Die Frauen und die Freiheit
Casanova kann man sich immer wieder zuwenden, so schillernd und zugleich geistvoll ist seine Gestalt. Der Venezianer bleibt freilich auch eine undurchschaubare Figur, die das Rätsel- und Proteushafte seines Charakters durchaus zelebrierte: eine Sphinx mit priapischem Hochmut.
Seine im Alter in der Einsamkeit des böhmischen Schlosses Dux auf Französisch niedergeschriebenen Lebenserinnerungen zeigen ihn als Homme de Lettre von berückendem Charme und großer literarischer Belesenheit. Seine Absicht war, sich mit seiner so erfindungs- und erfahrungsreichen Existenz als singuläre Person seiner Epoche in Positur zu setzen. Das war angesichts des ebenso glänzenden wie anrüchigen Zaubers des Ancien Regime,´ das er durchlebt hatte, ein reichlich unbescheidenes Unterfangen. Aber es entsprach vollends dem unerschütterlichen Selbstwertgefühl des erfolgreichen Verführers.
Dem schriftstellerischen Ingenium Casanovas ist mit der „Geschichte meines Lebens“ein Geniestreich gelungen, der längst zur Weltliteratur zählt. Denn was angesichts der ungezählten Liebesabenteuer des Protagonisten, seiner waghalsigen Kapriolen und hochstaplerischen Unternehmungen als selbstbezogener Schelmenroman hätte erzählt werden können, präsentiert der stilund stilisierungssichere Literat als hochsensible Entwicklungsgeschichte eines Tausendsassas der Existenzbewältigung und Allesbeherrschers in umtriebiger Zeit.
Was kann ein Biograf da noch ausrichten? Ziemlich viel. Er kann das Bild erweitern und korrigieren, kann die Selbstinszenierung, die Casanova in hohem Maß beherrschte, durchbrechen und eine umfassendere Darstellung dieses waghalsigen Lebenskünstlers versuchen. Solch ein Bild von außen vermag mindestens so spannungsreich zu werden wie Casanovas Selbstporträt. Diese Aufgabe ist Uwe Schultz, dem geeichten Biografen und ehemaligen Kulturredakteur des Hessischen Rundfunks, in hohem Maß gelungen. Seine Casanova-Darstellung zeigt einen Frauenverehrer und -verführer, dessen Leidenschaft sich im Gegensatz zu Don Juan nicht machtbesessen und zerstörerisch, sondern liebes- und lusterfüllend auslebt.
Was Casanovas rastlose, nie zufriedenzustellende Abenteurernatur kennzeichnet, ist eine unbändige Lebensfreude. Dieser lebenslange Libertin genießt das Glück des Daseins in vollen Zügen, und seine nie erlöschende erotische Neugierde wird nur von seinem Drang nach Freiheit übertroffen. „Ich habe die Frauen bis zum Wahnsinn geliebt, aber ich habe ihnen stets meine Freiheit vorgezogen“, bekannte er.
Kühn schreibt Casanova in seinen Memoiren die existenzphilosophische Grundregel nieder, an die er sich stets zu halten suchte: „Der Mensch ist frei; doch er ist es nicht, wenn er nicht auch daran glaubt.“Als 30-Jähriger wegen unklarer Beschuldigungen („Atheismus“) in den Bleikammern seiner Heimatstadt Venedig gefangen gehalten, sann er so lang auf Flucht, bis sie ihm auf halsbrecherische Weise über die Dächer der Serenissima gelang. Fast 200 Jahre lang war keinem Häftling je die Flucht aus dem venezianischen Staatsgefängnis gelungen. Prompt eröffnete der eine halbe Ewigkeit lang aus Venedig Verbannte mit seiner ruhmvollen Fluchtgeschichte, die längst durch die historische Forschung in ihrem Wahrheitsgehalt bestätigt wurde, auch seine umtriebigen Lebenserinnerungen.
Einem windungsreichen Leben kann der Biograf hier auf der Spur bleiben. Schultz zeigt den ruhelos durch ganz Europa Reisenden, den Diplomaten und Kunstkenner, Freimaurer und Geheimagenten, Spieler und Hochstapler, Alchimisten und Finanzjongleur in seinen vielen Gesichtern, die nicht selten gut stilisierte Masken waren. Als Historiker weilt Schultz zuweilen allzu ausgiebig bei den Herrschern, denen Casanova seine Aufwartung machte.
Den Höhepunkt an geistigen Herausforderungen für den Literaturkenner Casanova brachte sein Besuch bei Voltaire in dessen Genfer Anwesen Les Delices.´ Im Disput über den Aberglauben ergriff der Venezianer leidenschaftlich die Partei des einfachen Volkes, gleichsam wider den kalten Rationalismus des Aufklärers. „Sie sind besessen von der Liebe zur Menschheit“, schleuderte er dem großen Philosophen entgegen. „Diese Liebe macht Sie blind. Wenn Sie die Menschheit lieben, müssen Sie sie lieben, wie sie ist.“Indes, mit seinem Plädoyer für den Aberglauben verteidigte er nicht zuletzt auch seine eigenen zwielichtigen Geschäfte als Magier und Wunderheiler.
Um seine Herkunft wob Giacomo Casanova Legenden. Am 2. April 1725 offiziell als Sohn des Schauspielers Gaetano Casanova in der Lagunenstadt geboren, hielt er sich eher – und wohl zu Recht – für den verleugneten Sohn des hochnoblen Michele Grimani, Abkömmling einer Familie, die seit 1297 zum Adel Venedigs gehörte und im Verlauf ihrer Geschichte drei Dogen sowie 21 Prokuratoren von San Marco gestellt hat.
In Casanovas Biografie folgt man dem schier unaufhaltsamen Reigen von Namen und Geschichten, von Novellen und Episoden, von mehr oder weniger galanten Zeugnissen der Liebe, Leidenschaft, Lustbarkeit. Den stets erregbaren Venezianer riss das Zusammenspiel von Verführung und Hingabe, Begierde und Erfüllung zu immer neuen erotischen Eskapaden hin. Als Liebessüchtiger lebte er ganz in der Gegenwart, nicht Vergangenheit noch Zukunft bekümmerten ihn. Die hohe Temperatur seiner stets bereiten Sinnlichkeit bescherte ihm genügend Gelegenheiten, seine Standfestigkeit in jeder Lage unter Beweis zu stellen. Stets aufs Neue musste er sich eingestehen: „Nun steckte ich gleich dem Salamander im Feuer, nach dem mich verlangt hatte.“
Der Venezianer liebte die Frauen, und sie liebten ihn. „Wir überließen uns einander“, schrieb er als alter Mann sehnsüchtig im Rückblick. Doch in Böhmen ereilt ihn am Lebensende das Unglück des Verlassenseins. Gequält von missgünstigem Personal, findet er nur mehr am Schreibtisch, in der Lebensrückschau, zu sich selbst. Am 4. Juli 1798 ist Casanova auf Schloss Dux gestorben. Charles de Ligne, ein Freund seines Gönners Graf Waldstein, hat seine letzten Worte überliefert: „Ich habe als Philosoph gelebt und sterbe als Christ.“
Uwe Schultz Giacomo Casanova oder Die Kunst der Verführung Eine Biografie. 320 S., brosch., € 17,50 (C. H. Beck Verlag, München)
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