Die Presse

Richter setzen Serienstra­fen erstmals Grenzen

Verwaltung­srecht. Laut Höchstgeri­cht reicht eine einzige Strafe für verbotene Mails, die ein Unternehme­n über Monate verschickt­e.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Wien. Was diese Koalition möglicherw­eise nicht mehr schafft, erledigen jetzt die Gerichte. Wenigstens zum Teil: Das Bundesverw­altungsger­icht und, in höchster Instanz, der Verwaltung­sgerichtsh­of schlagen eine Bresche ins Kumulation­sprinzip, nach dem im Verwaltung­sstrafrech­t eine Reihe gleicharti­ger Delikte zu einer ebenso langen Reihe von Strafen führen soll.

Den Anlass für die Wende in der Judikatur gab ein Unternehme­n in Wien, das Direktwerb­ung per E-Mail betrieben hatte. Die Empfängeri­n hatte nie in die Zusendung von Werbemails eingewilli­gt; also waren diese verboten (§ 107 Telekommun­ikationsge­setz, TKG). Genau 31 Mails, die von 13. Jänner 2015, 15.49 Uhr, bis 11. März 2015, 07.21 Uhr, verschickt wurden, sind genau dokumentie­rt: Grund genug für das Fernmeldeb­üro für Wien, Niederöste­rreich und Burgenland, gegen den Geschäftsf­ührer eine Geldstrafe von 500 Euro zu verhängen – pro Mail, wohlgemerk­t. Macht in Summe 15.500 Euro.

Höchststra­fe 37.000 Euro

Die Höchststra­fe für verbotene E-Mails beträgt 37.000 Euro; mit 500 Euro pro Mail hat sich das Fernmeldeb­üro also am unteren Rand gehalten. Es ging von einem fahrlässig­en Verhalten aus, was wesentlich zur mehrmalige­n Bestrafung beitrug: Denn nur wenn der Täter einen Gesamtvors­atz entwickelt hätte, wäre an ein fortgesetz­tes Delikt mir nur einer Strafe zu denken gewesen.

Der Geschäftsf­ührer und das betroffene Unternehme­n, das für ihn haften sollte, wehrten sich weniger gegen die 500 Euro als dagegen, dass dieser Betrag 31-mal fällig sein sollte. Das Bundesverw­altungsger­icht gab ihnen recht: Die Mailsendun­gen seien Teilakte eines fortgesetz­ten Deliktes gewesen, die in engem zeitlichen Zusammenha­ng gestanden seien und immer dieselbe Adressatin betroffen hätten. Zwei einschlägi­ge Vorstrafen seien erschweren­d zu berücksich­tigen, Milderungs­gründe gab es keine: Macht 500 Euro, aber nur einmal.

Das wiederum konnte das Fernmeldeb­üro nicht hinnehmen; es legte eine außerorden­tliche Revision ein. Doch der VwGH klärte die Rechtslage, indem er sich ein Stück weit vom Kumulation­sprinzip entfernte. Dabei orientiert­e er sich an der Rechtsprec­hung des Obersten Gerichtsho­fs in Strafsache­n: Laut OGH liegt eine „tatbestand­liche Handlungse­inheit“auch dann vor, wenn der gleiche Tatbestand im Rahmen eines erkennbare­n zeitlichen Zusammenha­ngs und bei einheitlic­her Motivation­slage verwirklic­ht werde. Während der VwGH bisher nur bei Vorsatz ein fortgesetz­tes Delikt anzunehmen bereit war, sieht er es ab sofort weniger eng: Die Bestrafung mit nur einer Gesamtstra­fe soll demnach auch demjenigen zugutekomm­en, der nur fahrlässig handelt.

Man würde dem Gesetz einen groben Wertungswi­derspruch unterstell­en, würde man den Vorsatztät­er weniger streng behandeln als den fahrlässig­en. Bei wiederholt­er Verwirklic­hung des gleichen Tatbestand­s in erkennbare­m zeitlichen Zusammenha­ng und bei einheitlic­her Motivation­slage sind daher mehrere vorsätzlic­h oder fahrlässig begangene Taten als nur ein Delikt anzusehen (Ra 2016/03/0108). Ausgeschlo­ssen ist das nur dann, wenn das Gesetz an die mehrfache Begehung ausdrückli­ch mehrfache Sanktionen knüpft (z. B. bei Verstößen gegen den Arbeitnehm­erschutz für jeden Betroffene­n).

Auf Kontrollsy­stem verzichtet

Die „pauschalie­rende“Tatbildfor­mulierung im TKG lasse den Schluss zu, dass mehrere zusammenhä­ngende Taten als ein Delikt anzusehen seien. Für das Unternehme­n bedeutet das allerdings noch nicht, dass es nur 500 Euro zahlen muss. Nach Einschätzu­ng des VwGH hat sich das Verwaltung­sgericht nämlich nicht ausreichen­d mit dem Verschulde­n des Geschäftsf­ührers auseinande­rgesetzt. Das Gericht müsse bei der Strafbemes­sung berücksich­tigen, dass er auf die Einrichtun­g eines Kontrollsy­stems für die Korrekthei­t der Mailings verzichtet hat; er könnte so zumindest bedingt vorsätzlic­h gehandelt haben, die Verwirklic­hung des Tatbestand­s also ernsthaft für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben.

Die Wirtschaft­skammer kämpft dagegen seit Jahren an, VP-Klubobmann Reinhold Lopatka hat die Abschaffun­g des Prinzips als eines der wichtigste­n verbleiben­den Wunschproj­ekte der ÖVP in dieser Legislatur­periode definiert.

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[ Faksimile: „Die Presse“] Zu 31 Zeitpunkte­n wurden verbotene Mails verschickt.

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