Unbekannter Munch, durch Knausg˚ards Blick
Kunst. Der norwegische Schriftsteller Karl Ove Knausg˚ard hat für das Munch Museum in Oslo seine erste Ausstellung kuratiert. In „Zum Wald“präsentiert er seine Sicht auf den Maler Munch – und zeigt ihn von seiner wenig bekannten Seite.
Wer derzeit in Oslo das Munch Museum besucht, kommt an Karl Ove Knausgard˚ nicht vorbei. Der berühmteste norwegische Schriftsteller der Gegenwart hat eine Ausstellung über den berühmtesten norwegischen Maler der Moderne kuratiert. Was zunächst wirkt wie eine durchschaubare Marketingaktion des Museums, entpuppt sich rasch als sehr stimmige Sache. Knausgard,˚ seit Jahren international gefeiert mit seinem sechsteiligen Zyklus „Min Kamp“(zu Deutsch wörtlich „Mein Kampf“, vom deutschen Verlag aus naheliegenden Gründen nicht so übersetzt), setzt sich nicht als Möchtegern-Kunstexperte in Szene, sondern vermittelt, dass er Munchs Werk schätzt und sich seit seiner frühesten Jugend und während seines Kunstgeschichtestudiums intensiv damit auseinandergesetzt hat, was er in Vorträgen und Essays immer wieder unter Beweis stellt.
Knausgard˚ gilt als schüchterner, zurückgezogener Zeitgenosse, was nicht so recht zu seiner aktuellen Präsenz im deutschsprachigen und amerikanischen Feuilleton passen will. Doch als Kurator der Ausstellung „Zum Wald“hält er sich tatsächlich angenehm dezent im Hintergrund. Es finden sich keine biografischen Details über ihn, nicht einmal ein Porträt des Autors komplettiert die Schau. Auch das Museum ließ sich nicht dazu hinreißen, die Ausstellung mit dem Schriftstellerstar zu bewerben.
Bilder, die keine große Kunst sein sollen
In vier Räumen zu unterschiedlichen Themen hat er teils unbekannte Werke Munchs zusammengestellt, manche sind erstmals zu sehen. So zum Beispiel das Gemälde „Maler an der Hauswand“aus dem Jahr 1942, das Munch zwei Jahre vor seinem Tod fertiggestellt hat. Es zeigt einen Anstreicher, der an einem Sommertag auf einer Leiter steht und eine Hauswand streicht. Es ist eine alltägliche, fast naive Szene, die nicht einmal besonders akkurat gemalt ist. Genau das schätzt Knausgard,˚ wie er in einem Begleittext erklärt: „Munch wusste natürlich sehr genau, wie man einen alten Mann auf einer Leiter zu malen hatte, oder einen Mann in einem Garten. Aber er wollte mit diesem Bild keine große Kunst schaffen, sondern die Essenz einer Szene festhalten, die er beobachtet hatte.“Für Knausgard˚ ist das Bild ein ironischer Kommentar zur Malerei, ein Maler malt einen Anstreicher. Munch malte Bedrückendes wie Beglückendes. Manchmal sogar zeitgleich oder direkt nacheinander. Die „Badenden Jungen“(1897/98) zum Beispiel entstanden im selben Jahr wie das traurige Bild „Das Erbe“, auf dem eine Mutter ihr Neugeborenes im Schoß hält und Blut in ein Tuch spuckt. Die drei badenden Buben hingegen sind in erster Linie komisch. Knausgard˚ erkennt vor allem an der Beinhaltung unter Wasser Munchs Humor. Das Bild lebt von der sehr realistischen Perspektive der schwimmenden Körper.
Dass Munchs viel früher geschaffene weltberühmte Gemälde wie der „Schrei“oder die „Angst“nicht zu sehen sind, überrascht nicht. Knausgard˚ hat mehrfach betont, dass es gar nicht mehr möglich sei, den „Schrei“zu sehen, weil er längst zur Ikone geworden sei. Stattdessen zeigt er vor allem jene Bilder, die mit weniger Bedeutung aufgeladen sind. Ein ganzer Raum etwa ist dem „Wald“gewidmet, jenen Werken, in denen Munch gegen Ende seines Lebens immer wieder dasselbe Motiv gemalt hat: die Ulmen auf seinem Grundstück in Ekely, auf dem er die letzten 30 Jahre seines Lebens verbracht hat. Da sind blätterlose, knorrige, gräuliche Bäume zu sehen, ein grüner Boden, es sieht so aus, als ob sich der Frühling ankündigt. Der Raum wirkt fast geschlossen. „Diese Bilder haben nichts Menschliches, keine Erinnerungen, keine Romanze, keinen Geschlechtstrieb“, erklärt Knausgard˚ und ergänzt: „Was will dieses Bild von uns? Gar nichts. Es ist eine Angelegenheit zwischen dem Maler und dem, was er malt. Falls es etwas mitteilt, dann wie Bäume etwas mitteilen, ohne ein Wort. Sie sind ohne Bedeutung, sie sind nur da.“
Lebensbejahender Munch
Einer der vier Räume widmet sich „Den Anderen“, also mehr oder weniger bekannten Porträts, auch Selbstporträts des Malers. Ein weiterer „Chaos und Energie“, die von der Natur ausgehen, hier sind es vor allem die schneebedeckten Felder, die es Knausgard˚ angetan haben. Im Kontrast zu diesem Chaos stehen die Sonnen- und Landschaftsbilder des ersten Raumes, die einen farbverliebten und lebensbejahenden Munch zeigen. Die Sonne ist ein beliebtes und häufiges Motiv in der Malerei. Aber selten wurde nur die Sonne allein gemalt. „Das tat nur er“, sagt Knausgard.˚ „Das war typisch für ihn. Ständig war er auf der Suche nach dem Ikonischen eines Motivs.“
Der selbstbezogene Künstler
In einem Interview mit der „Zeit“gab der Schriftsteller zu, in der Vorbereitungsphase für die Schau Angst bekommen zu haben, dass die Besucher sagen könnten: „Die Ausstellung zeigt ja nur schlechte Bilder.“Weil er eben vor allem jene Werke ausgewählt hat, die kaum bekannt sind. Er sei einigermaßen erleichtert, dass das bisher noch niemand gesagt habe.
Dass Knausgard˚ und Munch einige Gemeinsamkeiten haben, wird in dieser Ausstellung deutlich. Beide neigen in ihren Werken zu Selbstbezogenheit, Knausgard˚ ganz besonders in seinem sechsteiligen Lebenszyklus, in dem er von seiner Kindheit und den Konflikt mit seinem Vater über seine eigene Vaterschaft bis zur (kürzlich geschiedenen) Ehe mit seiner Frau sein komplettes Seelenleben ausbreitet. Auch Munch war vor allem gegen Ende seines Lebens narzisstisch getrieben und sehr egozentriert. Knausgard˚ streitet diese Parallele nicht ab. Der „Zeit“sagte er: „Das Selbst ist das Einzige, was wir haben. Ich möchte mein Selbst erkunden und verstehen.“