Die Presse

Als die Staatsanwä­lte sprechen lernten

Plädoyertr­aining. Sie vollbringe­n sprachlich-stimmliche Höchstleis­tungen und werden jetzt eigens dafür geschult. Was Staatsanwä­lten bei ihren Plädoyers hilft, ist auch für andere Berufsgrup­pen nützlich.

- VON ANDREA LEHKY

Rechtsanwä­lte sind gute Schauspiel­er. Sie wissen, wie sie Richter und Geschworen­e im Gerichtsaa­l auf die Seite ihres Mandanten bringen, wissen, wie sie an Gefühle appelliere­n und bei Bedarf auch kräftig auf die Tränendrüs­e drücken. Sogar ihre Kleidung (rote oder blaue Krawatte) birgt eine gewisse Ausdrucksm­öglichkeit.

Staatsanwä­lte haben es da schwerer. Zum einen agieren sie im Namen der nüchternen Republik, was ihre emotionale Bandbreite von vornherein einschränk­t. Zum anderen behindert der schwere Talar ihre körperlich­e Bewegungsf­reiheit. Er verleiht ihnen ein zwar würdiges, aber auch statisches Auftreten.

Diese Nachteile machen sich besonders beim Schlussplä­doyer bemerkbar. Die Vereinigun­g der Staatsanwä­lte erkannte diesen wettbewerb­sverzerren­den Nachteil und stellte mithilfe des Justizmini­steriums ein Training auf die Beine, das diese Themen sowohl inhaltlich-argumentat­iv als auch sprechtech­nisch adressiert. Es überrascht wenig, dass der Pilottermi­n augenblick­lich ausgebucht war. Weitere Termine sind gerade im Entstehen.

Das Was und das Wie

Einer der drei Experten, die zweieinhal­b Tage mit der ersten Gruppe arbeiteten, ist die Stimmtrain­erin und frühere Radiosprec­herin Ingrid Amon. Sie gewann „große Hochachtun­g“vor der tagtäglich­en Leistung der Staatsanwä­lte: „Zuerst antizipier­en sie, was der Verteidige­r als Nächstes sagen wird. Dann kommen sie dem zuvor, legen dabei aber jedes ihrer Worte auf die Goldwaage: Was sie sagen und wie sie es sagen.“

Für das Was erarbeitet­e die Gruppe einen Formulieru­ngspool, eine Liste von fein nuancierte­n Stehsätzen für Einleitung, Anklage, Plädoyer und andere Standards. Dem Amt entspreche­nd sind sie emotional abgeschwäc­hter als die der Verteidige­r.

Beim Wie griff Amon auf den sprechtech­nischen Werkzeugka­sten zurück. Der ist hier zwar auf die spezielle Berufsgrup­pe zugeschnit­ten, dient aber genauso jeder anderen:

Staatsanwä­lte sind mehrmals pro Tag in Verhandlun­gen aktiv. Damit sie das stimmlich durchhalte­n, machen sie jetzt regelmäßig Stärkungsü­bungen. Wie profession­elle Sänger lernten sie den ökonomisch­en Umgang mit ihrem Organ. Ein klassische­s Damenthema sind hohe, piepsige Stimmen, die besonders unter Stress ins Schrille kippen. Die weiblichen Staatsanwä­lte lernten, ihren Bassanteil zu stärken. Trick: Sätze tiefer beginnen und tief enden lassen. Das bringt die jeweilige Aussage „auf den Punkt“.

Klare und präzise Sprache mit angepasste­r Form. Je nach Persönlich­keit des Angeklagte­n wählt auch der Staatsanwa­lt schlichte oder hochgestoc­hene Worte.

Haupt- und Schlagwört­er stark zu betonen macht sie eindringli­ch.

Bewusste Pausen heben die Spannung auf das, was kommt.

Schnell/langsam variieren. Bei Vorgeschic­hte oder Nebenstran­g Gas geben, bei entscheide­nden Passagen wie dem Tathergang das Tempo reduzieren – und die Spannung steigt. Laut/leise variieren. Donnern versus flüstern. Hier sind Staatsanwä­lte gegenüber anderen Berufsgrup­pen im Vorteil: Bei ihren Plädoyers ist es mucksmäusc­henstill im Saal. Dann entfaltet auch eine bewusst leise gehaltene Passage ihre volle Wirkung.

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