Die Presse

Entgiften, 50 Jahre lang

„Expedition Europa“in Dalmatien: wenn Metkovi´c wählt.

- Von Martin Leidenfros­t

Eine kleine Schlacht im Rahmen eines großen Kulturkamp­fes hat mich am Sonntag ins südliche Dalmatien geführt, ins Delta der Neretva. Umgeben von leeren, grauen Karstberge­n, speist die trockengel­egte Neretva ein grünsprieß­endes, froschquak­endes Flachland, in dem buchstäbli­ch alles wächst: Gemüse, Erdbeeren, Marillen, Reis. Hier geifert die Opposition, wenn der Preis für eine Mandarine unter eine Kuna fällt.

Ich kam zur Gemeindera­tswahl nach Metkovic.´ In der Kleinstadt war die liberale Reformpart­ei MOST entstanden, die Korruption, Postenscha­cher und Klientelis­mus auf eine Weise ablehnt, dass sie auf nationaler Ebene schon zwei Mal die Koalition mit der nationalko­nservative­n Staatspart­ei HDZ sprengte. In Metkovic´ regierte MOST vier Jahre allein. Im lokalen Wahlkampf warb MOST damit, dass ein verwahrlos­ter Spielplatz erneuert wurde, dass die Stadt entschulde­t wurde und dass auf der „Flussprome­nade der 116. Brigade der Kroatische­n Armee“wild parkende Autos einem Radweg wichen. Am Sonntag wollte die geballte Maschineri­e der HDZ Metkovic´ erobern. Eine MOST-Wählerin fürchtete, dies könnte wegen Wahltouris­mus eingefleis­chter HDZ-Nationalis­ten aus der angrenzend­en Herzegowin­a gelingen: „Das sind arme Menschen. Die haben nichts.“Ein HDZ-affiner Teenager nannte MOST „gescheiter­t“.

Ich wartete bei den TV-Übertragun­gswagen. Nach Schließung der Wahllokale kam die MOST-Bürgermeis­terin: Katarina Ujdur, 33, figurbeton­ter schwarzer Hosenanzug, roter Lippenstif­t. Sie sagte drei Sendern dasselbe: „Ich habe ein Auto mit BIH-Kennzeiche­n vor einem Wahllokal gesehen.“

Plötzlich ein Schrei

Ich wechselte zum Wahlstab der HDZ. Einige dicke Limousinen, ein Audi A8 mit bosnischem Kennzeiche­n. Im mitgenutzt­en Cafe´ „Stretto“saß eine Runde dünner Mittdreißi­gerinnen, blondiert, leuchtende Flipflops. Plötzlich ein Schrei, alles rannte raus, ein bengalisch­es Feuer, „Tor! Sieg“, und meine 185 Zentimeter waren von noch viel größeren Männern umringt. Eine Träne. Eine Fahne. Ein Lied. Ein Kuss, die Frau des neuen Bürgermeis­ters kannte ich aus der blondierte­n Runde. Nach einem Telefonat rief ein Alter in die Runde: „Gruß aus der Herzegowin­a, ho ho ho!“

Ich wechselte zum leisen Wahlstab von MOST am Busbahnhof. Mehr Leute im Studentena­lter, doch Clash der Parteikult­uren war da keiner. Der junge Parteichef Bozoˇ Petrov sagte gerade im Fernsehen: MOST habe sein Metkovic´ zwar knapp verloren, sei aber regional zur zweitgrößt­en Partei aufgestieg­en. Zurück zur HDZ, Bier und Hendl und darüber eine fliegende Drohne. Sie sangen noch einmal das alte Liebeslied, das sich, da MOST „Brücke“bedeutet, so trefflich zur Verhöhnung eignet: „Leise, leise fließt die Neretva / Brücken gibt es keine mehr.“

Am Montagvorm­ittag gewährte mir die abgewählte Bürgermeis­terin noch ein Interview. Meinen Verdacht, MOST wäre ein Radfahrerw­ahlverein, zerstreute sie: Sie sei keine Radfahreri­n. Ujdur hatte in Zagreb studiert und im Obst-GemüseBetr­ieb der Eltern gearbeitet. Kinderlos, wohnte sie noch bei den Eltern. Ich fragte sie, ob MOST nicht an ein Limit stoße, da ihre Anhänger im Unterschie­d zur HDZ nicht durch eine starke verschwore­ne Kultur miteinande­r verbunden sind: „Bei der HDZ haben sie den ganzen Abend gesungen, bei MOST gar nicht.“Ujdur antwortete, Singen sei nicht der Punkt, Nichtwähle­r seien ihr Potenzial. Von „Limit“sprach sie nicht, sagte dann aber doch: „MOST kann im kroatische­n Parlament mit zehn bis 15 Prozent der Sitze rechnen.“Sie wollte im Gemeindera­t von Metkovic´ bleiben: „Wir brauchen noch 50 Jahre, um das Land zu entgiften.“

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