Wenn Anleger mit dem Feuer spielen
Aktien. Was sich derzeit in Brasilien und Venezuela abspielt, lässt selbst abgebrühte Börsianer staunen. Investoren nehmen volles Risiko und werden möglicherweise dafür belohnt. Kleinanleger sollten trotzdem Vorsicht walten lassen.
Wien. Preisfrage: Was passiert mit dem Aktienmarkt eines Landes, das von einem Korruptionsskandal auf höchster politischer Ebene erschüttert wird, just in jenem Moment, als es sich endlich von einer mehrjährigen Rezession erholt? Richtig, die Kurse brechen ein und internationale Großinvestoren ergreifen schnellstmöglich die Flucht. Möchte man meinen.
Tatsächlich hat der Leitindex Brasiliens am 17. Mai um zehn Prozent nachgegeben, als bekannt geworden war, dass Präsident Michel Temer möglicherweise ebenso korrupt ist wie seine des Amtes enthobene Vorgängerin Dilma Rousseff. Allerdings: Die Anlegerflucht dauerte genau einen Tag. Schon am nächsten Tag legte der Bovespa-Index wieder zu, und auf Jahressicht ist er trotz des zwischenzeitlichen Absturzes immer noch mehr als 20 Prozent im Plus.
Europäische Kleinanleger, die vor zwölf Monaten in Brasilien investiert haben, können sich freuen, Korruptionsskandal hin oder her. Zum Plus auf dem Aktienmarkt kommt noch der Wechselkursgewinn, auch der brasilianische Real zeigte sich von den Machenschaften des Präsidenten relativ unbeeindruckt. Im Vergleich zum Euro notiert der Real aktuell knapp fünf Prozent höher als vor einem Jahr.
Goldman Sachs greift zu
Dabei gäbe es durchaus Grund zur Sorge. Temer hat wirtschaftspolitisch exakt jene Reformen und Sparmaßnahmen eingeleitet, die das Land so bitter nötig hat. Erste Früchte seiner Arbeit zeigen sich, im ersten Quartal wuchs die angeschlagene Volkswirtschaft erstmals seit zwei Jahren wieder. Muss der angezählte Präsident gehen, könnten seine Reformen rückgängig gemacht werden und die größte lateinamerikanische Volkswirtschaft den Weg zurück in die Rezession antreten.
Was geht in den Köpfen der Investoren vor, dass sie das alles nicht beeindruckt? Erstens hoffen sie, dass sich Temer irgendwie im Amt halten und seinen Kurs fortsetzen kann. Zweitens bauen sie auf eine altbekannte Börsenregel, wonach Emerging Markets wie Brasilien nach einem Kurssturz stets eine Überlegung wert sind. Drittens suchen sie aus Angst vor einer Korrektur in den USA und Europa verzweifelt nach anderen Anlagemöglichkeiten. Dabei sind sie durchaus bereit, ein außerordentlich hohes Risiko einzugehen.
Dass Emerging Markets oftmals gerade nach einer Talfahrt besonders deutlich zulegen, hat sich zuletzt in Mexiko gezeigt. Als Donald Trump im November zum US-Präsidenten gewählt wurde, brach der Leitindex innerhalb weniger Tage um knapp zehn Prozent ein. Mittlerweile wurden die Verluste mehr als wettgemacht, und auch der mexikanische Peso hat gegenüber dem Euro und dem Dollar deutlich zugelegt.
Die aktuelle Risikofreude der Investoren wiederum zeigt sich nicht nur in Brasilien, sondern auch in einer der instabilsten und unzuverlässigsten Volkswirtschaften der Welt: Venezuela. Da wüten wilde Proteste, ein Teil der Bevölkerung nagt am Hungertuch, es mangelt an Medikamenten, das Ende der Präsidentschaft von Nicolas Maduro sowie der Staatsbankrott scheinen nur eine Frage der Zeit zu sein. Und was machen mächtige Geldanleger wie Goldman Sachs, Fidelity oder Pimco? Sie kaufen venezolanische Staatsanleihen in großem Stil.
Freilich: Die Regierung braucht die Devisen zum Überleben und bietet die Papiere zum Spottpreis an. Goldman etwa bekam für Schuldtitel der staatlichen Ölgesellschaft Petroleos´ einen Rabatt von 70 Prozent. Soll heißen: Der Papierwert liegt bei 2,8 Mrd. USDollar, die Investmentbank legte 865 Mio. Dollar auf den Tisch. Zahlt Venezuela wie vereinbart tatsächlich im Jahr 2022 den vollen Betrag zurück, handelt es sich um ein Spitzengeschäft für Goldman Sachs. Doch hat die Opposition bereits angekündigt, im Fall eines Sturzes Maduros die Titel nicht anzuerkennen, und Goldman verlöre möglicherweise das gesamte Investment.
Totalverlust möglich
So weit, so logisch, doch was bedeutet das für herkömmliche Investoren? Man muss kein Experte sein, um zu erkennen, dass der Kauf von venezolanischen Staatsanleihen oder Aktien einem All-in mit durchschnittlicher Hand im Poker gleichzusetzen ist. Ein hoher Gewinn ist möglich, ebenso wie der Totalverlust. Abgesehen davon, dass der direkte Kauf auf dem freien Markt für österreichische Kleinanleger kaum möglich ist, sollte auch über Vermögensverwalter bestenfalls ein kleiner Teil des Vermögens, dessen Verlust problemlos verkraftet werden kann, investiert werden.
Etwas anders sieht die Lage in Brasilien aus. Solange Temer im Amt bleibt, gibt es durchaus noch Potenzial nach oben. Fidelity spricht von einer „großen Gelegenheit“und investiert überdurchschnittlich viel Geld in Brasilien. Wie bei jedem Schwellenmarkt müssen sich Investoren aber auf Volatilität einstellen. Zugewinne können binnen weniger Tage zunichtegemacht werden. Für Kleinanleger, die sich nicht täglich mit ihrem Portfolio beschäftigen, gilt die altbewährte Empfehlung: Emerging Markets ja, aber breit gestreut, etwa mit einem kostengünstigen (Index-)Fonds. Wer gern riskanter spielt, kann immer noch einen überschaubaren Teil seines Vermögens in einen Fonds stecken, der ausschließlich in Lateinamerika und überproportional in Brasilien investiert.