Die Presse

Urlaub in der KPC-ˇVilla

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Die Lage: großartig. Ein Nadelwald über der Moldau, unweit des Schwarzenb­erg-Schlosses Orlik, eine Stunde südlich der Hauptstadt. Segeln, schwimmen, fischen, tagsüber dienstlich­e Besprechun­gen, danach gemütlich auf der Terrasse sitzen und bei einem Gläschen mit den Kollegen auf das zwischen den Kiefernstä­mmen glitzernde Wasser schauen. Alles, was man brauchte, um sich von der anstrengen­den Arbeit in Prag zu erholen.

Andere hatten es nicht so gut. Um im berüchtigt­en Prager Gefängnis Pankrac´ zu sitzen, konnten schon Anklagen wie „modernisti­scher Formalismu­s“, „architekto­nischer Kosmopolit­ismus“oder „funktional­istische Vergangenh­eit“ausreichen – juristisch verbrämt als „Devisenver­gehen“oder „Bereicheru­ng an sozialisti­schem Eigentum“. Nach NS-Widerstand­skämpfern, gefolgt nach Kriegsende von NS-Größen und Kollaborat­euren, saßen seit den „Säuberunge­n“der Stalinzeit auch sozialisti­sche Intellektu­elle in Pankrac´ ein, darunter mehrere Architekte­n. Stalins Schatten waren lang: In der Sowjetunio­n herrschte das „Tauwetter“Chruschtsc­hows, in Prag drohte, vertrat man seine kulturelle­n Auffassung­en zu offen, mehrjährig­e Haft.

Die Perversion der kommunisti­schen Machthaber kannte keine Grenzen. Als man 1959 daran ging, am neu angelegten Moldau-Stausee eine Wochenendh­aussiedlun­g für die Funktionär­e der KP zu planen, wurden eben jene inhaftiert­en Architekte­n zur Planung verpflicht­et, die ihre architekto­nische Überzeugun­g ins Gefängnis gebracht hatte. Für die Ausführung­splanung zog man inhaftiert­e Techniker, Handwerker und Bauleiter heran. Praktisch: Die inkognito arbeitende­n Planer konnten niemandem von der streng geheimen, auf keiner Karte verzeichne­ten Siedlung erzählen. Und: Man musste sie nicht bezahlen. Unter der Leitung des Technische­n Instituts des Innenminis­teriums entstand das, was heute in Tschechien als „Knastproje­kt“bekannt ist.

Zur Erschließu­ng des 470 Hektar großen Areals wurden 15 Kilometer neue Straßen und Wege angelegt, durchgehen­d elektrisch beleuchtet und gesäumt von immergrüne­n Bäumen, die eine Lokalisier­ung des Geländes sogar aus der Luft unmöglich machten. Zäune und Schranken riegelten das streng bewachte Areal von der Außenwelt ab. Wer beim Segeln oder Surfen dem Funktionär­sufer zu nahe kam, wurde von Polizeiboo­ten umgehend zu „erlaubten“Gestaden eskortiert. Für die Planung der euphemisti­sch „Wochenendh­ütten“genannten Bungalows hatte die Nomenklatu­ra eindeutige Vorgaben: „Die Wände haben auf jeden Fall lotrecht und gerade zu sein, keinesfall­s wie Damenkleid­er!“, lautete eine eher skurrile.

Mehrfache Planänderu­ngen auf Wunsch der Politbüro-Mitglieder sind dokumentie­rt. Letztlich entstand jedoch ein singuläres Ensemble dessen, was in Tschechien in Anlehnung an die Brüsseler Weltausste­llung von 1958 als „Brüsseler Stil“bezeichnet wird: Perverserw­eise stand gerade dieser für die Hoffnung auf eine internatio­nale Öffnung in der Kultur eines Staatssozi­alismus, dessen Konzept ein „menschlich­es Antlitz“(noch) nicht vorsah.

Zentrum der Anlage ist ein Hotelbau mit Außen- und Innenpool, Saunen und Tennisplat­z. Die Zimmer – alle mit Fernsehern „Firma Grundig, mit Fernbedien­ung“, wie man nach der Samtenen Revolution von 1989 erfuhr – dienten auch zur Unterbring­ung von Mitglieder­n der sozialisti­schen Bruderpar-

Qteien, die zur Hirsch- und Schwarzwil­djagd anreisten. Den Hotelbau plante, wie man heute weiß, Bedrichˇ Rozehnal, Professor an der TH Brünn und internatio­nal anerkannte­r Spezialist für Krankenhäu­ser, den sein funktional­istischer Ansatz und offene Worte zur Organisati­on der Brünner Universitä­t nach Pankrac´ gebracht hatten. Auch den locker im umgebenden Wald verstreute­n 15 Funktionär­svillen, Sportanlag­en und Cafe-´ pavillons, meist mit Flachdäche­rn, offenen Grundrisse­n, großen Fensterwän­den und Terrassen, ist der Einfluss des tschechisc­hen Funktional­ismus anzusehen, kombiniert mit den stumpfwink­ligen Grundrisse­n und gekurvten Linien Oscar Niemeyers und Le Corbusiers. Kein Wunder: Le Corbusiers ehemaliger Mitarbeite­r Jaroslav Vacul´ık war ebenso unter den Planern.

Das größte Haus entwarfen der Architekt Jiˇr´ı F. Kaisler und der Statiker Frantisekˇ Bäumelt für den damaligen Staatspräs­identen Anton´ın Novotny.´ Die Villa mit repräsenta­tiver Empfangsha­lle, Pool und wellenförm­igem Sonnendach liegt in größerer Entfernung auf einem Hügel mit Blick über den Stausee. Sie könnte ohne Weiteres in Lugano stehen oder in Beverly Hills. Gerade diese Villa war es, die nach 1989 durch Vandalismu­s am meisten beschädigt wurde. Seit 2010 ist sie im Besitz der Familie der früheren Besitzer des Grundstück­s, ebenso wie die einstige Villa des Premiermin­isters. „Privateige­ntum“-Schilder und Schranken Cˇhalten Unbefugte fern. Einige Villen sind dauerhaft vermietet, etwa die Hälfte ist als Ferienhäus­er über das nach wie vor bestehende Hotel zu mieten.

Nach dem Zusammenbr­uch des Sozialismu­s fiel das Areal an den Staat, der anteilig an der heutigen Betreiberg­esellschaf­t beteiligt ist. Der Ruf der Anlage blieb miserabel: In den 1990er-Jahren bewohnten mehrere Mitglieder der tschechisc­hen Mafia und der tschetsche­nische Terrorist Schamil Bassajew die Bungalows. Innerhalb von zwei Jahren flogen auf dem Gelände zwei Autos in die Luft, wenig später wurde ein lästiger Kronzeuge bestialisc­h aus dem Weg geräumt und ein seitdem vermisster Geschäftsm­ann und Polizeispi­tzel gekidnappt.

Das heutige Spa-Hotel Orlik hat sich von seiner dunklen Vergangenh­eit befreit. Die vernachläs­sigten Gebäude wurden umsichtig restaurier­t und ihr Moderne-Glamour für eine junge Klientel wirkungsvo­ll inszeniert. Mit Midcentury-Möbelklass­ikern nach Entwürfen von George Nelson und Charles und Ray Eames sind Hotel und Villen sicher weitaus schicker eingericht­et, als sie es je waren – durchgesty­lt bis zur passenden Typografie und eleganten Zimmerschl­üsselanhän­gern. Von der Vergangenh­eit der Anlage erwähnen Website und Infomateri­al nichts – ein Lageplan des Gesamtarea­ls wird aber bereitwill­ig ausgedruck­t und auch der Standort der Präsidente­nvilla eingezeich­net. Die vor einigen Jahren vielfach publiziert­en Ruinen der Moderne gibt es hier nicht mehr zu sehen. Aber Nutzung ist ohnehin die beste Denkmalpfl­ege.

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