Entgiften, 50 Jahre lang
„Expedition Europa“in Dalmatien: wenn Metkovi´c wählt.
Eine kleine Schlacht im Rahmen eines großen Kulturkampfes hat mich am Sonntag ins südliche Dalmatien geführt, ins Delta der Neretva. Umgeben von leeren, grauen Karstbergen, speist die trockengelegte Neretva ein grünsprießendes, froschquakendes Flachland, in dem buchstäblich alles wächst: Gemüse, Erdbeeren, Marillen, Reis. Hier geifert die Opposition, wenn der Preis für eine Mandarine unter eine Kuna fällt.
Ich kam zur Gemeinderatswahl nach Metkovic.´ In der Kleinstadt war die liberale Reformpartei MOST entstanden, die Korruption, Postenschacher und Klientelismus auf eine Weise ablehnt, dass sie auf nationaler Ebene schon zwei Mal die Koalition mit der nationalkonservativen Staatspartei HDZ sprengte. In Metkovic´ regierte MOST vier Jahre allein. Im lokalen Wahlkampf warb MOST damit, dass ein verwahrloster Spielplatz erneuert wurde, dass die Stadt entschuldet wurde und dass auf der „Flusspromenade der 116. Brigade der Kroatischen Armee“wild parkende Autos einem Radweg wichen. Am Sonntag wollte die geballte Maschinerie der HDZ Metkovic´ erobern. Eine MOST-Wählerin fürchtete, dies könnte wegen Wahltourismus eingefleischter HDZ-Nationalisten aus der angrenzenden Herzegowina gelingen: „Das sind arme Menschen. Die haben nichts.“Ein HDZ-affiner Teenager nannte MOST „gescheitert“.
Ich wartete bei den TV-Übertragungswagen. Nach Schließung der Wahllokale kam die MOST-Bürgermeisterin: Katarina Ujdur, 33, figurbetonter schwarzer Hosenanzug, roter Lippenstift. Sie sagte drei Sendern dasselbe: „Ich habe ein Auto mit BIH-Kennzeichen vor einem Wahllokal gesehen.“
Plötzlich ein Schrei
Ich wechselte zum Wahlstab der HDZ. Einige dicke Limousinen, ein Audi A8 mit bosnischem Kennzeichen. Im mitgenutzten Cafe´ „Stretto“saß eine Runde dünner Mittdreißigerinnen, blondiert, leuchtende Flipflops. Plötzlich ein Schrei, alles rannte raus, ein bengalisches Feuer, „Tor! Sieg“, und meine 185 Zentimeter waren von noch viel größeren Männern umringt. Eine Träne. Eine Fahne. Ein Lied. Ein Kuss, die Frau des neuen Bürgermeisters kannte ich aus der blondierten Runde. Nach einem Telefonat rief ein Alter in die Runde: „Gruß aus der Herzegowina, ho ho ho!“
Ich wechselte zum leisen Wahlstab von MOST am Busbahnhof. Mehr Leute im Studentenalter, doch Clash der Parteikulturen war da keiner. Der junge Parteichef Bozoˇ Petrov sagte gerade im Fernsehen: MOST habe sein Metkovic´ zwar knapp verloren, sei aber regional zur zweitgrößten Partei aufgestiegen. Zurück zur HDZ, Bier und Hendl und darüber eine fliegende Drohne. Sie sangen noch einmal das alte Liebeslied, das sich, da MOST „Brücke“bedeutet, so trefflich zur Verhöhnung eignet: „Leise, leise fließt die Neretva / Brücken gibt es keine mehr.“
Am Montagvormittag gewährte mir die abgewählte Bürgermeisterin noch ein Interview. Meinen Verdacht, MOST wäre ein Radfahrerwahlverein, zerstreute sie: Sie sei keine Radfahrerin. Ujdur hatte in Zagreb studiert und im Obst-GemüseBetrieb der Eltern gearbeitet. Kinderlos, wohnte sie noch bei den Eltern. Ich fragte sie, ob MOST nicht an ein Limit stoße, da ihre Anhänger im Unterschied zur HDZ nicht durch eine starke verschworene Kultur miteinander verbunden sind: „Bei der HDZ haben sie den ganzen Abend gesungen, bei MOST gar nicht.“Ujdur antwortete, Singen sei nicht der Punkt, Nichtwähler seien ihr Potenzial. Von „Limit“sprach sie nicht, sagte dann aber doch: „MOST kann im kroatischen Parlament mit zehn bis 15 Prozent der Sitze rechnen.“Sie wollte im Gemeinderat von Metkovic´ bleiben: „Wir brauchen noch 50 Jahre, um das Land zu entgiften.“