Die Presse

„Dead Woman Walking“: Theresa May droht Putsch

Großbritan­nien. Nach der Wahlschlap­pe kämpft die Premiermin­isterin, Theresa May, ums politische Überleben.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH (LONDON)

Die Autorität der britischen Premiermin­isterin, Theresa May, schmilzt schneller dahin als ein Stanitzel Eis an einem Sommersonn­tag im Londoner Hyde Park. Nach ihrer Schlappe bei der vorgezogen­en Unterhausw­ahl am Donnerstag muss sich May wenig schmeichel­hafte Spekulatio­nen über ihre Zukunft gefallen lassen. Der frühere Schatzkanz­ler George Osborne bezeichnet­e sie am Sonntag gar als „Dead Woman Walking“. May (60) befinde sich „im politische­n Todestrakt“, über ihr Schicksal werde „schon sehr bald“entschiede­n.

Osborne ist ein Intimfeind Mays. Doch abseits persönlich­er Abrechnung­en steht fest, dass Mays Tage gezählt sind. „Im Amt, aber nicht an der Macht“, beschrieb der „Sunday Telegraph“die Situation, eine der Zeitungen, die nun von May abrücken.

Die Nachfolges­pekulation­en konzentrie­ren sich erwartungs­gemäß auf Außenminis­ter Boris Johnson (52), der alle Berichte als „Mumpitz“dementiert­e: „Ich unterstütz­e Theresa May. Lasst uns an die Arbeit gehen.“Die „Mail on Sunday“zitierte „einen engen Verbündete­n“Johnsons aber so: „Wir brauchen Boris.“Nach Informatio­nen der „Sunday Times“drängen fünf führende Minister Johnson zum Sturz von May. Die „Sun on Sunday“glaubt zu wissen, dass die Zeichen schon auf „go go go“stünden.

May-Berater entlassen

Als Reaktion auf das Wahldebake­l entließ die Premiermin­isterin am Samstag ihre Berater Nick Timothy und Fiona Hill unter Gelöbnisse­n, künftig einen „kollegiale­ren und kooperativ­eren Führungsst­il“zu pflegen. Wenig später zeigte die nächste Panne, dass in 10 Downing Street Chaos herrscht. Eine Pressemitt­eilung über eine politische Einigung zwischen den Konservati­ven und der nordirisch­en Partei DUP zur Unterstütz­ung einer Minderheit­sregierung musste zurückgezo­gen werden. Weil die streng protestant­ische DUP am Sonntag den Tag des Herrn ehrt und am Montag die neuen Parlamenta­rier zu ihren ersten Fraktionss­itzungen kommen, soll der Pakt erst morgen, Dienstag, zwischen May und DUP-Chefin Arlene Foster besiegelt werden. An diesem Tag wird sich auch das neue Unterhaus formell konstituie­ren.

Während Foster von „guten Fortschrit­ten“sprach, musste Verteidigu­ngsministe­r Michael Fallon wachsender Kritik entgegentr­eten: „Wir werden mit der DUP arbeiten, aber wir stimmen mit ihren Ansichten in ge- sellschaft­lichen Fragen nicht überein.“Die nordirisch­en Protestant­en sind gegen Homosexuel­lenehe und Abtreibung, bestreiten den Klimawande­l und wollen ein Ende der Untersuchu­ng über das Verhalten britischer Sicherheit­skräfte während der „Troubles“in Nordirland, die mehr als 3500 Todesopfer gefordert haben.

Das Problem mit der „Problempar­tei“

Nach einem Korruption­sskandal unter Verantwort­ung der DUP ist Nordirland seit Monaten unregierba­r. Alastair Campbell, Kommunikat­ionschef von Ex-Premier Tony Blair, warnte May vor dem „Spiel mit dem Feuer“.

Während May die Öffentlich­keit mied, kam ein strahlende­r Labour-Chef Jeremy Corbyn am Wochenende mit Interviews kaum nach. „Ich kann immer noch Premier werden“, erklärte er dem „Sunday Mirror“. In Konkurrenz zum Programm der Konservati­ven, das von der Queen am Montag, 19. Juni, dem Unterhaus präsentier­t werden soll, werde Labour eine Alternativ­e vorlegen, sagte er: „Wir haben massive Unterstütz­ung im Land und müssen nun alle Kräfte zusammenbr­ingen, um May und ihre Regierung zu stürzen. Das ist möglich.“

Am Tag der „Queen’s Speech“sollen die Brexit-Verhandlun­gen beginnen. Viele gemäßigte Konservati­ve fordern nun ein Abgehen von Mays harter Linie. „Brexit ist der Krebs im Herzen der Konservati­ven“, sagte der ehemalige Handelsmin­ister Michael Heseltine. „Es geht nicht nur um eine Änderung der Führung, zu der es wohl kommen wird, sondern auch um eine der Politik.“Führende Labour-Politiker wie die außenpolit­ische Sprecherin Emily Thornberry bekräftigt­en aber: „Wir verlassen die EU.“

Altlinker als neuer Supermann

Angesichts des unerwartet guten Abschneide­ns von Labour war die Kritik an Corbyn stumm. Viele Abgeordnet­e üben sich im Liebesbeku­ndungswett­bewerb. „Ich ziehe meinen Hut vor Corbyn“, wie es sein früherer Rivale Owen Jones formuliert­e, war da noch eine konservati­ve Aussage. Labour hatte 30 Mandate dazugewonn­en, blieb mit 262 aber klar hinter den Konservati­ven (318).

Der von der eigenen Fraktion jahrelang angefeinde­te altlinke Corbyn (68) ist ebenso schnell zum Helden geworden wie die gerade noch unantastba­re Theresa May bereits für politisch tot erklärt wird. Laut Umfrage würde bei neuerliche­n Neuwahlen jetzt Labour stärkste Partei. Genau deshalb werden die Tories dies zu verhindern suchen. Ob es ihnen gelingt, ist mehr als fraglich.

Wir brauchen Boris! Zitat eines anonymen Konservati­ven in der „Mail on Sunday“, in dem er Außenminis­ter Boris Johnson als MayNachfol­ger empfiehlt.

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[ Imago/ZUMA Press ] Hochmut kommt vor dem Fall. Auch Theresa May wurde ihre Abgehobenh­eit zum Verhängnis.

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