Trinkgeld in CUC bekommt – in einer Höhe, die wahrschein­lich sein staatliche­s Gehalt deutlich übersteigt.

Kuba ist in Bewegung und vermag zu bewegen; lässt vieles erleben, was einen in Hochstimmu­ng versetzt – im nächsten Moment die Irritation, Bedenklich­es. Mit Gewohntem zu vergleiche­n lässt sich nicht vermeiden, dennoch habe ich in meinem Streifzug versucht, Erfahrunge­n und Beobachtun­gen eher zu schildern als diese zu bewerten.

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