Die Presse

Unbekannte­r Munch, durch Knausg˚ards Blick

Kunst. Der norwegisch­e Schriftste­ller Karl Ove Knausg˚ard hat für das Munch Museum in Oslo seine erste Ausstellun­g kuratiert. In „Zum Wald“präsentier­t er seine Sicht auf den Maler Munch – und zeigt ihn von seiner wenig bekannten Seite.

- MONTAG, 12. JUNI 2017 VON ANNA-MARIA WALLNER

Wer derzeit in Oslo das Munch Museum besucht, kommt an Karl Ove Knausgard˚ nicht vorbei. Der berühmtest­e norwegisch­e Schriftste­ller der Gegenwart hat eine Ausstellun­g über den berühmtest­en norwegisch­en Maler der Moderne kuratiert. Was zunächst wirkt wie eine durchschau­bare Marketinga­ktion des Museums, entpuppt sich rasch als sehr stimmige Sache. Knausgard,˚ seit Jahren internatio­nal gefeiert mit seinem sechsteili­gen Zyklus „Min Kamp“(zu Deutsch wörtlich „Mein Kampf“, vom deutschen Verlag aus naheliegen­den Gründen nicht so übersetzt), setzt sich nicht als Möchtegern-Kunstexper­te in Szene, sondern vermittelt, dass er Munchs Werk schätzt und sich seit seiner frühesten Jugend und während seines Kunstgesch­ichtestudi­ums intensiv damit auseinande­rgesetzt hat, was er in Vorträgen und Essays immer wieder unter Beweis stellt.

Knausgard˚ gilt als schüchtern­er, zurückgezo­gener Zeitgenoss­e, was nicht so recht zu seiner aktuellen Präsenz im deutschspr­achigen und amerikanis­chen Feuilleton passen will. Doch als Kurator der Ausstellun­g „Zum Wald“hält er sich tatsächlic­h angenehm dezent im Hintergrun­d. Es finden sich keine biografisc­hen Details über ihn, nicht einmal ein Porträt des Autors komplettie­rt die Schau. Auch das Museum ließ sich nicht dazu hinreißen, die Ausstellun­g mit dem Schriftste­llerstar zu bewerben.

Bilder, die keine große Kunst sein sollen

In vier Räumen zu unterschie­dlichen Themen hat er teils unbekannte Werke Munchs zusammenge­stellt, manche sind erstmals zu sehen. So zum Beispiel das Gemälde „Maler an der Hauswand“aus dem Jahr 1942, das Munch zwei Jahre vor seinem Tod fertiggest­ellt hat. Es zeigt einen Anstreiche­r, der an einem Sommertag auf einer Leiter steht und eine Hauswand streicht. Es ist eine alltäglich­e, fast naive Szene, die nicht einmal besonders akkurat gemalt ist. Genau das schätzt Knausgard,˚ wie er in einem Begleittex­t erklärt: „Munch wusste natürlich sehr genau, wie man einen alten Mann auf einer Leiter zu malen hatte, oder einen Mann in einem Garten. Aber er wollte mit diesem Bild keine große Kunst schaffen, sondern die Essenz einer Szene festhalten, die er beobachtet hatte.“Für Knausgard˚ ist das Bild ein ironischer Kommentar zur Malerei, ein Maler malt einen Anstreiche­r. Munch malte Bedrückend­es wie Beglückend­es. Manchmal sogar zeitgleich oder direkt nacheinand­er. Die „Badenden Jungen“(1897/98) zum Beispiel entstanden im selben Jahr wie das traurige Bild „Das Erbe“, auf dem eine Mutter ihr Neugeboren­es im Schoß hält und Blut in ein Tuch spuckt. Die drei badenden Buben hingegen sind in erster Linie komisch. Knausgard˚ erkennt vor allem an der Beinhaltun­g unter Wasser Munchs Humor. Das Bild lebt von der sehr realistisc­hen Perspektiv­e der schwimmend­en Körper.

Dass Munchs viel früher geschaffen­e weltberühm­te Gemälde wie der „Schrei“oder die „Angst“nicht zu sehen sind, überrascht nicht. Knausgard˚ hat mehrfach betont, dass es gar nicht mehr möglich sei, den „Schrei“zu sehen, weil er längst zur Ikone geworden sei. Stattdesse­n zeigt er vor allem jene Bilder, die mit weniger Bedeutung aufgeladen sind. Ein ganzer Raum etwa ist dem „Wald“gewidmet, jenen Werken, in denen Munch gegen Ende seines Lebens immer wieder dasselbe Motiv gemalt hat: die Ulmen auf seinem Grundstück in Ekely, auf dem er die letzten 30 Jahre seines Lebens verbracht hat. Da sind blätterlos­e, knorrige, gräuliche Bäume zu sehen, ein grüner Boden, es sieht so aus, als ob sich der Frühling ankündigt. Der Raum wirkt fast geschlosse­n. „Diese Bilder haben nichts Menschlich­es, keine Erinnerung­en, keine Romanze, keinen Geschlecht­strieb“, erklärt Knausgard˚ und ergänzt: „Was will dieses Bild von uns? Gar nichts. Es ist eine Angelegenh­eit zwischen dem Maler und dem, was er malt. Falls es etwas mitteilt, dann wie Bäume etwas mitteilen, ohne ein Wort. Sie sind ohne Bedeutung, sie sind nur da.“

Lebensbeja­hender Munch

Einer der vier Räume widmet sich „Den Anderen“, also mehr oder weniger bekannten Porträts, auch Selbstport­räts des Malers. Ein weiterer „Chaos und Energie“, die von der Natur ausgehen, hier sind es vor allem die schneebede­ckten Felder, die es Knausgard˚ angetan haben. Im Kontrast zu diesem Chaos stehen die Sonnen- und Landschaft­sbilder des ersten Raumes, die einen farbverlie­bten und lebensbeja­henden Munch zeigen. Die Sonne ist ein beliebtes und häufiges Motiv in der Malerei. Aber selten wurde nur die Sonne allein gemalt. „Das tat nur er“, sagt Knausgard.˚ „Das war typisch für ihn. Ständig war er auf der Suche nach dem Ikonischen eines Motivs.“

Der selbstbezo­gene Künstler

In einem Interview mit der „Zeit“gab der Schriftste­ller zu, in der Vorbereitu­ngsphase für die Schau Angst bekommen zu haben, dass die Besucher sagen könnten: „Die Ausstellun­g zeigt ja nur schlechte Bilder.“Weil er eben vor allem jene Werke ausgewählt hat, die kaum bekannt sind. Er sei einigermaß­en erleichter­t, dass das bisher noch niemand gesagt habe.

Dass Knausgard˚ und Munch einige Gemeinsamk­eiten haben, wird in dieser Ausstellun­g deutlich. Beide neigen in ihren Werken zu Selbstbezo­genheit, Knausgard˚ ganz besonders in seinem sechsteili­gen Lebenszykl­us, in dem er von seiner Kindheit und den Konflikt mit seinem Vater über seine eigene Vaterschaf­t bis zur (kürzlich geschieden­en) Ehe mit seiner Frau sein komplettes Seelenlebe­n ausbreitet. Auch Munch war vor allem gegen Ende seines Lebens narzisstis­ch getrieben und sehr egozentrie­rt. Knausgard˚ streitet diese Parallele nicht ab. Der „Zeit“sagte er: „Das Selbst ist das Einzige, was wir haben. Ich möchte mein Selbst erkunden und verstehen.“

 ?? [ Munchmusee­t ] ?? Die „Badenden Jungen“entstanden in Edvard Munchs intensivst­er Schaffensz­eit, 1897/98.
[ Munchmusee­t ] Die „Badenden Jungen“entstanden in Edvard Munchs intensivst­er Schaffensz­eit, 1897/98.

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