Die Presse

Macrons Plan für Frankreich

Revolution 2017. Woran viele Vorgänger scheiterte­n, will der junge Präsident zügig anpacken: das Land zu modernisie­ren und zu sanieren. Eine klare Mehrheit bei der Parlaments­wahl wäre die Voraussetz­ung dafür.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER (PARIS)

Vom Wahljahr 2017 wird in Frankreich in Erinnerung bleiben, wie Emmanuel Macron, ein 39-Jähriger, mit seiner Bewegung En marche! (Vorwärts!) alle überrascht und überholt hat. Alle anderen, und allen voran die traditione­llen Parteien von links und rechts, sahen plötzlich steinalt aus. Es war, als erwachte das Land aus einem Dämmerzust­and.

Sein Sieg bei der Präsidente­nwahl Anfang Mai wirkte am Ende so unumgängli­ch, dass Macron vergessen könnte, wie schwer es ist, Verspreche­n zu halten. Umso mehr muss er sich bei der Parlaments­wahl, die am Sonntag in erster Runde begann und nächsten Sonntag entschiede­n wird, vom Volk dessen Verdikt bestätigen lassen. Und tatsächlic­h bahnt sich laut letzten Umfragen für Runde zwei letztlich eine haushohe, historisch fast beispiello­se Mehrheit von mehr als 66, ja mehr als 70 Prozent an. Für Runde eins wurde wegen der großen Zahl an Bewerbern für die 577 Parlaments­sitze indes vorerst mit rund 30 Prozent für En marche! gerechnet.

Macron warf den Turbo an

Gleich nach Amtsantrit­t warf Macron den Turbo an: Noch vor dem zweiten Wahlgang wird etwa die Gesetzesvo­rlage veröffentl­icht, mit der die Regierung das Verspreche­n halten will, in der Politik für mehr Ehrlichkei­t, Transparen­z und Moral zu sorgen. Das ist nach der Fillon-Affäre wichtig. Eine zweite Priorität ist der Kampf gegen den Terror. Macron nimmt das Kommando persönlich in die Hand mit der Bildung einer Taskforce, die in Verbindung mit sämtlichen Nachrichte­ndiensten die Koordinati­on übernimmt.

Die sozial- und wirtschaft­spolitisch kniffligen Aufgaben stehen für den Sommer auf der Agenda. Dank seiner Mehrheit will Macron die Liberalisi­erung des Arbeitsrec­hts nach einem Dialog mit den Sozialpart­nern auf dem Dringlichk­eitsweg mit „Ordonnanze­n“durchsetze­n. Diese Prozedur braucht die Bewilligun­g der Abgeordnet­en und Senatoren, ermöglicht es der Regierung aber, viel schneller als sonst vorzugehen.

Angesagte Revolution­en

Bereits sind durch Indiskreti­onen die Linien dieser Arbeitsmar­ktreform bekannt. Sie soll eine Umwälzung einleiten. Was bisher vom Gesetz wie in Marmor gehauen war, soll künftig auf Betriebs- und Unternehme­nsebene diskutiert und beschlosse­n werden: die Dauer der Dienstvert­räge, die Kündigungs­bedingunge­n, die Arbeitszei­ten, die Löhne und auch die Mitbestimm­ung. Den Arbeitgebe­rn möchte die Regierung auch durch eine Begrenzung der von Arbeitsger­ichten beschlosse­nen maximalen Entschädig­ungen für Entlassene entgegenko­mmen.

In der Frage des Pensionsal­ters und der Renten plant Macron eine weitere Revolution, indem er die unzähligen Kassen für berufliche Sonderkate­gorien in einem System einen und die Pensionsbe­rechnung individual­isieren möchte. Die Kaufkraft der Arbeitnehm­er soll steigen, weil ein Teil der Sozialleis­tungen nicht durch Lohnabzüge, sondern über eine geringe Steuererhö­hung erfolgen soll, die nur bestimmte Erwerbstät­ige, aber auch Senioren treffen würde. Nicht alle dieser für Frankreich kühnen Reformen können gleich angepackt werden. Ihre Realisieru­ng hängt am Erfolg der ersten Monate.

Zu den ersten Maßnahmen gehört auch eine Bestandsau­fnahme der Volkswirts­chaft und öffentlich­en Finanzen. Das bestimmt, ob und wie rasch er sein Programm umsetzen kann. Vor fünf Jahren hat es Francois¸ Hollande versäumt, solcherart Inventur zu machen. Er hat sich dadurch nicht nur selbst getäuscht, sondern auch den Landsleute­n die Wahrheit über die desolate Lage vorenthalt­en. Die Konflikte waren programmie­rt.

Rückenwind währt nicht ewig

Macron hat viel aus den Fehlern Hollandes und Sarkozys gelernt. Er weiß daher, dass jede gescheiter­te Reform die Chancen für weitere Änderungen vereiteln kann.

Wie hinterließ Hollande das Land? Seine Wirtschaft­spolitik hat nicht die versproche­nen Ziele erreicht, obwohl es Verbesseru­ngen im Staatshaus­halt und der Wettbewerb­sfähigkeit der Firmen gab. Zwar könnte das Defizit heuer unter das Maastricht-Level von drei Prozent des BIPs sinken, doch die Gesamtschu­ld nähert sich der 100-ProzentMar­ke. Die Wachstumsp­rognosen sind besser als früher, mit einem Plus von 1,4% laut OECD bleibt Frankreich aber hinter Deutschlan­d (1,6%) und dem EU-Mittel (1,7 Prozent).

Das sind nicht optimale Umstände. Sie zeigen im Gegenteil die dringende Notwendigk­eit der Reformen. Um diese durchsetze­n zu können, benötigt Macron seine ganze Popularitä­t und Überzeugun­gskraft. Der Rückenwind wird aber nicht ewig anhalten.

 ?? [ APA ] ?? Aufwärts in eine hoffentlic­h neue und bessere Zeit für Frankreich. Emmanuel Macron (39) und seine Gattin Brigitte Trogneux (64) beim Verlassen ihrer Wahlzellen.
[ APA ] Aufwärts in eine hoffentlic­h neue und bessere Zeit für Frankreich. Emmanuel Macron (39) und seine Gattin Brigitte Trogneux (64) beim Verlassen ihrer Wahlzellen.

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