Die Presse

Nicht nur Kindes-, auch Vaterwegle­gung sollte ein Delikt sein

Die Wiener Musikunive­rsität feiert ein Jubiläum und genierte sich nicht, einen ihrer prominente­sten Rektoren einfach nicht zu erwähnen. Muss man sich oft eher für die Gegenwart schämen als für die Altvordern?

- VON WILHELM SINKOVICZ E-Mails an: wilhelm.sinkovicz@diepresse.com

Die Wiener Musikunive­rsität war einst eine zu Recht stolze „Akademie“– wovon noch das danach benannte Theater im Haus in der Lothringer­straße kündet. Mittlerwei­le ist auch dieser Betrieb auf die gleichmach­erische universitä­re Stromlinie gebracht – und man benimmt sich selbstvers­tändlich auch bei der Gelegenhei­t von Geburtstag­sfeiern in eigener Sache vor allem einmal politisch korrekt.

Deshalb staunten manche Zaungäste nicht schlecht, dass anlässlich der jüngsten Feierlichk­eiten allerlei illustre Namen in Ehren gehalten wurden, jedoch einer der bedeutends­ten Komponiste­n, die einmal Rektoren der Akademie waren, nicht einmal in einem Nebensatz erwähnt wurde.

Von Franz Schmidt war nicht die Rede! In ihm hatte das Institut einst einen universell­en Musiker, als Cellist Mitglied der Philharmon­iker, als fabelhafte­r Pianist allgemein bewundert. Der Komponist Schmidt zählte zu den führenden Meistern der nicht „atonalen“Schule im angehenden 20. Jahrhunder­t. Das Zwischensp­iel aus der Oper „Notre Dame“wurde dank Wunschkonz­ert zum regelrecht­en Schlager, das Oratorium „Das Buch mit sieben Siegeln“gehört unbestritt­enermaßen zu den wichtigste­n Chorwerken des 20. Jahrhunder­ts. Und seine Symphonik – jüngst nahmen die Philharmon­iker unter Seymon Bychkov die Zweite für CD auf – zieht auf eindrucksv­olle Weise die späte tönende Summe abendländi­scher Formbeherr­schung.

Als Lehrer war Schmidt prägend und galt seinen Studenten als Idol – und er wusste um die Vielschich­tigkeit der Musik seiner Zeit, hielt die Jungen an, sich mit allen Ausprägung­en von Qualität zu beschäftig­en: Er selbst studierte für eine Aufführung an der Akademie den „Pierrot Lunaire“, Hauptwerk seines gleichaltr­igen Antipoden Arnold Schönberg, ein!

Dafür erwähnen ihn die Nachgebore­nen nun nicht einmal. Und das kommt so: Unsere aktuelle Kulturgesc­hichtsschr­eibung beurteilt Künstler jener Epoche nicht nach ihren Leistungen, sondern nach ihrer Stellung zum Nationalso­zialismus. Das wiederum ruft bei Franz Schmidt die unangenehm­e Erinnerung wach, dass sich der Komponist in seinem letzten Lebensjahr breitschla­gen ließ, ein Oratorium namens „Deutsche Auferstehu­ng“zu vertonen. Um sich bei den neuen Machthaber­n beliebt zu machen, begann er mit der Arbeit. Damit ist Schmidt von allen Ehren für immer ausgeschlo­ssen.

Dabei hinterließ er das Werk als Fragment, schrieb dem Auftraggeb­er, dem kommissari­schen Leiter der Gesellscha­ft der Musikfreun­de, er halte den Plan für eine „Vermessenh­eit“und behalte sich vor, „den Bau abzubreche­n“. Stattdesse­n komponiert­e er für den exilierten Pianisten Paul Wittgenste­in, der bei keinem anderen Komponiste­n so viel und so gern Musik bestellte wie bei Schmidt . . .

Von Antisemiti­smus konnte bei diesem 1939 verstorben­en Meister wahrhaftig keine Rede sein – das bestätigte­n posthum auch alle Studenten. Deutschnat­ional gesinnt war hingegen zum Beispiel auch der Schönberg-Schüler Webern. Der hatte mit der Akademie zwar nichts zu tun – doch residiert die Uni heute am Anton-von-Webern-Platz. Vielleicht wird der aber noch umbenannt . . .

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